Am Tag nach dem erwarteten Sturz der Regierung von François Bayrou sind die Renditen zehnjähriger Anleihen des französischen Staates zwar nur noch geringfügig weiter angestiegen. Aber zum ersten Mal seitdem die europäische Währungsunion geschaffen wurde, verlangen die Anleger für ein zehnjähriges Darlehen in Frankreich einen höheren Zins als in Italien. 3,48 Prozent versus 3,47 Prozent: die am Dienstagmorgen um 09:30 Uhr an den Kapitalmärkten festgestellte Differenz ist zwar minimal, dafür aber voller Symbolik. Italien, das Land, das sich schon mächtig anstrengen musste, um die Beitrittskriterien zur Währungsunion zu erfüllen, gilt seit Jahrzehnten als Schuldnerin mit erhöhtem Risiko.
Auf dem Höhepunkt der Euro-Schuldenkrise in den Jahren 2011 und 2012 musste der italienische Staat zehnjährige Darlehen mit bis zu 7 Prozent verzinsen. Die Franzosen zahlten lediglich 3 Prozent. Umso schwerer wiegt die Symbolik, dass die französische Zinskurve die italienische am Dienstag auf dem Weg nach oben gekreuzt hat. Der Grund dafür ist aber nicht das absolute Niveau der Staatsverschuldung. Diesbezüglich liegen die Italiener mit einer Schuldenquote im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt von 137,9 Prozent immer noch weit vor den Franzosen (114,1 Prozent).
Aber abgesehen davon, dass beide Länder weit weg von jener Schuldenquote liegen, welche die Euro-Länder vor 33 Jahren im sogenannten Maastrichter-Vertrag als nachhaltig festgelegt hatten (60%), entwickelt sich die Quote Frankreichs inzwischen so schnell in die falsche Richtung, dass die Investoren für dieses Land eben noch höhere Schuldzinsen verlangen als für das stärker verschuldete Italien. Den Italienern traut man aber zu, dass sie die Verschuldung bremsen und irgendwann sogar zurückbauen können.
Wie schnell sich ein dauerhaft überhöhtes Staatsdefizit in Kombination mit dem Zinseszinseffekt in höhere Schulden verwandeln kann, zeigt just das Beispiel Italiens, das in der Euro-Krise vor 15 Jahren erst mit 120 Prozent des Bruttoinlandproduktes verschuldet gewesen war. Den Franzosen trauen die Finanzmärkte keine rasche Umkehr auf dem gefährlichen Schuldenpfad zu. Deshalb erwartet zum Beispiel der Internationale Währungsfonds, dass das Land am Ende dieses Jahrzehnts bei einer Verschuldungsquote von 130 Prozent angelangt sein wird. Nimmt man an, dass Griechenland beim Schuldenrückbau weiterhin so rasch vorankommt wie seit der grossen Schuldenkrise von 2012 könnten sich die Franzosen bis 2030 sogar in puncto Verschuldungsquote sogar die Hellenen überholen.
Noch reagieren die Märkte einigermassen nüchtern auf die sich nun zunehmend auch in grossen Euro-Ländern verschlechternde Schuldensituation. Man geht davon aus, dass die europäische Wirtschaft in den kommenden Jahren, gestützt von den diversen – schuldenfinanzierten – Investitionsstimuli in Billionenhöhe auf den Wachstumspfad zurückfinden und den Schuldenrückbau dereinst so finanzieren kann.
Das ist keine unmögliche, aber doch eine ziemlich unsichere Wette, die auf den Finanzmärkten immer wieder zu Zweifeln Anlass geben wird. Vor diesem Hintergrund dürften die Zinskurven der Schuldnerstaaten in den kommenden Jahren deutlich stärker schwanken als in früheren Zeiten – die Investoren bezeichnen diese Schwankungen als Volatilität.
Diese ständigen Schwankungen in den tendenziell steigenden Zinskurven von Ländern wie Frankreich bringen auch die Europäische Zentralbank (EZB) zunehmend in Verlegenheit, wie man am kommenden Donnerstagnachmittag sehen wird. Wenn die EZB-Präsidentin Christine Lagarde der internationalen Presse den jüngsten Entscheid zum Leitzins erklären muss, werden sich viele Fragen der Journalistinnen und Journalisten um Frankreich drehen: Frau Lagarde, wie beurteilen sie das französische Schuldenproblem?
Die EZB-Präsidentin wird sich hüten, diese Frage zu beantworten. Als Notenbankchefin hat sie schlicht nicht die Kompetenz Regierungen ins Geschäft zu reden, auch wenn deren Länder der Währungsgemeinschaft angehören. Frau Lagarde muss aber dennoch deutlich machen, dass sie die französische Fiskalpolitik nicht gutheisst – aber ohne den Eindruck zu erwecken, dass die Politik in Paris bereits ein Risiko für die Stabilität des Euro darstellt.
«Frau Lagarde muss zwischen den Zeilen zum Ausdruck bringen, dass das was in Frankreich passiert nicht akzeptabel ist – weder für Frankreich noch für die anderen Euro-Länder, die mit Frankreich im gleichen Boot sitzen», sagt der Chefökonom einer Bank in Zürich. Noch komplizierter könnte es werden, wenn die französischen Kapitalmarktzinsen weiter steigen und das Land in noch ärgere Finanznöte bringen würde. Theoretisch könnte die EZB gegen höhere Zinsen intervenieren, indem sie Staatsanleihen des betreffenden Landes aufkauft. Doch genau das ist ihr im Prinzip streng verboten, wenn Länder für ihre missliche Lage selbst verantwortlich sind. (aargauerzeitung.ch)