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Sogar die Totengräber fehlen: Kroatien verliert seine Arbeitskräfte

Sogar die Totengräber fehlen: Kroatien verliert seine Arbeitskräfte – das sind die Gründe

Kroatiens Wirtschaft leidet. Nicht nur sind einheimische Arbeitskräfte rar, es lässt sich auch kaum mehr Personal aus den Nachbarländern rekrutieren. Die Regierung gerät immer mehr unter Druck und muss eigene Regeln brechen, um den Exodus zu stoppen.
19.08.2023, 10:5119.08.2023, 10:51
Alexandra Pavlović / ch media
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Bestattungsfirmen in Kroatien schlagen Alarm. Für Beerdigungen lassen sich kaum noch Totengräber finden. Die Lage ist manchenorts so prekär, dass die Anzahl auf drei Beerdigungen pro Tag limitiert wurden und nur vormittags stattfinden. Das wiederum führt zu Beschwerden, da berufstätige Freunde und Bekannte der Verstorbenen nicht an der Zeremonie teilnehmen können.

Abhilfe schafft nicht einmal ein hoher Lohn. Je nach Ort werden zwischen 600 bis 1000 Euro geboten. Gemessen am Durchschnittslohn, er beträgt rund 700 Euro, keine kleine Summe. Mangels Bewerber haben die Firmen sogar die Voraussetzungen gesenkt. So sind für den Beruf weder ein Pflichtschulabschluss, noch Berufserfahrung nötig. Willkommen sind zudem auch Pensionäre und Studenten.

Mit einem chronischen Personalmangel kämpfen auch andere Branchen im Land. In der Gastronomie wird man immer weniger von einheimischem Personal bedient. Dasselbe Bild zeigt sich auf Baustellen, im Tourismus und inzwischen auch in staatlichen Firmen wie der Post.

Trotz gutem Stundenlohn kaum Personal

Die malerische Küstenstadt Dubrovnik etwa hat vier Postboten angestellt, die von den Philippinen stammen. Jonathan Junio Cenzia ist einer davon. Zuvor war er vier Jahre in Katar beim Bau der WM-Stadien tätig, heute verteilt er Briefe und Pakete in Kroatien. Sein Lohn beträgt rund 700 Euro.

Was passiert im jüngsten EU-Land? Die Antwort ist simpel: Kroatien verliert seine Arbeitskräfte. Schätzungen zu Folge verlassen jährlich 60'000 Personen das Land in Richtung Westeuropa. Hinzu kommen weitere Probleme. Wegen der EU-Personenfreizügigkeit gehen Arbeitskräfte aus den Nachbarländern lieber in Deutschland oder Österreich arbeiten, wo sie einen höheren Lohn erhalten.

Totengräber sind in Kroatien rar. Um den Personalmangel zu beheben, wird sogar ein hoher Lohn von bis zu 1000 Euro geboten.
Totengräber sind in Kroatien rar. Um den Personalmangel zu beheben, wird sogar ein hoher Lohn von bis zu 1000 Euro geboten.bild: getty

Und seit der Pandemie bleiben nun auch die Saisonarbeiter aus. Die Rekrutierung von Arbeitskräften aus dem Landesinneren, aus Bosnien-Herzegowina, Serbien oder Albanien gelingt kaum noch. Sogar bei guter Bezahlung und einem Stundenlohn von 20 Euro (der Durchschnitt liegt bei 12 Euro) bleibt das Personal aus.

Zu spüren bekommt das vor allem die Gastro- und Tourismusbranche. Viele Unternehmen haben sich ausserdem noch nicht vollständig von den Pandemiejahren erholt. Das damals entlassene Personal hat sich längst umorientiert - und kommt nicht mehr zurück.

Kroatische Regierung unter Druck

Um dem Exodus entgegenzuwirken, musste die Regierung handeln, auch auf Druck diverser Arbeitgeber. Diese beklagten jahrelang einen Mangel an Arbeitskräften und forderten eine höhere Beschäftigungsquote für Ausländer. Der Staat jedoch wehrte sich lange mit der Begründung, dass davon keine Rede sei, solange die Arbeitslosenquote im Land hoch sei.

Wegen der zusehends prekären Lage am Arbeitsmarkt lenkte die Regierung schliesslich ein und lockerte die Regelung zur Einstellung ausländischer Arbeitskräfte. Während Firmen früher Einheimische bei der Jobvergabe bevorzugen mussten, können sie heutzutage schneller Ausländer einstellen. Beschäftigt wird die neue Arbeiterklasse vor allem aus Nepal, Indien oder den Philippinen.

Im vergangenen Jahr wurden nun 124'121 Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen für ausländische Arbeitnehmer erteilt. Laut Experten reicht das aber nicht aus. Nach Schätzungen der Arbeitgeber benötigt das Land weitere 35'000, um den Mangel einigermassen zu kompensieren. Und so dürfte in diesem Jahr die Zahl der Genehmigungen weiter steigen, auf rund 180'000. (aargauerzeitung.ch)

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40 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Strohhut
19.08.2023 11:13registriert Oktober 2015
12 Euro durchschnittlicher Stundenlohn, aber 700 euro Durchschnittlicher Monatslohn, geht in meinem Kopf nicht auf.
12 (Stundenlohn) * 40 (Stundenwoche) * 4 (Wochen)=1920

wie erklärt man das?
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Biene_Maja
19.08.2023 13:47registriert Oktober 2017
Das einzige was wirklich helfen würde, wäre endlich mal was gegen die Korruption zu tun!
Jobs gehen nicht an die qualifizierteste Person, sondern an den Cousin vom Bürgermeister oder die Tochter vom besten Freund des Chefs. Wenn man die Prüfung an der Uni bestehen will, erwartet der Prof nicht selten ein Couvert. Das Gleiche gilt für den Arzt im Spital und wenn wenn man ins Spital muss, MUSS MAN SEIN EIGENES WC PAPIER MITBRINGEN😤 (könnte ewig so weitermachen)
Ah und Steuern sind idR mind. 3 Monatslöhne/Jahr. Und dann wundern die sich noch, dass alle gehen, die können? Ich nicht🤷🏻‍♀️
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