Anatolii P. ist jemand, der immer wieder Arbeitskräfte für einfache Tätigkeiten sucht. Auf Facebook und TikTok postet er unter Angabe seiner Telefonnummer Angebote für Hilfsarbeiter in einer Bäckerei oder zum Auffülllen von Regalen. Ruft man dort jedoch als Journalist an und fragt, ob er auch Kräfte gesucht hat, um Davidsterne auf Häuser in europäischen Ländern zu schmieren, legt er auf. Deutsche Presse, «not good».
Anatolii P. ist ein Geschäftsmann mit Büro in Chișinău in der Republik Moldau. In sozialen Medien postet er nicht nur Stellenangebote und Marketing-Sprüche, es gibt auch Bilder von ihm mit dem nationalistisch aufgeladenen russischen St.-Georgs-Bändchen und der Sowjetfahne.
Die französischen Behörden gehen davon aus, dass der Mitbegründer einer pro-russischen Partei zumindest ein kleines Rad in einem grossen Geheimdienstspiel war: Er soll Aufträge erteilt haben, Davidsterne an Hauswände zu sprühen – zumindest in Frankreich. In einem Hotel in Paris hatten zwei Paare eingecheckt, die dafür durch Frankreich gereist sein sollen. Ein Paar sitzt in Haft, das andere konnte das Land verlassen.
Die Erkenntnisse der Franzosen lassen ähnliche Vorfälle in Deutschland in einem anderen Licht erscheinen. Auch wurden etwa in Berlin und Dortmund Davidsterne an Wohnhäuser geschmiert, was für einen Skandal sorgte. Waren die Schmieraktionen auch in Deutschland gezielte Auftragsarbeiten – mit dem Zweck, Propaganda zu verbreiten und die Gesellschaft zu spalten?
In Frankreich setzte die Welle der antisemitisch anmutenden Sprühaktionen später ein als in Deutschland. Dafür wurde im Nachbarland professioneller vorgegangen: So verwendeten die Täter in den letzten Oktobertagen Schablonen des Davidsterns und blaue Farbe. Im aufstrebenden 10. Pariser Arrondissement zwischen Künstlercafés und Kneipen wurde ein Paar aus Moldawien dabei auf frischer Tat ertappt.
Die Begründung der beiden wirkt wenig glaubwürdig: Der Romantik wegen seien sie nach Paris gereist, gaben die 28-Jährige und der 33-Jährige bei ihrer Vernehmung an. Weil sie Russisch sprechen – in Moldau tun das viele Menschen – seien sie auf der Strasse angesprochen und gefragt worden, für etwa 50 Euro die Zeichen zu an Wände sprühen.
Laut der Zeitung «Le Monde» hat die Staatsanwaltschaft eine andere Theorie: Sie vermutet, dass das Paar ähnliche Missionen bereits in anderen europäischen Ländern durchgeführt hat. Ausserdem könnte es grossflächig Aufkleber zum Gaza-Krieg geklebt haben.
Was ausserdem stutzig macht: Das Paar aus Moldawien war mit einem weiteren Paar unterwegs, das in verschiedenen Städten sprühte, aber Frankreich rechtzeitig verlassen konnte. Gesprüht wurde von beiden Paaren offenbar wahllos, nicht gezielt an die Häuser von Juden.
Handydaten zeigten, dass die vier untereinander kommunizierten, berichtet «Le Monde». Dabei besonders auffällig: Beide Paare hatten demnach Kontakt zu Anatolii P., dem Mann aus Chișinău. Und das festgenommene Paar verschickte Fotos, um zu beweisen, dass die Arbeit getan sei. Zwei Bilder aus Paris tauchten dann am 28. Oktober koordiniert in diversen Bot-Accounts auf Twitter und Facebook auf.
Die Texte waren weitgehend neutral gehalten: «Es ist eine unnötige Provokation, die die Situation nur noch mehr polarisiert», «Frankreich ist das Land der Brüderlichkeit, der Freiheit und der Gleichheit» war auf Französisch zu lesen. Aber auch in einem deutschsprachigen Posting stand: «Es ist beunruhigend zu sehen, wie sich der Konflikt auf andere Teile der Welt ausbreitet».
Die Ausbreitung geschah in diesem Fall im Dienste eines riesigen pro-russischen Netzwerks: Die beteiligten Accounts – inzwischen zumindest teilweise gelöscht – waren an einer Desinformationskampagne beteiligt, die t-online aufgedeckt hatte: Seit Mai 2022 tauchen zum Teil frei erfundene Meldungen auf täuschend echt nachgebauten Onlineseiten bekannter Nachrichtenmedien auf. «Doppelgänger» wird die koordinierte Kampagne deshalb genannt.
Entstanden aus dem Nichts ist auch die Seite «Reliable Recent News», die in mehreren Sprachen anti-westliche und anti-ukrainische Stimmung macht. Deren Inhalte hatten die Accounts mit den Davidstern-Fotos auch verbreitet, so «Le Monde». Und weil sie die Fotos posteten, als noch kein Medium berichtet hatte und «Le Monde» auch die Bilder nirgends sonst finden konnte, scheint klar: Die Sprayer müssen an der Verbreitung der Bilder beteiligt gewesen sein.
Anders war es in Deutschland bei dem ersten Fall, der öffentlich wurde und Fassungslosigkeit auslöste: Die deutsch-jüdische «Bild»-Journalistin Antonia Yamin postete am Morgen des 13. Oktober das Foto eines Davidsterns aus Berlin. Eine 26-jährige jüdische Frau hatte die Markierung am Vorabend an ihrer Wohnungstür im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg entdeckt. Sie fotografierte die Szene, postete das Bild in eine Gruppe von Israelis, in der Yamin es sah und sie kontaktierte. So schildert es Yamin t-online.
Ganz ohne jede künstliche Verstärkung verbreitete sich das Bild nach dem Posting der Reporterin rasend schnell und war in allen Medien zu finden.
Inzwischen sind dem Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus e. V. (Rias) in Berlin zwölf ähnliche Fälle bekannt. Davidsterne waren mal klein hinter einen Namen gemalt, mal gross an einer Hauswand, in verschiedenen Farben. «Eine einheitliche Handschrift ist in Berlin nicht eindeutig erkennbar», sagt dazu Julia Kopp, Projektreferentin bei Rias Berlin.
Dafür bei fünf Fällen in Dortmund. Die Davidsterne dort wurden schon vor dem in Berlin gesprüht. Bekannt wurden die Fälle aber erst Tage später am 16. Oktober, als es wegen des Berliner Geschehens längst grosse Aufmerksamkeit gab. Dortmunds Polizei informierte: Zwischen dem 11. Oktober, 18 Uhr, und dem 12. Oktober, 16.45 Uhr, waren in mehreren benachbarten Strassen Davidsterne wahllos an Häuser gesprüht worden.
Rias ist nicht bekannt, dass in einem der früheren Zechenhäuser tatsächlich jüdische Menschen wohnen. Wenn die wahllosen Sprayattacken eine gesteuerte Aktion gewesen sein sollte: Es war nicht nötig, den Fall künstlich mit Bots publik zu machen. Deutschland sprach schliesslich schon wegen Berlin über das Thema.
Gibt es auch in Deutschland einen möglichen Russlandbezug? Manches spricht dafür, manches dagegen – und die Polizei hält sich noch völlig zurück. Polizei Berlin und Polizei Dortmund kündigten auf Anfragen von t-online vom Mittwochmorgen zeitnahe Antworten an. Der Staatsschutz ist viel beschäftigt im Moment.
Und die russische Agitationsseite «Reliable Recent News» aus dem «Doppelgänger»-Netzwerk verbreitet in Artikeln zum Antisemitismus in Europa: «Die Behörden sind absolut machtlos; Sie können nicht einmal ihre eigenen Bürger schützen, wenn eine echte Bedrohung auftritt.»
In einem Text zitiert die Seite Johannes Winkel, den Bundesvorsitzenden der «Jungen Union». Winkel hatte es eine «beispiellose Schande» genannt, dass «in Deutschland Häuser, in denen Juden leben, nach 80 Jahren wieder mit dem Davidstern markiert» werden. Das russische Propagandamedium griff einen Satz aus einem Interview mit der «Bild» heraus: «Für Juden ist der Alltag in Israel trotz Raketenhagels der Hamas sicherer als in den Grossstädten Deutschlands, Frankreichs und Englands.»
Zumindest im 10. Pariser Arrondissement sind die Bürgerinnen und Bürger offenbar auch nicht sicher vor mutmasslich russischen Graffiti-Grüssen aus Chișinău in der Republik Moldau. Wobei das alles falsch verstanden worden ist, wenn es nach Anatolii P. geht: Die Davidsterne seien eine Aktion zur «Unterstützung der Juden Europas». Im Laufe des Tages hatte er dann doch zumindest mit einem französischen Journalisten der «Liberation» geredet.
(t-online/dsc)
Lasst uns einfach unbeeindruckt unsere Werte pflegen und kommunizieren und keinen Unterschied machen woher jemand kommt, sondern welche Werte er trägt.
Das Niveau mancher Menschen hat im Keller noch Höhenangst!
Vermutlich war es Liechtenstein.