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Fassungslosigkeit: Scholz will Hamburger Hafen teilweise an China verkaufen

epa09766451 German Chancellor Olaf Scholz speaks with the media as he arrives for an European Union-African Union summit at the European Council building in Brussels, Belgium, 17 February 2022. Europe ...
Bundeskanzler Scholz macht sich mit dem geplanten Teilverkauf an China in den eigenen Reihen unbeliebt.Bild: keystone

Scholz will Hamburger Hafen teilweise an China verkaufen – Politik ist fassungslos

China will einen Teil des Hamburger Hafens kaufen. Die Ampelkoalition ist entrüstet; nur Olaf Scholz scheint nichts gegen den Deal zu haben.
21.10.2022, 09:47
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Ein Artikel von
t-online

In der Ampelkoalition regierten am Donnerstagmorgen Frust, Unverständnis und offenkundiges Entsetzen. Wohl noch nie hat sich über Bundeskanzler Olaf Scholz derart viel und derart heftige Kritik aus den eigenen Reihen ergossen.

«Wer berät eigentlich den Bundeskanzler?», schreibt die deutsche FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann auf Twitter. FDP-Vize Johannes Vogel findet: «So dumm sollten wir nicht sein.»

Grünen-Chefin Ricarda Lang hat «kein Verständnis» für das Kanzleramt. Und sogar in der SPD, Scholz' eigener Partei, warnt der Fraktionsvize und frühere Zugführer, Detlef Müller: «Vorsicht an der Bahnsteigkante!»

Die Ampelkoalition ist, man muss es so sagen, mindestens verdutzt. Der Grund: Ein Teil des Hamburger Hafens soll an einen chinesischen Staatskonzern verkauft werden, wie NDR und WDR berichten. Diverse Ministerien hätten davor gewarnt, doch das Kanzleramt will das Geschäft offenbar trotzdem durchsetzen. Konkret geht es um eine 35-Prozent-Beteiligung des chinesischen Terminalbetreibers Cosco am Hamburger Terminal Tollerort.

China einen Zugriff auf die deutsche Infrastruktur geben? Im wichtigsten deutschen Hafen? Mitten in einer weltweiten Krise, in der so viel über Abhängigkeiten von totalitär geführten Staaten diskutiert wird? Das versteht in der Regierungskoalition offenbar niemand – bis auf den Bundeskanzler.

Denn durch das beabsichtigte Geschäft im Hamburger Hafen steht plötzlich die geopolitische Strategie der Bundesregierung in Frage. Einen Fehler wie die Abhängigkeit von Russland in der Energieversorgung will die Ampelregierung unter keinen Umständen wiederholen. Eine zentrale Lehre lautet, die Abhängigkeit von China zu reduzieren.

«Die Bundesregierung hat noch nicht entscheiden. Bundeswirtschaftsminister Habeck hat in der Sache immer eine ablehnende Haltung vertreten.»
Bundeswirtschaftsministerium DE

Deshalb lehnen auch die am Prozess beteiligten sechs Fachminister den Einstieg der Chinesen am Hamburger Hafen ab, darunter Wirtschaftsminister Robert Habeck, Aussenministerin Annalena Baerbock (beide Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP).

Ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums sagt t-online am Donnerstagvormittag nur so viel: «Die Bundesregierung hat noch nicht entscheiden. Bundeswirtschaftsminister Habeck hat in der Sache immer eine ablehnende Haltung vertreten.» Im Verkehrsministerium heisst es wiederum, dass man sich nicht äussern wolle, ein Sprecher verwies nur auf das «für diese Frage federführende» Wirtschaftsministerium.

Tatsächlich hatten erst am Montag die Chefs der deutschen Nachrichtendienste eindringlich vor den Gefahren eines solchen Deals, wie er Scholz offenbar vorschwebt, gewarnt. Bei einer Anhörung im Bundestag betonten sie das Risiko, das von Chinas Einflussmöglichkeiten in Deutschland ausgehe.

epa10252084 German Economy and Climate Minister Robert Habeck addresses the media after the weekly cabinet meeting at the Chancellery in Berlin, Germany, 19 October 2022. EPA/HANNIBAL HANSCHKE
Robert Habeck: Der Wirtschaftsminister hat «immer eine ablehnende Haltung vertreten».Bild: keystone

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, sagte, man warne «seit geraumer Zeit» davor, eine Situation zuzulassen, in der «über Kritische Infrastrukturen der chinesische Staat Einfluss auf das politische Geschehen auch in Deutschland nehmen kann» oder in der China «Möglichkeiten auch zur Sabotage» eröffnet würden.

Der Chef des Bundesnachrichtendienstes, Bruno Kahl, gab zu Protokoll: «Wir stehen der Beteiligung Chinas an Kritischer Infrastruktur sehr, sehr kritisch gegenüber.»

Nouripour: Sollten uns nicht noch abhängiger machen

Entsprechend eindeutig sind am Donnerstag die Reaktionen aus den Regierungsfraktionen. «Wenn wir die Lebensadern unserer Wirtschaft in falsche Hände legen, riskieren wir unsere Souveränität», warnte Grünen-Chef Omid Nouripour t-online.

«Der Verkauf von Anteilen des Hamburger Hafens an ein chinesisches Unternehmen wäre die Wiederholung eines Fehlers», sagte Nouripour. Wir sollten von unserer fatalen Abhängigkeit von russischen Fossilen lernen und uns nicht noch abhängiger machen." Das sei weder gut für unsere Wirtschaft noch für die Sicherheit.

«Eine wichtige Infrastruktur wie der Hamburger Hafen darf nicht verkauft werden», sagte Grünen-Politiker Anton Hofreiter t-online. «Damit würden wir uns selbst schaden.» Auch Hofreiter, Vorsitzender des Europaausschusses im Bundestag, warnte davor, die Fehler im Umgang mit Russland zu wiederholen.

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Omid Nouripour: «Wenn wir die Lebensadern unserer Wirtschaft in falsche Hände legen, riskieren wir unsere Souveränität.»Bild: keystone

Aus der FDP gab es ebenfalls heftige Kritik. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte t-online: «Zeitenwende bedeutet auch: Wir dürfen die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen. Die kritische Infrastruktur unseres Landes gehört nicht in die Hände systemischer Rivalen wie Chinas.»

Reinhard Houben, der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, übte ebenfalls Kritik. «Das geschlossene Votum der sechs Fachministerien gegen den Verkauf sollte vom Kanzleramt anerkannt werden», sagte Houben t-online. Solange nicht identische Investitionsbedingungen mit China gewährleistet seien, sollte dem Kauf nicht zugestimmt werden.

Was bewegt Scholz?

Bundeskanzler Olaf Scholz selbst hat sich bisher nicht zur Sache geäussert. Ein Regierungssprecher hatte dem NDR erklärt, das Kanzleramt werde sich «mit Blick auf die Betroffenheit von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen der beteiligten Unternehmen» zu laufenden Investitionsprüfungsverfahren nicht äussern.

Aus dem Kanzleramt hiess es nach t-online-Informationen, man warte derzeit noch auf eine belastbare Begründung der ablehnenden Haltung aus dem Wirtschaftsministerium. Tatsächlich würde eine solche Entscheidung wohl einen Rechtsstreit mit Cosco nach sich ziehen, in dem die Gründe dargelegt werden müssten.

In Kreisen der Bundesregierung wird jedoch auch auf den bevorstehenden Besuch des Kanzlers in China verwiesen. Aktuell läuft die Frist für einen möglichen Einspruch der Bundesregierung gegen das Projekt am 31. Oktober ab. Sie könnte theoretisch nach hinten geschoben werden.

Doch passen würde der Termin: Denn am 4. November wird Scholz in Peking erwartet. Mit grünem Licht für das Investitionsprojekt in Hamburg brächte der Kanzler dem chinesischen Staats- und Parteichef Xi Jinping sozusagen ein Gastgeschenk mit.

Doch Scholz wird natürlich nicht nur die Sorge um sein Reisegepäck umtreiben. Ein wichtiger Grund für die Zurückhaltung des Kanzleramts dürften die Interessen der SPD in seiner alten Heimat Hamburg sein. Scholz selbst war bis 2018 Erster Bürgermeister der Hansestadt.

Scholz und der Hamburg-Faktor

Als Scholz auf die Bundesebene wechselte, machte er seinen langjährigen Finanzsenator Peter Tschentscher zu seinem Nachfolger. Scholz ist Hamburg noch immer sehr verbunden, er hat dort noch eine Wohnung und kennt die politische Diskussion genau.

Und die ist beim China-Deal des Hafens recht eindeutig: Schon Mitte September warnte Peter Tschentscher den Bundeswirtschaftsminister Habeck, der sich skeptisch geäussert hatte, mit deutlichen Worten: «Eine Ablehnung wäre eine schwere Belastung für den Wirtschaftsstandort und eine einseitige, wettbewerbsverzerrende Benachteiligung Hamburgs gegenüber Rotterdam und Antwerpen, in denen Cosco bereits Terminal-Anteile besitzt.»

Ein rein wirtschaftliches Projekt also? Alle Bedenken jedenfalls wies Tschentscher damals weit von sich. Mit einer Minderheitsbeteiligung an der Betreibergesellschaft für einen der Containerterminals sei «kein strategischer Einfluss oder Zugriff auf die Hafen-Infrastruktur verbunden», versicherte er. Der Hafen insgesamt bleibe zu 100 Prozent bei der städtischen Hamburg Port Authority. Das betont man auch im Kanzleramt.

Experten wie der Direktor des Global Public Policy Institute, Thorsten Benner, sehen das jedoch ganz anders. «Cosco ist eine Perle des chinesischen Staatskapitalismus und direktes Instrument des Parteistaats», schreibt Benner auf Twitter. «Es soll Profite machen und gleichzeitig Chinas globalen Ambitionen dienlich sein, wenn nötig auch als politisches Druckmittel.»

In Hamburg ist China schon jetzt der grösste Kunde – der mit einer Beteiligung womöglich noch mehr Druck machen könnte.

(t-online.de)

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Die Karriere von Bundeskanzler Olaf Scholz in 8 Bildern
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Die Karriere von Bundeskanzler Olaf Scholz in 8 Bildern
Scholz wird 1958 in Osnabrück geboren und wächst als ältester von drei Brüdern auf. Nach bestandenem Abitur und Zivildienst, studiert Scholz Rechtswissenschaften in Hamburg und wird Anwalt. Bereits 1975 als Gymnasiast beginnt er sich bei den Jusos zu engagieren und wird später stellvertretender Juso-Bundesvorsitzender.
quelle: gladstone~dewiki, cc by-sa 4.0 via wikimedia commons
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255 Kommentare
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Thanatos
20.10.2022 20:53registriert Dezember 2014
Ich lach mich schlapp. Sind die von allen guten Geistern verlassen worden??
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N. Y. P.
20.10.2022 20:59registriert August 2018
China einen Zugriff auf die deutsche Infrastruktur geben? Im wichtigsten deutschen Hafen? Mitten in einer weltweiten Krise, in der so viel über Abhängigkeiten von totalitär geführten Staaten diskutiert wird?

Olaf ist erledigt.

Die Glaubwürdigkeit komplett ruiniert.

Himmel, Olaf, was hat dich da geritten?
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TuXHunT3R
20.10.2022 20:55registriert September 2021
🤦🤦🤦🤦🤦
Wer wurde hier geschmiert?
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