Marc Andreessen ist der Erfinder des Internet-Browsers. Damit wurde er reich und berühmt. Heute ist er Partner von Andreessen Horowitz, der bedeutendsten Venture-Capital-Firma im Techbereich. So sitzt er unter anderem in den Aufsichtsräten von Meta, AirBnB, Lyft und Pinterest.
So nebenbei versteht er sich auch als Chefideologe des Silicon Valleys. Berühmt wurde etwa sein Spruch: «Die Software frisst die Welt auf.» (Software is eating the world.) Kürzlich hat er ein Manifest veröffentlicht, eine Kampfansage gegen alle Kritiker des grenzenlosen technischen Fortschritts und gegen alle Befürworter einer sozial verantwortungsbewussten Marktwirtschaft.
In diesem Manifest finden sich Sätze wie: «Die Liebe lässt sich nicht skalieren … Halten wir uns an das Geld.» Oder: «Wir glauben an eine Romanze mit der Technologie … an den Eros des Zuges, des Autos und des elektrischen Lichtes.» Und schliesslich ist es ein schrankenloses Bekenntnis zur Künstlichen Intelligenz (KI), der keine Grenzen gesetzt werden dürfen. «Jeder Versuch, die Entwicklung der KI zu verlangsamen, wird Menschenleben kosten», warnt Andreessen.
Die wahren Feinde für Andreessen sind die «Decels». Den Begriff leitet er von «Deceleration» (Verzögerung) ab. Ihnen stellt er die Vertreter der «Effective Acceleration» gegenüber, eines schrankenlosen technischen Fortschrittes, die nichts von Nachhaltigkeit, sozialer Verantwortung, Stakeholder-Kapitalismus und ähnlichen «woken» Ideen wissen wollen.
Was Andreessen als neue Erkenntnis verkauft und was von Tech-Enthusiasten als «frischer Wind» bejubelt wird, ist ein Aufwasch von längst Bekanntem. Es ist eine krude Mischung aus libertären Ideen im Sinne von Ludwig von Mises, der Verherrlichung eines Übermenschen im Sinne von Friedrich Nietzsche und den sozialdarwinistischen Theorien im Sinne eines Herbert Spencer.
Andreessen bemüht gelegentlich gar die alten Griechen. So vergleicht er den angekündigten Boxkampf zwischen Elon Musk und Mark Zuckerberg – den die meisten Leute lächerlich, ja peinlich finden – mit den Duellen der griechischen Helden. Die beiden seien keine Weicheier, sondern wahre Männer, so Andreessen, und er folgert: «Was für Herakles und Theseus gut genug war, ist gut genug für uns.»
Wenn Adoleszente im Hochgefühl der Pubertät solche Ideen vertreten – Ideen, die sie in der Regel in den Romanen von Ayn Rand aufgeschnappt haben –, dann besteht Hoffnung, dass sie daraus entwachsen. Bei Andreessen ist Hopfen und Malz verloren. Ohne Anflug von Ironie schreibt er Sätze wie: «Wir glauben an den Ehrgeiz, an die Aggression, die Ausdauer und die Unerbittlichkeit – an die Kraft. Wir glauben an den Verdienst und den Erfolg. Wir glauben an den Mut und die Courage.»
Marc Andreessen ist nicht der einzige Tech-Milliardär, der solches Gedankengut vertritt. Jonathan Taplin zeigt in seinem Buch «The End of Reality» auf, dass sich Elon Musk, Peter Thiel und Mark Zuckerberg auf dem gleichen Trip befinden. Sie alle haben von Ayn Rand mitbekommen, dass «wenn eine Zivilisation überleben will, sie sich von Altruismus und Moral verabschieden muss».
Taplin ist ein bunter Vogel, der sich im Silicon Valley genauso auskennt wie in der Finanzwelt. Einst war er sogar Manager von Bob Dylan.
Persönlich mögen sie sich spinnefeind sein. Die vier Tech-Milliardäre sind jedoch beseelt von der gleichen Ideologie, einer Ideologie, die nur als «anarcho-libertär bezeichnet werden kann», wie Taplin feststellt. Musk will auf dem Mars eine neue Zivilisation aufbauen, weil er überzeugt ist, dass der Planet Erde dem Untergang geweiht ist. Mark Zuckerberg will mit Meta den Massen eine Alternative zur realen Welt im Cyberspace zur Verfügung stellen. Andreessen glaubt, dass Kriege künftig mit Robotern geführt werden und Peter Thiel will gar unsterblich werden. Heute schon lässt sich der 54-Jährige deswegen regelmässig Blut von Jünglingen zuführen.
Die Welt der Tech-Milliardäre ist keine Demokratie. Es ist eine Welt, in der eine Elite das Sagen hat, die Arbeit weitgehend von Maschinen und Robotern erledigt wird und die Massen ruhig gehalten werden, beispielsweise mit einem Grundeinkommen. Im Internet bekommen sie, was ihnen in der realen Welt verwehrt bleibt. «Dem grössten Teil der Menschheit bleibt ein Realitäts-Privileg vorenthalten», stellte Andreessen schon früher fest. «Ihre Online-Welt wird unendlich viel reichhaltiger sein als die reale Welt.»
Was hier von Andreessen als Utopie dargestellt wird, hat Aldous Huxley in seinem Roman «Schöne Neue Welt» längst als Albtraum geschildert. Nichts Neues auch hier.
Andreessen will sein «Techno-Optimist Manifesto» als Aufbruch in die Zukunft verstanden wissen. Tatsächlich ist es eine Reise in eine gefährliche Vergangenheit, in eine Vergangenheit, in der beispielsweise Benito Mussolini versucht hat, solche Gedanken in die Realität umzusetzen. Ezra Klein, Kolumnist in der «New York Times», spricht denn auch Klartext: «Wir sollten es als das benennen, was es ist: reaktionärer Futurismus.»
Taplin geht gar einen Schritt weiter. «Thiel hat, wie Musk und zu einem gewissen Grad auch Andreessen, den Laissez-faire-Libertarianismus verlassen und will nun der Regierung mehr Macht zusprechen.» Mit anderen Worten, die Milliardäre wollen mehr als eine «gelenkte Demokratie». Sie wollen eine neofaschistische Tech-Diktatur.
Dafür viel Krieg, Hunger und Leid in der Bevölkerung.
Irgendwann muss die Menschheit merken, dass niemand so viel Macht erlangen darf um sich gegen Staaten durchzusetzen und diese an der Nase rum zu führen