Venezuela: «Was Trump gerne macht, ist, Bomben abzuwerfen»
DIE ZEIT: Mr. Smilde, die Krise zwischen den USA und Venezuela spitzt sich immer weiter zu. Erst waren es Angriffe auf angebliche Drogenboote durch das US-Militär, zuletzt dann die Beschlagnahmung eines Öltankers. Welchem Ziel folgt diese Eskalation?
David Smilde: Plan A von US-Präsident Donald Trump ist, die militärische Stärke in der Region so weit hochzufahren, dass Venezuelas Machthaber Nicolás Maduro flieht und seine Regierung zurücktritt. Es geht den USA darum, glaubhaft zu machen, dass ein Angriff unmittelbar bevorsteht. Das Ganze könnte aber auch ein Bluff sein.
ZEIT: Bluff oder nicht – was, wenn der Plan nicht funktioniert? Werden die USA dann Ziele in Venezuela angreifen, wie von Trump angedroht?
Smilde: Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass US-Soldaten in Venezuela eindringen. Ich denke auch nicht, dass es Pläne für eine längere Besatzung gibt. Was Trump gerne macht, ist, Bomben abzuwerfen: diesen Sommer im Iran, während seiner ersten Amtszeit in Syrien.
ZEIT: Wann ist der Punkt erreicht, an dem wir von einem Krieg sprechen sollten?
Smilde: Wenn es einen US-Angriff gibt und einen venezolanischen Gegenangriff – das wäre ein Krieg. Aber einfach nur Bomben abzuwerfen, wie es auch im Iran passiert ist, das ist eigentlich kein Krieg. Das ist einfach nur ein Angriff.
ZEIT: Sie halten es für wahrscheinlich, dass die USA Venezuela bombardieren?
Smilde: Ich halte das für sehr gut möglich.
ZEIT: Was würde das bedeuten?
Smilde: Es wäre ein düsteres Szenario, das im Land zu einem Bürgerkrieg führen könnte, zu chaotischen Zuständen, ähnlich wie auf Haiti. Demokratie lässt sich durch die Art von minimalistischer militärischer Intervention, die Donald Trump vorschwebt, kaum erreichen. Die Soziologie der Macht ist deutlich komplizierter.
ZEIT: Würde dieser Plan B, eine Bombardierung Venezuelas, den USA denn Zugang zu den Ölreserven des Landes verschaffen?
Smilde: Das ist schwer zu sagen. Vielleicht würde sich Maduro in so einem Fall auf Verhandlungen einlassen. Vielleicht würde Trump ihm gestatten, noch für eine Weile an der Macht zu bleiben, wenn er alle bestehenden Verträge und Abkommen mit China und Russland aufkündigt und stattdessen die USA privilegierten Zugang zu Venezuelas Öl hätten.
ZEIT: Was verspricht sich Trump ausserdem von einem Regimewechsel?
Smilde: Er könnte über Venezuela als neuen Aussenposten der USA verfügen. Lateinamerika als Hinterhof der USA, ganz so, wie es die neue nationale Sicherheitsstrategie vorsieht.
ZEIT: Russlands Machthaber Wladimir Putin hat Maduro kürzlich in einem Telefonat seine Unterstützung zugesichert. Würde Russland – und auch China – einen Angriff auf Venezuela einfach so geschehen lassen?
Smilde: Ich denke nicht, dass Russland und China in bedeutender Weise eingreifen würden. Obwohl Venezuela auch für Russland strategisch wichtig ist, sind Putins Hände wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine gebunden. China pflegt gute Beziehungen zu Venezuela, ja, diese sind aber deutlich abgeflaut. Auch wegen des politischen und wirtschaftlichen Chaos, das Maduro angerichtet hat.
ZEIT: Woran stört sich China genau?
Smilde: China bemüht sich um eine Vorreiterrolle bei der Unterstützung von Schwellen- und Entwicklungsländern. Sie sind an einem guten Image interessiert. In Lateinamerika ist Venezuela das Land, dem sie am meisten Geld gegeben haben – und es ist ein Desaster. Deswegen ist China Maduro zuletzt bei der Verlängerung von Krediten oder anderen Hilfen nicht mehr entgegengekommen. Sie halten ihn für eine Belastung.
ZEIT: Wenn Russland und China sich nicht einmischen würden, was hält Trump zurück?
Smilde: Die Umfragen. US-Amerikanerinnen und -Amerikaner sind mehrheitlich gegen ein militärisches Vorgehen gegen Venezuela. Zeitgleich sind auch Trumps eigene Beliebtheitswerte schlecht. Er muss sich fragen, ob das wirklich der Zeitpunkt für Militärschläge ist. Andererseits ist Trump in seiner zweiten Amtszeit, er muss nicht um seine Wiederwahl fürchten – und in den letzten Monaten hat er ständig Dinge gemacht, die in seiner ersten Amtszeit noch undenkbar gewesen wären.
ZEIT: Das Best-Case-Szenario für Trump wäre also, dass Maduro einfach verschwindet?
Smilde: Genau, wenn Maduro einfach ins Exil nach Russland ginge. Dann könnte Trump sagen: Schaut her, ihr schwächlichen Demokraten, Frieden durch Stärke, ich hab's euch doch gesagt!
ZEIT: Welche anderen Möglichkeiten zur Deeskalation könnte es geben?
Smilde: Genauso realistisch ist es, dass Trump die Geduld verliert und sagt: Es geht hier seit jeher nur um Bekämpfung des Drogenschmuggels, und den haben wir jetzt ausgemerzt. Das würde dazu passen, dass Trump des Öfteren betont hat, dass er eigentlich nicht an Regimewechseln interessiert ist. Trump könnte sich auch für eine Bombardierung Venezuelas entscheiden und nachher behaupten, man habe nur Drogenlabore und Landebahnen für Drogenkuriere angegriffen. Auch im Iran haben die USA nach den Bombardierungen der Atomanlagen ja keinen Regimewechsel erwirkt. Zudem haben die USA natürlich die Möglichkeit, auch militärisch zu deeskalieren.
ZEIT: Wie würde das aussehen?
Smilde: Ich denke da an eine Seeblockade. Dass die militärische Präsenz in der Region hoch bleibt und die USA keine Schiffe der sogenannten Schattenflotte mehr passieren lassen. Das würde allerdings zu einer humanitären Krise innerhalb Venezuelas führen. Noch schlimmer als die, die wir in den Jahren 2017 und 2018 gesehen haben.
ZEIT: Das müssen Sie erklären.
Smilde: Achtzig Prozent der Exporterlöse Venezuelas kommen vom Öl. Es ist die wichtigste Quelle für Fremdwährungen, und genau die braucht das Land, um alle möglichen Dinge zu importieren – nicht nur Fertigprodukte, sondern auch Rohstoffe für die lokale Produktion. Wenn die Öleinnahmen fehlen, kommt die ganze Wirtschaft zum Stillstand. Als ich 2018 dort war, konnte man wegen Missmanagements und der Finanzsanktionen gegen Venezuela beispielsweise keine Autoteile mehr kaufen und kein Klopapier.
ZEIT: Wie blicken die Venezolanerinnen und Venezolaner auf ihre derzeitige Lage?
Smilde: Die grosse Mehrheit der Menschen wünscht sich, dass Maduro nicht mehr an der Macht ist. Es gibt allerdings auch viel Zurückhaltung in der Bevölkerung, weil niemand weiss, wie ein militärisches Vorgehen der USA aussehen könnte und welche Folgen es hätte. Die Leute, mit denen ich spreche, sagen, dass innerhalb Venezuelas eigentlich gar nicht so viel darüber diskutiert wird. Das liegt natürlich an den Repressionen. Man kann Politisches nicht einfach auf der Strasse besprechen. Es liegt aber auch daran, dass die Menschen schon so viel durchgemacht haben, so viele Enttäuschungen erlebt haben, dass sie sich denken: Ich glaube es erst, wenn ich es sehe. Und so lange machen sie einfach weiter mit ihrem Leben.
ZEIT: Bietet diese Krise also die Chance auf etwas Gutes, wenn auch versteckt?
Smilde: Aus der Perspektive der Venezolanerinnen und Venezolaner gesprochen ist es so: Sie sind 2024 zur Wahl gegangen, gegen alle Widerstände, aber Maduro hat der Opposition den Wahlsieg verweigert. Und was ist seitdem passiert? Die Welt hat sie vergessen. Es hat diese Aktion von Donald Trump gebraucht, damit sich die Leute plötzlich wieder für Venezuela interessieren. Ich denke, das sollte uns eine Lehre sein. Wenn es nicht mehr engagierte Diplomatie in der Region gibt, schafft man Raum für solche Entwicklungen. Ich kann die Venezolaner und die venezolanische Diaspora daher gut verstehen, wenn sie glauben, Trump sei ihr einziger Verbündeter.
Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. Watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.

