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Krieg und Zerstörung in der Ukraine: Das sind die Folgen für das Klima

A Ukrainian soldier inspects a damaged Russian cannon in the recently retaken village Chornobaivka near Kherson, Ukraine, Tuesday, Nov. 15, 2022. (AP Photo/Efrem Lukatsky)
Krieg und Konflikte haben nicht nur auf die Menschen vor Ort katastrophale Auswirkungen – sie treiben auch die Klimakrise weiter voran.Bild: keystone

Krieg und Zerstörung in der Ukraine: Das sind die Folgen für das Klima

17.11.2022, 20:47
Josephine Andreoli / watson.de
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Seit knapp neun Monaten verursacht Putin mit seinem Angriffskrieg in der Ukraine Tod, Leid und Zerstörung. Laut Expert:innen hätte der Krieg schon mehrfach beinahe zu verheerenden Umweltkatastrophen geführt: Etwa als russische Streitkräfte tagelang das Asow-Stahlwerk im Osten der Hafenstadt Mariupol bombardierten.

«Da der Krieg noch andauert, sind die zusätzlich verursachten CO₂-Emissionen derzeit noch nicht einschätzbar.»
Osteuropa- und Klimaexpertin der SWP, Astrid Sahm

Denn neben den Atommeilern stellen auch die vielen Stahl- und Chemiefabriken sowie Bergwerke eine Gefahr in Kriegsgebieten dar: Stehen sie unter Beschuss, können giftige Dämpfe und Substanzen freigesetzt werden – mit fatalen Folgen für die Umwelt.

Kriege verursachen viel CO₂– durch Bomben, aber auch den Wiederaufbau

Doch Krieg, Rüstung und Militär bringen nicht nur katastrophale Auswirkungen für die Menschen und Umwelt vor Ort mit sich – sie treiben auch eine weitere Krise mit gravierenden Folgen an: die Klimakrise.

Locals residents carry a boxes and sacks of food distributed by the United States Agency for International Development (USAID), in Kachoda, Turkana area, northern Kenya, Saturday, July 23, 2022. Saman ...
Durch Kriege steigt die CO₂-Konzentration in der Atmosphäre an – und befördert so Krisen auf der Welt.Bild: keystone

«Da der Krieg noch andauert, sind die zusätzlich verursachten CO₂-Emissionen derzeit noch nicht einschätzbar», sagt Astrid Sahm, Osteuropa- und Klimaexpertin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), gegenüber watson. Eines aber weiss die Expertin schon jetzt sicher: Die CO₂-Emissionen – und damit ihre Auswirkungen auf die Erderwärmung – sind allein aufgrund ihrer Vielfältigkeit «sehr gravierend».

Verursacht werden zusätzliche kriegsbedingte CO₂-Emissionen Sahm zufolge allem voran durch die folgenden Punkte:

  • Durch die militärischen Einsätze in den Krisengebieten
  • Durch Kriegszerstörungen
  • Durch die Umsteuerung der Energiepolitik in den westlichen Staaten weg von russischen Energielieferungen
  • Durch Änderungen globaler Lieferketten und der Nahrungsmittelproduktion
  • Durch die kriegsbedingte Blockade der internationalen Klimapolitik

Die Umweltzerstörung durch Bomben, Verminung und weitere Kriegshandlungen sei «erheblich», auch werde der Wiederaufbau nach dem Krieg zu zusätzlichen CO₂-Emissionen führen. Sahm erklärt dazu gegenüber watson:

«Es gibt Schätzungen vom Sommer 2021 für Syrien, dass ein Wiederaufbau von zehn Prozent des vorhandenen Gebäudebestandes, der im Krieg bis dahin zerstört wurde, allein 22 Millionen Tonnen CO₂-Emissionen zusätzlich erzeugen würde. In der Ukraine sind derzeit bereits ein Drittel der Infrastruktur im Transport- und Energiewesen zerstört, hinzu kommen unzählige Fabriken und Gebäude. Es ist hier also mit einem erheblichen Mehrausstoss zu rechnen.»

Und damit nicht genug: Durch die Zerstörung der Infrastruktur im Energiewesen dürften zur Stromerzeugung und zum Heizen verstärkt Dieselgeneratoren und Holz in der Ukraine verwendet werden – und damit für zusätzliche CO₂-Emissionen sorgen.

Einhaltung des 1.5-Grad-Ziels durch Ukraine-Krieg weniger realistisch

Ein Grund dafür, den Kopf in den Sand zu stecken, sei das aber nicht. Die Krise berge immerhin auch das Potenzial, dass zumindest ein Teil der CO₂-Emissionen durch einen energieeffizienten Wiederaufbau, der Klimaaspekte «maximal berücksichtigt», aufgefangen wird. «Die zentrale Frage ist, ob dieser Effekt noch rechtzeitig kommt, ehe der Kipppunkt für den Klimawandel im Hinblick auf den Anstieg der Durchschnittstemperatur erreicht ist», merkt Sahm an.

Sie ergänzt:

«Kurzfristig ist das 1.5-Grad-Ziel definitiv weniger realistisch als vor dem Krieg. Mittelfristig bestehen jedoch Chancen für den Klimaschutz.»

Viel wichtiger als die unmittelbaren Folgen des Krieges sind die mittel- bis langfristigen Veränderungen, insbesondere mit Blick auf die Energiepolitik. Denn um sich von den Gaslieferungen Russlands unabhängig zu machen, planen zahlreiche westliche Länder derzeit, auf andere Energiequellen und -lieferanten umzusteigen.

Gelingt die Energiewende dadurch schneller, ist die kurzzeitige Laufzeitverlängerung von Kohlekraftwerken etwa in Deutschland das weitaus geringere Übel.

A Ukrainian soldier helps a wounded fellow soldier on the road in the freed territory in the Kharkiv region, Ukraine, Monday, Sept. 12, 2022. Ukrainian troops retook a wide swath of territory from Rus ...
Der Krieg in der Ukraine bringt eine Menge Zerstörung mit sich und verursacht so zusätzliche CO₂-Emissionen.Bild: keystone

1.5-Grad-Ziel selbst in Friedenszeiten wohl ausser Reichweite

Patrick Flamm, Senior Researcher am Leibniz Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), ist da weniger optimistisch. An die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens glaubt er selbst im Falle der internationalen Zusammenarbeit verfeindeter Staaten nicht mehr. Gegenüber watson sagt er:

«Das 1.5-Grad-Ziel ist wohl leider bereits auch in Friedenszeiten ausser Reichweite. Allein dadurch, dass die globale Wirtschaft trotz aller Bemühungen bisher nach wie vor auf fossilen Brennstoffen beruht. Die bisherige Klimapolitik war schlicht nicht ausreichend. Ob der Krieg dabei hilfreich ist, die notwendige internationale Zusammenarbeit im Klimaschutz zu befördern, sei mal dahingestellt.»

Flamm geht davon aus, dass der Krieg in der Ukraine zweierlei Effekte nach sich ziehen könnte:

  1. Der Krieg bremst oder stoppt wirtschaftliche Entwicklungen, was kurzfristig Emissionen mindern kann. Auch kann der Krieg zu einem beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien führen.
  2. Es wird vermehrt in fossile Infrastruktur investiert und der Ausbau von Atomkraft gefordert. Dazu kommt, dass beim Wiederaufbau kriegsverwüsteter Städte häufig auf «schnelle wirtschaftliche Erholung» statt auf nachhaltige Planung und Entwicklung gesetzt wird.
Steam rises from the coal-fired power plant near wind turbines Neurath near Grevenbroich, Germany, Wednesday, Nov. 2, 2022. (AP Photo/Michael Probst)
Windturbinen neben Kohlekraftwerk (in Deutschland): Ob der Krieg und die damit einhergehende Energiekrise die Energiewende beschleunigt, bleibt abzuwarten.Bild: keystone
«Dass Russland gezielt kritische zivile Infrastruktur wie Dämme, Kraftwerke und Nuklearanlagen angreift, ist sehr riskant für Mensch wie Natur.»
Patrick Flamm, Senior Researcher am HSFK

Und nicht nur das. Auch die Umwelt und die ukrainischen Ökosysteme würden unter dem Krieg leiden. «Kriegsschäden sind deshalb nicht nur im Bereich der Klimakrise zu befürchten, sondern auch bezüglich der Biodiversität und regionaler Verschmutzung», ergänzt Flamm. «Dass Russland gezielt kritische zivile Infrastruktur wie Dämme, Kraftwerke und Nuklearanlagen angreift, ist sehr riskant für Mensch wie Natur und völkerrechtlich nicht zulässig.»

Ist das Ausbleiben von Kriegen Voraussetzung für eine klimaneutrale Welt?

Kriege und Konflikte hätte es lange vor dem Wirtschaftswachstum durch fossile Brennstoffe gegeben, erklärt Experte Flamm. «Das Ziel sollte aber sein, Konflikte so zu lösen, dass dabei nicht das Leben auf dem Planeten Erde kaputtgeht, wie das im Falle eines Atomkrieges und nuklearen Winters ja auch der Fall sein könnte.»

«Wichtig ist dabei, dass eine globale Klimagerechtigkeit nicht aus den Augen verloren wird.»
Patrick Flamm, Senior Researcher am HSFK

Andererseits könnte die Klimakrise, die die Menschen auf der ganzen Welt betrifft, Flamm zufolge aber auch das Potenzial haben, die internationale Zusammenarbeit auch zwischen verfeindeten Staaten zu fördern. «Wichtig ist dabei, dass eine globale Klimagerechtigkeit nicht aus den Augen verloren wird, um die unvermeidlichen Konfliktfragen einer Dekarbonisierung der Weltwirtschaft nicht zu gewaltsamen Konflikten und Kriegen werden zu lassen.»

epa10303850 US Navy service members maintain an F-18 fighter jet on deck during Sunday break on the side of an exercise called Silent Wolverine on the USS Gerald R. Ford aircraft Carrier in Eastern At ...
Der Krieg in der Ukraine darf nicht zu einer Wett-Aufrüstung unter den Ländern führen.Bild: keystone

Auch Osteuropa- und Klimaexpertin Astrid Sahm betont, «dass Kriege und Klimaneutralität nicht vereinbar sind». Entsprechend wichtig sei es, dass die Lehren aus dem Krieg nicht in einer Wiederbelebung der Abschreckungspolitik durch Aufrüstung mündeten. «Vielmehr ist eine eingehende Reflexion erforderlich, warum internationale Mechanismen der friedlichen Konfliktregulierung in den letzten zwei Jahrzehnten so oft gescheitert sind und wie wirksame Mechanismen geschaffen werden können.»

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29 Kommentare
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Bynaus
17.11.2022 22:14registriert März 2016
Zahlen statt Adjektive! Dir einzige Zahl, die im Artikel vorkommt (Wiederaufbau Syrien) ist nicht sehr beeindruckend: 22 Mio Tonnen CO2 müssen mit den dast 40 Milliarden Tonnen, die pro Jahr in die Atmosphäre gelangen, verglichen werden. Jede Tonne ist eine zuviel, aber der Krieg ist nicht das eigentliche Problem. Unser Lebensstil ist es!
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Cpt. Jeppesen
17.11.2022 22:09registriert Juni 2018
Die 1.5 Grad wären auch ohne Krieg nicht einzuhalten, da unser CO2 Ausstoss jährlich wächst. Im Moment gehen viele Klimawissenschaftler von 3 Grad Erwährumung aus. Die Folgen davon, noch mehr Krieg. Inwiefern die Schlachtfelder des Ukrainekriegs zur Steigerung des CO2 Ausstosses beitragen, sei dahingestellt, dafür liegt der Rest der ukrainischen Wirtschaft flach. Viel schlimmer ist, Russland fackelt das eigentlich für Europa bestimmte Gas ab, weil sie es nicht liefern wollen/können. Europa wiederum bezieht sein Gas nun von woanders. Also wird doppelt so viel Gas verbrannt als nötig wäre.
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Schlaf
17.11.2022 21:24registriert Oktober 2019
Krieg ist einfach Scheiße im Quadrat.
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