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Neue Studie: Energiewende benötigt kein Wunder – sondern 62 Billionen

epa10103049 A brown coal excavator removes layers of soil in the Tagebau Garzweiler daylight mine operated by German energy supplier RWE near Luetzerath, Germany, 02 August 2022. The German parliament ...
Vergangenheit und Zukunft in einem Bild: In Garzweiler wird Braunkohle gefördert, während im Hintergrund die Windkraftwerke erneuerbare Energie produzieren.Bild: keystone

Die Energiewende benötigt kein Wunder – sondern 62 Billionen Dollar

07.08.2022, 19:10
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Eine neue Studie der Universität Stanford zeigt: Die weltweite Energiewende ist bereits mit heutiger Technologie möglich – und sie kostet 62 Billionen Dollar. Diese scheinbar hohen Kosten amortisieren sich aber bereits innerhalb von sechs Jahren. Und damit sind die guten Nachrichten noch nicht beendet.

Das Modell

Wind turbines on a hill early Sunday morning near Bad Harzburg, Germany, Sunday, July 17, 2022. (AP Photo/Matthias Schrader)
Windturbinen bei Bad Harzburg, Deutschland.Bild: keystone

Die Studie untersuchte den Energiebedarf von 145 Ländern (verantwortlich für 99,7 % der CO2-Produktion) mit einem Raster von 30 Sekunden. Das enge Intervall ist neu für eine solche Studie. Somit können Tag- und Nachtrhythmus sowie jahreszeitenabhängige Bedürfnisse berücksichtigt werden. Ziel war es, eine Infrastruktur zu modellieren, welche diesen Bedürfnissen mit rein erneuerbaren Energien nachkommen kann, ohne dass es zu Stromlücken kommt.

Als legitime Erneuerbare werten die Autoren Wasser-, Wind- und Sonnenkraft, thermische Energie sowie Wellen- und Gezeitenkraft. Atomkraft gehört nicht dazu.

Für die Speicherung der Energie setzen die Autoren vor allem auf Batterien, aber auch auf Wärme- und Kälte-, Wasser- und Wasserstoffspeicher. Sämtliche Technologien existieren bereits. Wichtig zu erwähnen ist: Es handelt sich um eine Gesamtenergiestudie, nicht um eine Stromstudie. Dementsprechend umfasst sie auch den Verbrauch des gesamten Transportwesens, der Agrikultur, des Bauwesens, der Industrie und sogar des Militärs.

Die Hauptaussagen

epa10094448 An aerial photo taken with a drone shows solar panels on Germany's biggest floating photovoltaic plant on lake Silbersee in Haltern, Germany, 27 July 2022. More than 5,000 photovoltai ...
Deutschlands grösste schwimmende PV-Anlage auf dem Silbersee in Haltern.Bild: keystone

Laut den Studienautoren kann in jedem der 145 Länder mit heute existierenden Technologien die Energiewende geschafft werden. Es sind dafür weltweit Investitionen im Wert von 62 Billionen nötig. Was auf den ersten Blick nach einem enormen Betrag aussieht, stellt sich bei genauerer Betrachtung als erstaunlich kostengünstig heraus.

Elektrifizierung bedeutet in der Regel eine Effizienzsteigerung. In vielen zentralen Bereichen ist die elektrische Variante ungleich effizienter als ihr Pendant, das mit fossilen Brennstoffen angetrieben wird: bei Motoren, der Heizung (mit Wärmepumpen) und der Industrie zum Beispiel. Ausserdem fallen bei einem rein elektrischen System die Kosten für die Beschaffung und den Transport fossiler Energieträger weg. Alles in allem erwarten die Autoren von einem vollelektrischen System – sie nennen es «WWS» – eine Kostenreduktion von 63 Prozent. Weiter entlastend wirken bei WWS Kosteneinsparungen im Gesundheitswesen aufgrund sauberer Luft und geringere Folgeschäden aufgrund eines gebremsten Klimawandels.

Die Autoren kommen so zum Schluss, dass ein vollelektrisches System mit rein erneuerbaren Energien weltweit jährlich Einsparungen von 11 Billionen generiert. Die Investition von 62 Billionen wäre demnach in sechs Jahren amortisiert.

Das Modell für die Schweiz

ARCHIVBILD ZUM WATT D'OR --- Floating barges with solar panels are pictured on the "Lac des Toules", an alpine reservoir lake, in Bourg-Saint-Pierre, Switzerland, Tuesday, October 8, 20 ...
Auch in der Schweiz, hier in Bourg-Saint-Pierre, gibt es schwimmende PV-Anlagen. Im Alpenraum sind sie besonderns effizient.Bild: keystone

Die Autoren haben für alle untersuchten Länder einen Report produziert. Mit WWS könnte die Schweiz ab 2050 jedes Jahr 52 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Die Energiekosten würden um 60,6 Prozent zurückgehen (von 28,1 Milliarden auf 11,1 Dollar pro Jahr).

Investieren müsste die Schweiz dafür rund 75 Milliarden Dollar. Einen grossen Teil davon würde der massive Ausbau der bisher kaum vorhandenen Windkraft verschlingen. Hier sehen die Autoren in der Schweiz das grösste Potenzial. Die Windkraft müsste bis auf einen Leistungsnominalwert von 16,5 GW ausgebaut werden, was ca. 5500 neuen Windrädern (Typ Enercon E-82 E4 mit 84 Metern Höhe und 3,02 MW) entspricht. Zum Vergleich: Die Kapazität deutscher Windkraftwerke betrug 2020 gut 62,7 GW. Die Schweiz müsste also rund einen Viertel davon installieren.

Damit sind die Erkenntnisse der Stanford-Studie mit den Modellrechnungen einer 2021 erschienenen EPFL–Studie vergleichbar. Der Testfall der EPFL-Studie umfasst 4438 neue Windkraftwerke – bei einer maximalen technischen Obergrenze von 50’398 Anlagen in der Schweiz.

Das grösste Potenzial für Windkraft in der Schweiz befindet sich (in dieser Reihenfolge) im Jura, den Alpen und den Voralpen. 40 Prozent der Anlagen würden im Jura stehen.

Neben der Windkraft müsste auch der Ausbau von PV-Anlagen vorangetrieben werden. Die nominale Gesamtleistung müsste sich rund verzehnfachen, was angesichts der grossen Menge ungenutzter Dachflächen nicht unrealistisch erscheint. Doch auch hier befindet sich das grösste Potenzial im Alpenraum. Die Wasserkraft müsste nicht weiter ausgebaut werden.

In Sachen Energiespeicher müssten vorwiegend Batterien (4,8 TWh) und unterirdische Wärmespeicher (74 TWh) gebaut werden.

Sowohl bei der Stanford- als auch der EPFL-Studie handelt es sich um rein technische Analysen. Rein technisch wären die Möglichkeiten gegeben, die Energiewende in der Schweiz wie auch auf der gesamten Welt umzusetzen. Die Bereitschaft dazu – und dass wohl jedes einzelne der 5500 Windkraftwerke mit Rekursen torpediert würde – berücksichtigen beide Studien nicht.

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180 Kommentare
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Berggurke
07.08.2022 19:37registriert August 2015
Eigentlich ist es ganz einfach: Endlich mal den Finger aus dem A**** nehmen, nicht wegen jeder kleinen Unanehmlichkeit herumweinen ("das Windrad verstellt mir die Aussicht"), weg mit der Ideologie ("das Auto muss brumbrum"), Geld in die Hand nehmen (haben wir zum Glück genug in der Schweiz), und schon wäre die Sache mit der Energiewende bei uns in 10-15 Jahren machbar. Aber der Leidensdruck ist anscheinend immer noch nicht hoch genug...
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Troxi
07.08.2022 19:36registriert April 2017
75 Milliarden sind für die Schweiz notwendig. Das ist ca ein Bundesjahreshaushalt. Und die 62 Billionen entsprechen ca den zweifachen USA Staatsschulden. Damit man die Zahlen mal einordnen kann. Das klingt insgesamt machbar.
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Michel Henkel
07.08.2022 19:26registriert Juni 2019
Kann jemand diese Studie der SVP um die Ohren hauen? BitteDanke.
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