Der Flughafen Zürich nannte den vergangenen Sonntag einen «Rekordtag» seit der Pandemie: Am ersten Wochenende der Zürcher Schulferien verzeichnete der Flughafen mehr als 100'000 Passagiere – an einem einzigen Tag. Und es dürfte laut dem Flughafen nicht der einzige Spitzentag während der Sommerferien bleiben, an dem diese Marke geknackt wird.
Die Schweizer Bevölkerung verreist in den heissen Monaten am liebsten mit dem Flugzeug. Generell liegt die Zahl der Flüge pro Kopf hierzulande etwa doppelt so hoch wie bei unseren Nachbarländern Deutschland und Österreich. Bei dem einen oder der anderen Reisenden dürfte dabei die Flugscham mitfliegen, ist doch hinlänglich bekannt, dass Fliegen dem Klima schadet.
Dieses schlechte Gewissen wird bald überflüssig sein, verspricht die Flugbranche. Dank neuer Technologien soll das Fliegen bis 2050 CO₂-neutral werden. Wie Swiss-Chef Dieter Vranckx jüngst im «Tagesgespräch» von Radio SRF sagte: «Es sollte künftig keine Flugscham mehr geben, weil wir grüner unterwegs sind.»
Ist das wirklich realistisch? Oder gleicht das Versprechen vom grünen Fliegen einem Luftschloss? Diese Frage hat eine neue Studie von Forschenden der ETH Zürich und des Paul Scherrer Instituts (PSI) untersucht, die in der Fachzeitschrift «Nature Communications» veröffentlicht wurde. Die Ergebnisse lassen sich in drei Nachrichten zusammenfassen: eine gute, eine schlechte und eine, die nachdenklich stimmt.
Die gute Nachricht: Die Forschenden halten das Ziel des klimaneutralen Fliegens für ambitioniert, aber nicht gänzlich unmöglich. Auch den technologischen Fortschritt, etwa bei der Entwicklung von nachhaltigen Treibstoffen, sehen sie als Anlass zur Hoffnung.
Die schlechte Nachricht: Ein sauberer Antrieb alleine reicht nicht aus. Um die Klimaziele zu erreichen, muss der globale Luftverkehr zurückgehen – und das ist gemäss aktuellen Prognosen höchst unwahrscheinlich. Nach Berechnungen des Airline-Dachverbandes Iata wird sich das globale Passagieraufkommen bis 2040 mehr als verdoppeln - auf rund 9 Milliarden Passagiere pro Jahr.
Und die nachdenklich stimmende Nachricht: Es braucht dringend eine einheitliche Definition, was mit Klimaneutralität beim Fliegen überhaupt gemeint ist. Denn das ist im Moment alles andere als klar. Üblicherweise konzentrieren sich die Berechnungen auf die reinen CO2-Emissionen, die bei der Verbrennung von Treibstoff entstehen.
Doch diese machen laut den Berechnungen der Forschenden nur einen Bruchteil des gesamten Klimaeffekts aus. Viel wichtiger – aber oftmals bei den Klimazielen nur unpräzise oder gar nicht eingerechnet – sind die sogenannten «Nicht-CO2-Effekte».
Die Flugzeuge stossen nämlich auch verschiedene weitere Stoffe aus, zum Beispiel Stickoxide und Russ, die zu Ozon und Methan reagieren, sowie Wasserdampf. Daraus bilden sich Kondensstreifen und Wolken, die Wärmestrahlen zurück auf die Erde reflektieren und diese somit erwärmen.
Zwar bauen sich diese Stoffe relativ schnell wieder ab, während CO2 jahrzehnte- bis jahrhundertelang in der Atmosphäre verbleibt. Doch ihre Anhäufung ist problematisch, wie Studienmitautorin Viola Becattini erklärt: «Durch den zunehmenden Flugverkehr summieren sich die Stoffe, anstatt schnell wieder zu verschwinden. So entfalten sie ihr gewaltiges Treibhauspotenzial dann doch über längere Zeiträume.» Und zwar unabhängig davon, ob die Flugzeuge mit fossilem oder sauberem Treibstoff unterwegs sind. Dagegen hilft vor allem eines: weniger Luftverkehr.
Die Erkenntnis, dass Nicht-CO2-Effekte eine grosse Klimawirkung haben, ist nicht neu. Doch im öffentlichen Diskurs blieb sie bisher massiv unterbeleuchtet. Das Thema ist wissenschaftlich noch vergleichsweise schlecht erforscht, wie die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz im April 2021 auf einem Faktenblatt festhielt.
Das Problem: Es ist schwierig zu bestimmen, wie sich die Nicht-CO2-Effekte auswirken. Zum einen sind sie stark abhängig von Faktoren wie Flughöhe, geografischer Lage, Tageszeit und Wettersituation. Und zum anderen verändert sich die Berechnung je nachdem, ob die Wirkung über 20, 50 oder 100 Jahre betrachtet wird, je nach technischer Entwicklung sowie je nachdem, wie stark der Flugverkehr zu- oder abnimmt.
Auch die Fluggesellschaft Swiss betont auf Anfrage, man sei sich bewusst, dass sich die «Gesamtauswirkungen des Luftverkehrs auf das Klima nicht nur auf die Wirkung von CO2 beschränken». Die Lufthansa-Tochter verweist darauf, dass die «Klimaeffekte aus Nicht-CO2-Emissionen wissenschaftlich wenig bekannt» seien. Der Wissensstand lasse noch keine Quantifizierung zu und ermögliche entsprechend auch «keine Zielsetzung und präzise Ableitung von Steuerungsmassnahmen».
Die Swiss und die Lufthansa-Gruppe würden sich an Forschungsprojekten beteiligen, die «speziell die Nicht-CO2-Effekte untersuchen und bewerten», wie die Airline weiter schreibt. «Dies mit dem übergeordneten Ziel, Transparenz zu schaffen und auch im Bereich Nicht-CO2-Emissionen entsprechende Minderungsmassnahmen zu implementieren.» Worin diese Forschungsprojekte konkret bestehen, beantwortet die Swiss jedoch nicht.
Das Fazit der Studie dürfte der Swiss und den anderen Airlines wenig Freude bereiten. Es lautet: Wenn die Luftfahrt bis 2050 Klimaneutralität erreichen will, muss der Flugverkehr im Vergleich zum heutigen Stand jedes Jahr um 0.2 bis 0.8 Prozent sinken – je nachdem, ob mit fossilem oder nachhaltigem Treibstoff geflogen wird. Neue Antriebe, klimaschonende Treibstoffe und das Herausfiltern von CO₂ aus der Atmosphäre, um es unterirdisch zu speichern, würden alleine nicht ausreichen.
Derweil bauen die Fluggesellschaften all ihre Hoffnungen - wie auch ihre PR-Strategien – auf neue Technologien. Forschende weltweit arbeiten daran, die herkömmlichen erdölbasierten Antriebe zu ersetzen, etwa durch Elektrobatterien, Brennstoffzellen oder die direkte Verbrennung von Wasserstoff. Doch diese Technologien stecken noch in den Kinderschuhen. Für grosse Flugzeuge sind sie bislang gänzlich ungeeignet. Zudem stellt sich etwa bei der Wasserstoffverbrennung das Problem, das dadurch die schädlichen Nicht-CO2-Klimaeffekte steigen.
Bleiben noch die nachhaltigen Treibstoffe. Künstliches Kerosin, das aus CO2 und Wasser hergestellt wird, soll fossile Treibstoffe ersetzen. Sofern bei der Herstellung erneuerbare Energie eingesetzt wird, ist es praktisch klimaneutral.
Doch Stand heute reichen die Produktionsmengen noch nicht annähernd aus, um die künftig stark steigende Nachfrage zu decken. Zudem ist die Herstellung um ein Vielfaches energieaufwendiger als bei herkömmlichem Kerosin – entsprechend ist sauberer Treibstoff auch vier- bis siebenmal teurer.
Klimafreundlicheres Fliegen kostet also mehr Ressourcen und Geld. Dies haben auch die Airlines erkannt. Viele von ihnen bieten die Möglichkeit, gegen einen Aufpreis den CO₂-Ausstoss zu «kompensieren». Doch wie Studienmitautor Romain Sacchi erklärt, ist dies Augenwischerei: «Viele dieser Kompensationsmassnahmen sind wirkungslos.» Um alle Klimaeffekte auszugleichen, müssten Flugtickets dreimal so viel kosten wie heute.
Bei der Swiss ist die Kritik an der «Flug-Kompensation» angekommen. Wie die Airline schreibt, bietet sie dieses Label «seit einiger Zeit» nicht mehr an. Auf der Website ist nun von «Ausgleich» statt «Kompensation» der Emissionen die Rede. Gegen einen Aufpreis kann die Swiss-Kundschaft - zumindest auf Flügen innerhalb Europas – einen «grünen Tarif» buchen. Damit kann sie in den Einsatz von nachhaltigen Treibstoffen sowie in Klimaschutzprojekte investieren. Laut der Swiss werden damit die CO₂-Emissionen um 20 Prozent reduziert und die restlichen 80 Prozent nun eben – «ausgeglichen». (aargauerzeitung.ch)
Es immer wieder erstaunlich wie viel das Märchen von Nachhaltigkeit glauben (wollen), um sich dann mit ein wenig Geld (Kompensation) aus der Verantwortung zu stehlen, bzw. das schlechte Gewissen zu beruhigen.