Dass Russland seine Wirtschaft auf die Produktion von Waffen und weiterem Kriegsgerät ausgerichtet hat, ist mittlerweile bekannt. Glaubt man Verteidigungsminister Boris Pistorius, so sind die russischen Pläne allerdings weitreichender als allgemein angenommen: Nach seiner Einschätzung produziert Russland bereits Waffen und Munition, die über den Bedarf für den Angriffskrieg gegen die Ukraine hinausgehen.
Registriert werde, wie mit steigenden Rüstungsausgaben und einer Anordnung der Kriegswirtschaft «ein grosser Teil oder ein Teil dessen, was neu produziert wird, gar nicht mehr an die Front geht, sondern in den Depots landet», sagte Pistorius in der ARD-Sendung «Maischberger».
Er warnte zugleich vor weiteren militärischen Ambitionen von Russlands Präsident Wladimir Putin. Pistorius sagte:
Pistorius war gefragt worden, ob er Einschätzungen der baltischen Republiken teile, wonach Russland in wenigen Jahren zu einem Angriff auf Nato-Gebiet bereit sein könnte. Der SPD-Politiker sagte, dies sei am Ende ein Blick in die Glaskugel.
Dass Russland möglicherweise auch über die Ukraine hinaus weitere Länder als Ziel ins Auge gefasst hat, darüber gibt es immer wieder Spekulationen. Doch was ist konkret über die Planungen Russlands bekannt?
Der Verteidigungsminister hat bereits in der Vergangenheit mehrfach davon gesprochen, dass er einen Angriff Russlands auf weitere Länder für möglich halte. Es mag aus jetziger Sicht zwar unwahrscheinlich sein, sagte Pistorius im Januar dem «Tagesspiegel». In der Zukunft könne sich das allerdings ändern:
Ähnliche Einschätzungen sind von vielen hochrangigen westlichen Militärs und Politikern zu hören. Allerdings unterscheidet sich dabei immer wieder der konkrete Zeitrahmen. Die «Financial Times» berichtete etwa im Februar, dass Russland seine Truppenstärke an den Grenzen zu Finnland und dem Baltikum verdoppeln will, und sich damit auf einen Konflikt mit der Nato innerhalb der nächsten zehn Jahre vorbereitet. Entsprechende Informationen habe die Zeitung vom estnischen Geheimdienst erhalten.
Der dänische Verteidigungsminister Troels Lund Poulsen sprach im Februar davon, es sei nicht auszuschliessen, dass Russland bereits in drei bis fünf Jahren den Artikel fünf des Nato-Vertrags und damit die Bündnistreue der Partnerstaaten auf die Probe stellen könnte. «Das war nicht die Einschätzung der Nato im Jahr 2023. Das sind neue Erkenntnisse, die jetzt in den Vordergrund treten», sagte Poulsen. Der Vorsitzende des Militärausschusses in der Nato, Rob Bauer, sprach dagegen davon, ein Zeitrahmen von drei bis sieben Jahren sei eine Periode, die die meisten Experten in den Nato-Staaten für realistisch halten.
Russland selbst hat die Pläne zu Angriffen auf weitere Länder bisher dementiert. Präsident Wladimir Putin sagte vor rund einem Monat vor Luftwaffenpiloten, die Vorstellung, dass Russland irgendein anderes Land angreifen werde wie Polen, Tschechien oder das Baltikum, sei «völliger Unsinn». Allerdings sind solche Behauptungen von russischer Seite auch schon vor Beginn der Vollinvasion in der Ukraine bekannt. «Ich kann versichern, dass keine russischen Truppen mit den Vorbereitungen für eine Invasion in die Ukraine beschäftigt sind», sagte etwa im Dezember 2021 der russische EU-Botschafter Wladimir Tschischow der «Welt.»
Fakt ist jedenfalls, dass Russland seine Wirtschaft inzwischen auf die Produktion von Waffen, Munition und weiterem Kriegsgerät ausgerichtet hat. Pro Tag arbeiteten die Unternehmen in drei Schichten, sagte Putin in seiner Rede an die Lage der Nation Ende Februar. Laut der Prognose des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) wird die russische Wirtschaft in diesem Jahr um 2,8 Prozent wachsen und nächstes Jahr mit 2,5 Prozent etwas langsamer expandieren.
Putin könne in dieser Boomphase auf sprudelnde Steuereinnahmen zurückgreifen, sagte Vasily Astrov vom WIIW am Mittwoch. «Putin wird das Geld für den Krieg nicht ausgehen», meinte der Russland-Experte. «Für die russische Wirtschaft stellt sich eher die Frage, was nach dem Krieg kommt, da sie momentan vollkommen von ihm abhängig ist», sagte Astrov.
Die Szenarien variieren allerdings auch deshalb, da der weitere Kriegsverlauf grundlegend von den Entwicklungen in der Ukraine abhängig sein dürfte. «Verliert Russland den Krieg, wird die russische Führung neu kalkulieren müssen. Ihre Aufmerksamkeit und Ressourcen würden wahrscheinlich weiter in die Ukraine gehen, Europa würde aus dem Fokus geraten», sagte der Chef des estnischen Geheimdienstes, Kaupo Rosin, kürzlich in einem Interview zu t-online. Bei einem Sieg Russland würde sich das Ganze aus Rosins Sicht anders darstellen:
Was los sein wird, wenn ein NATO-Land angegriffen wird, möchte ich mir nicht ausmalen.
Fakt ist, sollte die Ukraine fallen, steht Putin mit einem Bein fest in Europa und kann ganz anders Krieg gegen den Westen führen.
Pistorius sollte seinem Chef schleunigst die Augen öffnen und ihm seine Ängste vor Putin nehmen, dass sich die Ukraine endlich aussichtsreich Verteidigen kann.