Als vor fünf Jahren die Covid-Pandemie ausbrach, löste das einen globalen Crash an den Finanzmärkten aus. Auch der Ölpreis rauschte in den Keller, ebenso die Konsumentenstimmung. In erstaunlich kurzer Zeit jedoch war alles wieder gut. Die Regierungen handelten rasch und schnürten Hilfspakete, die ein Abgleiten in eine Rezession oder gar eine Depression verhinderten. Ökonomen sprachen von einer V-Erholung, weil in kurzer Zeit an den Finanzmärkten fast alles wieder so war wie vor Ausbruch der Pandemie.
Als Donald Trump am 2. April am «Befreiungs-Tag» seine absurde Zoll-Tafel in die Höhe hielt, wiederholte sich die Geschichte. An den Finanzmärkten war erneut der Teufel los, ebenso trübte sich auch die Stimmung der Konsumenten ein. Doch diesmal lassen sich die Investoren nicht beirren. Sie glauben, die Lektion der Pandemie gelernt zu haben. «Buy the dip» lautet die Losung, will heissen: Jetzt ist der Moment für Schnäppchen-Käufe gekommen. Deshalb sind die Verluste an den Aktienbörsen zu einem guten Teil wieder aufgeholt worden.
Die zweite V-Erholung scheint Tatsache zu sein. Oder auch nicht. Professionelle Investoren warnen vor Optimismus. So etwa Ives Bonzon, Anlagechef der Bank Bär. In einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» spricht er vom «surrealsten Börsenrally, das ich in meiner 36-jährigen Karriere erlebt habe».
«Viele Anleger – speziell Kleinanleger – haben den Taucher im Anschluss an den ‹Liberation Day› für Zukäufe genutzt», so Bonzon. «Sie glauben offenbar, dass es mit den Zöllen so sein wird wie mit der Covid-Krise von 2020 und wie zuvor mit jedem Kurssturz seit der Finanzkrise von 2008: Die Börse erholt sich und erklimmt neue Höhen. Ich halte das für eine Fehleinschätzung.»
Bonzon ist kein einsamer Rufer in der Wüste. Dan Ivascyn, Anlagechef bei Pimco, einem Anleihe-Giganten, schlägt in der «Financial Times» ähnliche Töne an. «Viele glauben, es gebe einen Ausweg aus der Zoll-Situation, und dass wir bald wieder Zustände wie vor dem ‹Liberation Day› haben werden. Ich bin mir da alles andere als sicher.»
Auch der «Economist» warnt in seiner Business-Kolumne «Schumpeter» vor Vergleichen mit der Pandemie: «Wenn dies bloss so wäre. Leider jedoch sind die Konsequenzen von Trumps Kriegstreiberei für die amerikanische Wirtschaft diesmal wahrscheinlich weit tiefgreifender – und lange anhaltend.»
Selbst Jerome Powell, Präsident der US-Notenbank, der Fed, blickt pessimistisch in die Zukunft. Weil er wegen der Trump’schen Zollpolitik ein Ansteigen der Inflation befürchtet, senkt er die Leitzinsen bis auf Weiteres nicht. «Die massive Erhöhung der Zölle, die verkündet und auch umgesetzt wurden, erhöhen das Risiko, dass die Inflation steigen, das Wirtschaftswachstum sich verlangsamen und die Arbeitslosigkeit zunehmen werden», erklärte Powell gestern an einer Pressekonferenz.
Damit dürfte der Fed-Präsident erneut den Zorn des US-Präsidenten auf sich gezogen haben. Die Anleger hingegen zeigen sich unbeeindruckt. Weil sich am Wochenende der amerikanische Finanzminister Scott Bessent und He Lifeng, der stellvertretende Premierminister Chinas, zu ersten Gesprächen in Genf treffen, erwarten sie ein baldiges Ende des Handelskrieges der beiden Grossmächte.
Die Erwartungen der Investoren stehen auf wackligen Füssen. Bisher konnten sich die beiden Streithähne nicht einmal darauf einigen, wer wen zu diesen Gesprächen eingeladen hat. Es ist unwahrscheinlich, dass es zu einer baldigen Einigung kommen wird. «Im Zollstreit mit China hat sich Trump verpokert», glaubt auch Bonzon.
Finanzmärkte können sich rasch erholen, die reale Wirtschaft weniger. Genau dort jedoch braut sich ein perfekter Sturm zusammen, insbesondere für die kleineren und mittleren Unternehmen. Viele von ihnen sind auf Gedeih und Verderben auf die chinesischen Importe angewiesen.
Seit Ausbruch des Handelskrieges treffen diese jedoch nicht mehr ein – oder sie sind unerschwinglich geworden. In der zweiten Aprilhälfte sind gemäss Analysen der Citigroup, einer Bank, rund ein Drittel weniger Container-Schiffe von China in Richtung USA ausgelaufen. CEOs von WalMart, Homedepot und Target warnen daher bereits davor, dass viele Regale in ihren Läden schon bald leer sein werden.
Geradezu apokalyptische Töne schlägt derweil Ryan Peterson an, und seine Stimme hat Gewicht. Er ist der CEO von Flexport, einem Unternehmen, das den Transport von chinesischen Waren für die KMU organisiert und das dank einer technisch hoch entwickelten Plattform die Handelsströme präzis verfolgen kann.
Im «Wall Street Journal» warnt Petersen: «Falls sie nicht bald die Zölle ändern, werden wir erleben, dass ein Asteroid die amerikanische Wirtschaft zerstören wird. Nur werden diesmal nicht die Dinosaurier aussterben, sondern dynamische, gesunde Unternehmen.»
Präsident Trump versucht derweil, die Gefahr kleinzureden. Er hat mehrmals erklärt, vielleicht müssten die amerikanischen Mädchen sich kommende Weihnachten mit zwei, drei Puppen begnügen und nicht mit dreissig oder mehr. Diese saloppen Äusserungen sind nicht sehr gut angekommen, zumal die reale Gefahr für die KMU gross ist. Peterson spricht davon, dass tausende von amerikanischen Unternehmen bald bankrottgehen und Millionen von Amerikanern ihren Job verlieren werden.
Selbst bei den multinationalen Konzernen zeigen sich erste Bremsspuren. So hat Toyota, der grösste Autohersteller der Welt, soeben verkündet, dass seine Gewinne innerhalb von nur zwei Monaten um 1,3 Milliarden Dollar eingebrochen sind.
Trump selbst muss sich keine Sorgen machen. Sein Geschäft boomt, er ist im Begriff, der grösste Abzocker der amerikanischen Geschichte zu werden. Dank seiner sogenannten Memecoins – einer Kryptowährung, deren einziger Zweck darin besteht, den Präsidenten zu bestechen – fliessen hunderte von Millionen Dollar in seine private Schatulle.
Trump hat dabei jegliche Schamgrenzen über Bord geworfen. Neuerdings verspricht er gar, die 25 grössten Käufer seiner Kryptowährung zu einem Diner einzuladen. Er erklimmt damit einen neuen Gipfel der Korruption. Joel Khaliji, ein Journalist des Tech-Magazins «Wired», formulierte es in der «New York Times» wie folgt:
«Indem Donald Trump einem Dinner mit den grössten Investoren in seine eigene Währung zugestimmt hat, hat er auch den Trump-Coin in etwas völlig anderes verwandelt: zu einem Mittel, Zugang zum Präsidenten zu erhalten. Was Bestechung und Korruption betrifft, könnte sich Trump als Konsequenz davon im Widerspruch zur Verfassung befinden.»
Der Schaden ist ja schon jetzt immens gross!