Alexandria Ocasio-Cortez: Viel wurde in den vergangenen Monaten über den Shootingstar der US-Demokraten geschrieben und diskutiert. Eine Netflix-Dokumentation macht nun deutlicher denn je: Die Bedeutung der 29-Jährigen darf nicht unterschätzt werden, auch wenn sie von Kritikern nur als eine vorübergehende Modeerscheinung betrachtet wird.
Warum? Das erfährst du in den folgenden 5 Punkten:
Die Regisseurin Rachel Lears dürfte ihr Glück kaum fassen. Für 10 Millionen US-Dollar konnte sie ihre Dokumentation «Frischer Wind im Kongress» an den Streaming-Giganten Netflix verkaufen. Mit einem solchen Erfolg rechnete sie wahrscheinlich nicht einmal in ihren kühnsten Träumen.
Ihr Glück: Der grosse Erfolg von Alexandria Ocasio-Cortez, eine von vier Personen, die in der Doku vorgestellt werden.
Lears startete ihre Aufzeichnungen zu einem Zeitpunkt, als das Kürzel AOC für Alexandria Ocasio-Cortez noch nicht einmal angedacht war. Sprich, als die Politikerin mit puerto-ricanischer Abstammung noch gar keine Politikerin war, sondern in einer Bar in New York arbeitet.
«Amerikaner wollen nicht viel», sagt die damals 28-Jährige während sie einen Drink zubereitet, «sie wollen nur durchkommen.» Und von den Politikern würden sie eigentlich nur verlangen, dass sie mutig genug seien, um ihnen dabei zu helfen.
Der Job als Kellnerin ist hart. 18 Stunden ist AOC auf den Füssen, schleppt schwere Sachen, bedient gehobenes Klientel aus Manhattan, das ihre Tätigkeit nicht einmal als richtige Arbeit bezeichnet.
Für AOC ein Hohn: «Es hat einen Grund, weshalb wir als Arbeiterklasse bezeichnet werden. Wir arbeiten ohne Unterbruch!»
Die Erfahrungen, die sie an der Theke sammelt, sollen ihr jetzt jedoch helfen. Denn die Bartenderin hat Grosses, ja eigentlich Unmögliches vor: Sie will bei den Vorwahlen im 14. New Yorker Wahlbezirk Amtsinhaber Joe Crowley herausfordern.
Und dieser ist nicht irgendwer, sondern die Nummer 4 der Demokraten im Kongress. Ein politisches Schwergewicht, das sich mit den Mächtigsten der Mächtigen die Türklinke in die Hand gibt.
In der Hitze des Bar-Gefechts wir AOC auf das vorbereitet, was sie im Wahlkampf erwarten wird.
AOC ist entschlossen, sich für diejenigen einzusetzen, welche «einfach nur durchkommen wollen». Leute, denen es gleich geht wie ihr. «Es geht nicht nur um Demokraten gegen Republikaner, in Wahrheit ist es so weit entfernt von dem. Es geht nicht um Links oder Rechts, sondern um unten gegen oben.»
Sie ist eine von unten, er einer von oben.
Auf der anderen Seite steht Joe Crowley. Pro Legislaturperiode erhält der Mittfünfziger drei Millionen US-Dollar von der Wall Street, Immobilien- und Pharma-Unternehmen. Seit 14 Jahren musste er zu keiner Vorwahl mehr antreten und wurde so quasi automatisch in den Kongress gewählt. Denn der 14. Distrikt New Yorks ist eine Hochburg der Demokraten.
Crowley lebt nicht einmal mehr in seinem eigenen Wahlbezirk, sondern in Virginia. Die Wahlrichter hat er alle selbst ernannt, um es für allfällige Kandidaten so gut wie unmöglich zu machen, gegen ihn anzutreten.
Obschon gemäss Gesetz nur 1250 Stimmen gesammelt werden müssten, braucht AOC deren 10'000, damit die Richter keinen Weg finden, um ihre Kandidatur zu blockieren.
Sie probiert's trotzdem. Klingelt an Türen, schüttelt unzählige Hände und sucht das Gespräch auf der Strasse. Im April 2018 hat sie die nötigen Stimmen zusammen.
Der Wahlkampf-Startschuss ist gefallen. Gehört hat ihn aber nur AOC. Crowley ist in der Hauptstadt beschäftigt. So sehr, dass er an eine öffentliche Debatte lediglich eine Stellvertreterin schickt.
Diese hat gegen das Feuer von AOC keine Chance – und muss mit ansehen, wie Crowley komplett zerpflückt wird. Die Herausforderin gewinnt das Publikum deutlich für sich. Sehr viele Menschen sitzen zwar nicht im Saal, doch die Szene ist sinnbildlich.
Crowley hat den Kontakt zur Basis verloren, politisiert an den Bedürfnissen, der Basis vorbei. Ocasio-Cortez hingegen weiss, wo der Schuh wirklich drückt. Die Wähler fühlen sich durch die Jungpolitikerin repräsentiert.
Crowley verschickt den Wählern eine Wahlkampf-Werbung, in der es nur darum geht, dass er Trump schlagen will. Einen Hochglanz-Flyer, der gemäss AOC einem «Victoria-Secret-Katalog» gleicht, und auf dem nicht einmal das Wahldatum steht.
Der Freund von Ocasio-Cortez, der sie während des gesamten Wahlkampfes unterstützt, stellt fest: «Eines der Hauptprobleme des demokratischen Establishments sind ihre Berater. Das ist der viertwichtigste Demokrat des Landes und das ist das Zeugs, was er macht. Das ist Müll. Das ist beängstigend.»
AOC ihrerseits verteilt einen Prospekt, auf dem Punkte aufgelistet sind, wie dass das Leben der Bewohner der Bronx und Queens verbessert werden soll. Krankenkasse für alle, Ende des Krieges gegen Drogen, Mindestsalär.
Ocasio-Cortez ist in ihrem Kampf nicht alleine. Sie wird durch nationale «Grassroot»-Organisationen unterstützt. Dort kann sie sich mit anderen Kandidaten austauschen, erhält technischen und logistischen Support – und nicht zuletzt Tipps von erfahrenen Polit-Schlachtrössern.
Einer von ihnen ist Darryl Gray, ein Bürgerrechtsveteran. Er nimmt die Kongress-Aspiranten in einem frühen Stadium der Kandidatur an der Hand und warnt:
Er sollte recht behalten. Und zwar sowas von.
Ocasio-Cortez gelingt im Juni 2018 die Sensation. Sie schlägt Joe Crowley und kann als jüngste Demokratin überhaupt in den Kongress einziehen. Seither wird pausenlos auf sie eingeprügelt.
Kaum eine Person ist auf Fox News und Co. derart oft Thema wie AOC. Bemängelt wird alles. Von ihren Ideen zum Klimaschutz, über ihre Rechtschreibung bis hinzu ihren Kleidern. Auch von Seiten des demokratischen Partei-Establishments wird immer wieder Kritik geäussert.
Runterkriegen lässt sie sich durch die Einschüchterungsversuche nicht. Ihr Kampf für die Schwächsten der Gesellschaft geht auch in Washington D.C. weiter. Sie wurde nicht gewählt, um zu schweigen.
Ocasio-Cortez ist die Hauptfigur in der Dokumentation. Die Geschichten der anderen drei Frauen, die begleitet werden, sind indes nicht weniger eindrücklich. Vielleicht sogar noch kräftiger.
Etwa jene von Amy Vilela, die für den vierten Distrikt von Nevada in den Kongress will. Sie hat ihre Tochter verloren, weil die Ärzte sie nicht behandeln wollten, da sie keinen Versicherungsnachweis vorlegen konnte.
Oder Cori Bush, die für Missouri nach Washington D.C. will. Seit 1969 wird ihr Bezirk durch entweder William Clay oder dessen Sohn Lacy Clay repräsentiert. Nur wenige Kilometer von ihrem Wohnort entfernt kam es 2014 zu den Unruhen von Ferguson, als ein Schwarzer Teenager durch die Polizei erschossen wurde. Verändert hat sich seither nichts.
Derweil will Paula Jean Swearengin für West Virginia in den Senat. Sie kämpft gegen die Rohstoffgiganten, welche in ihrem Bundesstaat ganze Berge und Wälder niederwalzen. Für die Gesundheit der Kohleminenarbeiter, in einer Gegend, wo immer mehr Krebsfälle auftauchen und dafür, «dass kein Amerikaner um etwas so einfaches wie ein sauberes Glas Wasser flehen muss.»
Sie alle scheitern am Ende an der Urne deutlich. Die Enttäuschung ist gross.
Ihre Geschichten machen deutlich, wie schwierig es für Leute von unten ist, Kandidaten aus dem Partei-Establishment zu stürzen. Wenn es 100 Personen versuchen, schafft es am Ende vielleicht eine.
Wird um Ocasio-Cortez einen unnötigen Hype gemacht? Wird sie überschätzt?
Nein.
Die Netflix-Doku zeigt deutlich, weshalb.
Die Strahlkraft der mittlerweile 29-Jährigen kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Auf Social Media folgen ihr gut und gerne 10 Millionen Menschen. Davon können viele etablierte US-Politiker nur träumen. Auch ihre Medienpräsenz sucht ihresgleichen.
Ocasio-Cortez kämpft gegen Big Money – und erreicht damit die Massen. Washington kann die Missstände nicht mehr einfach unter den Tisch kehren. Einst als linksextreme Themen abgestempelt, werden sie plötzlich Mainstream. Die demokratischen Präsidentschaftskandidaten setzten sich quasi unisono für Mindestlohn, Klimaschutz und Gesundheitsversorgung für alle ein.
Das ist natürlich nicht der alleinige Verdienst von AOC, aber auch.
Und ein weiterer Punkt darf nicht unterschätzt werden. Die Geschichte von Ocasio-Cortez inspiriert. Sie spornt Personen wie Cori Bush, Paula Jean Swearengin und Amy Vilela an, weiterzukämpfen. Sie gibt all jenen Mut, die sich bis jetzt nicht getraut haben, in die Politik zu gehen. Oder nur schon überhaupt den Mund aufzumachen. Nicht nur in den USA, sondern auf der ganzen Welt.
Am Ende der Dokumentation blickt der Zuschauer ins Gesicht von AOC, als sie ihren Sieg gegen Crowley bestätigt bekommt. Sie kann das Wunder kaum fassen und muss sich inmitten der jubelnden Menge erst einmal sammeln.
Es hat sich eben doch gelohnt, sich zu wehren.
Und Loredana, welche vor einer Woche noch niemand kannte, ist wegen 1.3mio Followern die "erfolgreichste" Musikerin der Schweiz. Follower sind für Influencer relevant... Haben aber in der Realität nichts zu melden.