Warum der zweitreichste Mann der Welt für eine Millionen-Spende in einen Shitstorm gerät
Die grassierende Inflation trifft in Frankreich auch wohltätige Organisationen wie das Rote Kreuz, das mit einem Jahresdefizit von 45 Millionen Euro rechnet. Die «Restos du coeur», die Restaurants des Herzens, können in ihren über 2000 Ausgabestellen im Land die hohen Lebensmittelpreise auch nicht mehr berappen: Ihnen fehlen 30 Millionen Euro. Der private, vom legendären Komiker Coluche 1985 gegründete Verein, richtete deshalb einen Spendenaufruf an die Öffentlichkeit.
Den grössten Beitrag spendete nicht ganz unerwartet der mit Abstand reichste Franzose, Bernard Arnault. Der Herr über ein Luxusimperium LVMH mit Marken wie Dior, Louis Vuitton, Bulgari oder Tiffany, zweitreichster Mann der Welt hinter dem US-Unternehmer Elon Musk, liess durch seine beiden Söhne Antoine und Frédéric einen Scheck über 10 Millionen Euro überreichen. Aurore Bergé, Ministerin für Familien und Solidarität, bedankte sich offiziell für die milde Gabe; die Arnaults erklärten, sie unterstützten «einen grossartigen Verein des Allgemeininteresses, der seit bald vierzig Jahren den Schwächsten zu Hilfe» eile.
Arnault selbst, der 2019 bereits 200 Millionen Euro an den Wiederaufbau der Pariser Kathedrale Notre-Dame gespendet hatte, äusserte sich nicht. In den sozialen Medien dominieren andere Kommentare. «Man sollte dieses Geld zurückweisen, denn es wurde den Erwerbstätigen gestohlen», lautete ein Spruch auf X (ehemals Twitter), gefolgt von: «Die Reichen, pure Produkte des Finanzkapitals, sind verantwortlich für das Elend.»
Die Linkspartei der «insoumis» (Unbeugsamen) entrüstete sich besonders laut. «Herr Arnault zahlt von seinem persönlichen Vermögen nur 18 Prozent Steuern in Frankreich, er hat Geld in den Steuerparadiesen», fand der Abgeordnete Alexis Corbière, dessen Parteichef Jean-Luc Mélenchon den LVMH-Chef früher schon als «Parasiten» bezeichnet hatte. Corbière fuhr fort, er sei «dagegen, dass die Mächtigsten eine PR-Operation auf dem Buckel der Armen inszenieren».
Reiche Vampire
Die Grünen-Chefin Marine Tondelier nannte die Superreichen «Vampire» und fügte an, sie sei für «ein Frankreich ohne Milliardäre». Andere Politiker rechneten vor, dass Arnault letztlich nur einen Bruchteil der 10 Millionen wirklich spende, da man in Frankreich zwei Drittel karitativer Spenden von den Steuern abziehen könne. Die Arnaults merkten darauf in einem Communiqué an, dass sie auf alle Steuervorteile verzichtet hätten. Dass LVMH insgesamt fast 200'000 Arbeitsplätze unterhält und dem französischen Fiskus jährlich 4.5 Milliarden Euro an Steuern abliefert, blieb unerwähnt.
In den angestammten Medien gab es vereinzelte positive Stimmen, wie etwa die Editorialistin des Radiosenders RTL, Alba Ventura, die erklärte: «Ich verstehe die Nörgler nicht. Wenn jemand 10 Millionen gibt, sagt man einfach danke.» Die gemässigten Parteien schweigen dagegen. Die Positionen der «Unbeugsamen» sind in Frankreich in solchen Finanzfragen verbreiteter, als man annehmen würde. Auch der frühere sozialdemokratische Präsident François Hollande hatte einmal kategorisch erklärt: «Ich mag die Reichen nicht.»
Ist das Evangelium schuld?
Wie der Soziologe Olivier Galland im konservativen Magazin «Le Point» zur Arnault-Affäre ausführte, geht die verbreitete Kapitalismuskritik im katholischen Frankreich bis auf das Matthäus-Evangelium zurück, wonach ein Christ nicht zugleich dem Herr und dem Mammon (Geld) dienen könne. In der Revolution von 1789 seien dann die reichen Sünder zu regelrechten Feinden der Republik geworden, wie das Chanson von den «Aristokraten an den Laternenpfählen» zeige. Bis heute halte sich der ökonomische Widersinn, dass der Wohlstand der Reichen notgedrungen zum Elend der Armen führe, meinte Galland.
