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Die Tiefzinsen dürften zurückkehren – doch was passiert bis dahin noch?

Vor 2025 ist eine Zinswende höchst unwahrscheinlich.
Vor 2025 ist eine Zinswende höchst unwahrscheinlich.Bild: Shutterstock

Die Tiefzinsen dürften zurückkehren – doch was passiert bis dahin noch?

Der Internationale Währungsfonds warnt: Ehe die Zinsen wieder sinken, kann noch vieles schiefgehen.
03.06.2023, 19:3903.06.2023, 19:48
Niklaus Vontobel / ch media
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Die Zeiten von sehr tiefen Zinsen sind nicht vorbei. Dieser Meinung sind zwar nicht alle Experten, aber offenbar doch sehr viele. Darum betitelte die Newsagentur Bloomberg einen Bericht über neue Forschungsergebnisse so: «Warum die tiefen Zinsen zurückkehren werden».

Es gebe mehrere Trends, welche die Zinsen seit den 1990er-Jahren nach unten gedrückt hätten - und sie täten dies wohl weiterhin. Zu diesem Fazit kommt Maurice Obstfeld, einst Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF). In seiner Studie nennt er etwa die Demografie: Die Menschen leben länger und sparen mehr fürs Alter. So ist eine globale Schwemme an Spargeldern entstanden, die alle irgendwo angelegt sein wollen - und die Zinsen fallen. Obstfeld sagt darum: «Die niedrigen Zinsen werden wahrscheinlich anhalten.»

«Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Ära der sehr niedrigen Zinssätze zu Ende ist.»
John Williams, Präsident der Federal Reserve Bank von New York

Der IWF hat kürzlich die gleichen Trends analysiert und daraus gefolgert: «In den Industriestaaten werden die Zinsen wahrscheinlich in der Nähe des Niveaus von vor der Pandemie bleiben.» Die derzeit hohen Zinsen wären demnach ein Ausreisser, wenn auch ein bedeutender. Sie sind die vorübergehende Folge eines Doppelschocks: Corona und Russlands Angriff auf die Ukraine. Der Präsident der Federal Reserve Bank von New York, John Williams, fasste seine Forschungen so zusammen: «Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Ära der sehr niedrigen Zinssätze zu Ende ist.»

Wann dreht es wieder?

Doch es könnte ein langer Weg werden, ehe die Zentralbanken ihre Leitzinsen wieder senken können. Zuerst muss ein Sieg über die Inflation her. Und dies gelang in der Vergangenheit selten ohne Pleiten, Pech und Pannen. Davor warnte kürzlich die stellvertretende Chefin des IWF, Gita Gopinath, in einer Rede: «Es gibt nur wenige historische Beispiele, in denen die Inflation von einem sehr hohen Niveau aus zurückging - ohne eine deutliche Verlangsamung der Konjunktur.»

Auch dieses Mal sieht es nicht nach einem leichten Sieg aus. Vielmehr bleibt die Inflation ein Rätsel. «Wir wissen noch nicht genau, warum sie so hartnäckig hoch ist», sagt Gopinath. Die Zentralbanken haben ihre Leitzinsen entschlossen angehoben, in historisch einzigartigem Tempo - doch viel passiert ist nicht. In vielen Ländern boomt der Arbeitsmarkt dennoch: Arbeitslose hat es wenig, offene Stellen viele. So könnten bald die Löhne stark steigen und so die Inflation befeuern. Gopinath: «Die Wirkung der Geldpolitik scheint bisher weniger stark zu sein als erwartet.»

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Warnt vor dem schwierigen Kampf gegen die Inflation: die stellvertretende Chefin des IWF, Gita Gopinath.Bild: EPA

Warum das so ist, das bleibt im Dunkeln - und die Experten rätseln, was da lauert. Es könnte ein Coronaeffekt sein. In der Krise kauften die Menschen mehr Produkte, danach mehr Dienstleistungen. Von Heimkinos und Fitnessmaschinen wechselten sie zu Hotelübernachtungen und Kreuzfahrten. So ist es zu einer grossen Verschiebung in der Wirtschaft gekommen: weg von der Industrie, hin zum Dienstleistungssektor.

Diese Verschiebung könnte den Arbeitsmarkt verändert haben. Denn Dienstleistungen sind arbeitsintensiver als Industriegüter: In Hotels oder Restaurants arbeiten für die gleiche Wertschöpfung mehr Menschen als in Maschinenfabriken. Sind also mehr Dienstleistungen gefragt, braucht es mehr Menschen für das gleiche Wirtschaftswachstum. Somit würde erklärbar, was in vielen Länder rätselhaft scheint: Die Wirtschaft wächst kaum oder gar nicht, doch der Arbeitsmarkt läuft gut oder gar heiss.

So befindet sich die deutsche Wirtschaft in einer Rezession, doch die ohnehin tiefe Arbeitslosenquote ist zuletzt weiter gesunken. Den gleichen Gegensatz hat Jason Furman festgestellt, einst Chefberater von US-Präsident Barak Obama, und kommentierte: «eine sehr, sehr seltsame Rezession». Die Schweiz passt nicht ganz ins Schema; die Wirtschaft wächst weiterhin. Doch eine Verschiebung zu Dienstleistungen gab es wohl auch. In Gastgewerbe, Pauschalreisen und Flugtickets steigen die Preise am stärksten, während die Industrie eine Rezession erlebt.

Das macht alles kniffliger, wie IWF-Chefin Gopinath erklärt. Denn gegen die Teuerung bei Dienstleistungen haben es Zentralbanken schwer. Industrielle lassen sich vielleicht von hohen Zinsen abschrecken und kaufen weniger Maschinen. Das bremst die Wirtschaft. Reiselustigen ist es hingegen in der Regel herzlich egal, was Zentralbanken mit ihren Leitzinsen tun oder auch lassen. Sie buchen ihr Hotel so oder so.

So könnte die Gefahr zunehmen, dass die Zentralbanken mit noch höheren Leitzinsen einfahren müssen. Denn sie fürchten vor allem eins: dass die hohe Inflation zur Norm wird. Höhere Kosten würden von den Betrieben ungehemmt weitergegeben. Hoch die Preise! Die Arbeitnehmenden würden sich schadlos halten. Hoch die Löhne! Ist es einmal so, müssen Zentralbanken die Bazooka rausholen. Gopinath sagt: «Je länger die Inflation hoch bleibt, desto schwieriger könnte es werden, sie zu senken, und desto stärker müsste die Wirtschaft schrumpfen.»

Höhere Zinsen, zugleich eine Rezession - das könnte toxisch werden. Die EZB warnte vor einer «ungeordneten Korrektur» am Immobilienmarkt. Die Preise würden stärker fallen, als es eigentlich gerechtfertigt ist. Der IWF warnte vor Finanzkrisen. Banken und Versicherungen müssten darum streng überwacht werden. Dennoch müssten die Zentralbank ihre Leitzinsen so hoch anheben, wie für den Sieg über die Inflation nötig ist.

Keine Inflationsinsel der Glücksseeligen

Der Schweiz kann es nicht egal sein, wie der Kampf gegen die Inflation global verläuft. Vor allem, wenn die EZB noch viel härter durchgreifen müsste, gerät die SNB unter Zugzwang. Wie Alexander Rathke von der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) sagt: «Die SNB kann nicht zulassen, dass die EZB-Leitzinsen allzu viel höher sind als ihre eigenen.» Würde sie es tun, schwächt dies den Franken, die Importe würden teurer, die Inflation stiege über den Zielwert der SNB - und sie müsste handeln.

So weit ist es nicht. Zumindest erwartet die KOF nicht, dass es dazu kommt. Doch in ihrer Hauptprognose findet sich auch keine Rückkehr zu den Tiefzinsen. Sondern die SNB wird ihre Leitzinsen noch von 1.5 auf 2 Prozent erhöhen - und dort belassen bis mindestens Ende 2024. Ebenso wenig gibt es vor dem Jahr 2025 in den USA oder der Eurozone eine Zinswende nach unten. Es wird also gemäss KOF noch dauern, bis die Inflation wieder unter Kontrolle ist. (aargauerzeitung.ch)

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Warum dich die Inflation betrifft & was der Leitzins damit zu tun hat – kurz erklärt
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70 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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daene
03.06.2023 20:08registriert April 2019
„So könnten bald die Löhne stark steigen und so die Inflation befeuern.“

Der Arbeitnehmer darf nicht zu viel verdienen, sonst kostet alles mehr und er kann es sich nichts mehr leisten.
Also verdient er weniger, und kann sich trotzdem nichts mehr leisten.
Egal wie, der einfache Arbeiter ist der Dumme..
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Vision2060
03.06.2023 23:13registriert April 2021
Könnte auch sein, das die Preissteigerung eine Folge der Gewinnmaximierung der Konzerne ist? Mit dem Verweis auf Korona und Krieg? Ein Schelm wer Böses denkt…
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Rethinking
04.06.2023 07:07registriert Oktober 2018
Und die Arbeitnehmer fahren einen stets steigenden Reallohnverlust ein, weil die Arbeitgeber keinen angemessenen Teuerungsausgleich bezahlen…
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