Die Anrufe hätten sie getroffen wie Schläge. «Agnes, warum kommt ihr nicht mehr?» – «Agnes, wir haben keine Medikamente mehr.» – «Agnes, die Kinder hier sterben.» Und sie, einst Mitarbeiterin einer Hilfsorganisation in Uganda, habe keine Antwort gewusst. Was sollte Agnes den Freiwilligen auch sagen, mit denen sie jahrelang in abgelegenen Dörfern gegen Malaria gekämpft hatte?
«Wir waren im Kampf gegen Krankheit, Armut, Tod so weit gekommen», sagt Agnes.
Agnes heisst eigentlich anders. Im Videoanruf sitzt sie in einem kleinen Zimmer, hinter ihr surrt ein Ventilator. Sie bittet um Anonymität: Im autoritär regierten Uganda können kritische Worte gefährlich werden.
Agnes sagt:
Die Krise begann mit einer Unterschrift. Am 20. Januar, seinem ersten Tag im Amt, unterzeichnete US-Präsident Donald Trump ein Dekret und stoppte damit sämtliche US-Entwicklungsgelder fürs Ausland. Es blieb nicht dabei. Eineinhalb Monate später kündigte seine Regierung an, 83 Prozent aller USAID-Programme zu streichen.
USAID, das war die United States Agency for International Development. Am 1. Juli stellte die Behörde ihre Arbeit ein. Die verbliebenen Programme wurden dem US-Aussenministerium überführt. Aussenminister Marco Rubio verteidigte den Kahlschlag: USAID habe ein «nahezu unbegrenztes Budget» verschlungen, einen «globalen NGO-Komplex» geschaffen, dessen Mitarbeiter im Luxus lebten.
Nun droht eine humanitäre Katastrophe. USAID verwaltete laut New York Times zuletzt ein Budget von 120 Milliarden US-Dollar, umgerechnet etwa 15 Dollar pro Menschen auf der Welt. Mit den gekappten Milliarden schliessen Kliniken, Medikamente und Nahrung fehlen, Krankheiten kehren zurück.
Und damit nicht genug. Laut einer Recherche des US-Magazins The Atlantic hat die US-Regierung veranlasst, 500 Tonnen Notnahrung zu verbrennen, statt sie an Kinder in Krisenregionen zu schicken. Die medizinische Fachzeitschrift The Lancet warnt: Bis 2030 könnten aufgrund der Kürzungen mehr als 14 Millionen Menschen sterben.
Auch Länder wie Deutschland drehen den Geldhahn zu. 2025 will das Auswärtige Amt nur noch 1,05 Milliarden Euro ausgeben, über die Hälfte weniger als im Vorjahr.
Wozu das führt, zeigt sich in Uganda – einem ostafrikanischen Land mit 48 Millionen Einwohnern und fast zwei Millionen Geflüchteten. Nun ist das Versorgungssystem Ugandas am Limit. Die Krise offenbart, wie brüchig vermeintlicher Fortschritt ist, wenn das Gemeinwohl vom Ausland abhängt. Ist eine Katastrophe unausweichlich?
Für Agnes begann alles im Januar, mit einer WhatsApp-Nachricht: «Bitte bleibt zu Hause, bis wir uns wieder melden.» Kurz darauf eine Mail: Projektstopp. Eine Woche später war Agnes gekündigt. So erzählt sie es.
Die 40-jährige Mutter von fünf Kindern habe kein Leben ohne Arbeit gekannt: früh aufstehen, durchs Land fahren, Teams leiten, Berichte schreiben. «Plötzlich war alles vorbei», sagt sie.
Agnes hatte in einem von USAID finanzierten Malariaprojekt gearbeitet. Die Krankheit wird von Mücken übertragen, vor allem Kleinkindern und Schwangeren kann sie gefährlich werden. Weil viele Dörfer weit entfernt von Kliniken liegen, bildete ihr Team Freiwillige aus: Sie testeten, behandelten, verteilten Medikamente und Moskitonetze. Agnes sagt: «Es war viel Arbeit, aber wir haben Leben gerettet.»
Dann blieben erst die US-Gelder aus, anschliessend der Medikamente. «Wenn ein Kind heute Fieber hat, muss die Mutter oft stundenlang zur Klinik laufen», sagt Agnes. Dort müsse sie lange warten, es fehle an Personal. Internationale Gelder machten laut den Vereinten Nationen (UN) einst 80 Prozent der Gesundheitsausgaben Ugandas aus. Viele Gesundheitskräfte seien über NGOs bezahlt worden, die nicht mehr arbeiteten. Genauso wenig wie ihre Mitarbeiter in den Kliniken.
Die Gesundheitskrise reicht weit über Malaria hinaus. Auch HIV-Programme brechen weg. In Uganda leben der UN zufolge etwa 1,4 Millionen Menschen mit dem Virus. Über die Hälfte der Mittel im Kampf gegen HIV sei durch die US-Kürzungen verloren gegangen. Zahlreiche Organisationen, die bislang Prävention, Tests und Behandlung ermöglichten, mussten schliessen.
Einige von Agnes früheren Kolleginnen aus der HIV-Arbeit machten auch unbezahlt weiter. «Sie fahren auf eigene Kosten mit dem Bus umher und verteilen, was sie noch haben», sagt sie. Niemand wisse, wie lange die Medikamentenvorräte noch reichen. Die UN schätzen: vielleicht drei Monate.
In Apotheken entstehe ein Schwarzmarkt für Medikamente. «Früher waren die Mittel kostenlos», sagt Agnes. Jetzt hiesse es dort: «Wenn du sichergehen willst, dass du genug bekommst, bring Geld mit.» Einige Patienten hamsterten die Medikamente, was die Bestände rasch leere.
Agnes legt ihre Stirn in Falten. Früher habe man kaum Menschen mit HIV auf den Strassen gesehen. Sie sagt: «Die Medikamente haben gewirkt. Sie konnten leben, arbeiten, ihre Kinder grossziehen.» Jetzt begegneten ihr wieder Symptome von Krankheiten: Hautausschläge, Fieber, offene Wunden. «Alles, wofür wir gekämpft haben, droht zu verschwinden.»
Offiziell laufen noch die Programme privater Geldgeber wie der Bill-Gates-Stiftung weiter. «Aber jeder weiss: Die Lücken sind riesig», sagt Agnes. Die staatlichen Gesundheitsdienste Ugandas seien nie darauf ausgerichtet gewesen, unabhängig von Entwicklungsgeldern zu funktionieren. «Ohne Hilfe von aussen», sagt Agnes, «werden wir das nicht schaffen.»
Nicht nur Medikamente verschwinden, auch Nahrung wird knapp. Die Mangelernährung sei allgegenwärtig, sagt Joyce, eine Mitarbeiterin des Welternährungsprogramms (WFP) in Uganda. Wer durch die Siedlungen geht, sehe das täglich. In den Gesichtern der Geflüchteten, in ihren ausgezehrten Körpern. Regelmässig treffe Joyce auf Mütter, die verzweifelt versuchten, ihre Kinder durchzubringen. Auf Mädchen und Frauen, die ihren Körper verkauften, um an ein wenig Geld oder Essen zu kommen. Mit der Ration, welche die UN-Mitarbeiter monatlich ausgeben, käme eine Familie vielleicht zehn Tage über die Runden. Joyce sagt:
Uganda verfolgt eine der liberalsten Flüchtlingspolitiken der Welt. Geflüchtete werden meist nicht in isolierte Lager gedrängt, sie leben in Gastgemeinden und dürfen offiziell arbeiten. Ende Juni lebten rund 1,9 Millionen Geflüchtete in Uganda, die meisten aus dem Südsudan und dem Kongo. Über 80 Prozent von ihnen sind Frauen und Kinder. Doch mit den wegbrechenden Entwicklungsmitteln gerät dieses Modell ins Wanken.
«Ich habe in vielen Krisenregionen gearbeitet», sagt Lauren Landis, die Leiterin des WFP-Büros in Uganda. «Aber so etwas wie hier habe ich noch nie erlebt.» Bis vor Kurzem versorgte ihre Organisation noch 1,6 Millionen Geflüchtete mit Nahrung. Mit den Kürzungen der Entwicklungsgelder mussten sie eine Million aus dem Programm streichen. Was bleibt, reiche nur noch für die Schwächsten: Neuankömmlinge, Kleinkinder, Menschen mit Behinderung, Ältere.
Immer mehr Kleinkinder stürben an Mangelernährung, sagt die WFP-Mitarbeiterin Joyce. Häufig müssten die Kinder die Schule abbrechen, weil niemand sonst für die Familie sorgen könne. Joyce erinnert sich an eine Begegnung mit einem abgemagerten Mann. «Ich gehe jeden Tag los und finde nur Gelegenheitsjobs, die kaum Geld einbringen», habe er ihr gesagt.
Mit dem Hunger wachsen auch Spannungen. Viele Geflüchtete versuchten, zusätzliches Land zu pachten, um sich selbst zu versorgen, sagt Joyce. Das sei schwierig: Die Preise für Ackerland stiegen, die Ernten fielen wegen Dürren oder Starkregen oft aus. Beim Verteilen der Lebensmittel müssten die UN-Organisation häufig mit der Polizei Ugandas zusammenarbeiten, damit es nicht zu Diebstählen, Drohungen oder Überfällen komme.
Zwischen internationalen Organisationen und Ländern wie Uganda habe lange ein stilles Abkommen gegolten, sagt Landis, die WFP-Chefin Ugandas. «Uganda nimmt Geflüchtete auf – und die Weltgemeinschaft sorgt im Gegenzug für Nahrung und Unterkünfte.» Diese Unterstützung bricht nun weg. Allein in Uganda fehlen 50 Millionen US-Dollar, um die Geflüchteten bis Ende des Jahres mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Landis sagt:
Die Entwicklungspolitik westlicher Staaten galt lange als Erfolgsgeschichte: Armut sank, Krankheiten wurden eingedämmt, mehr Kinder gingen zur Schule. Doch viele dieser Strukturen entstanden am Staat vorbei. NGOs und internationale Organisationen sprangen ein, wo Regierungen versagten.
«Im Rückblick kann man natürlich sagen: Die Abhängigkeit war ein Fehler», sagt Jan Kreutzberg, Leiter des Berliner Büros des UN-Weltbevölkerungsfonds. «Doch viele Länder hatten kaum Alternativen.» Ohne internationale Gelder, sagt er, wäre etwa im Gesundheitsbereich vieler Staaten gar nichts passiert. Aber so wuchs ein fragiles System, das nur funktionierte, solange von aussen Geld floss.
In der internationalen Gemeinschaft suche man nun nach neuen Wegen, sagt Kreutzberg. Man versuche, die Krise als Chance zu verstehen. Vorher starre Systeme brächen auf. In Ländern wie Uganda könnten neue Allianzen entstehen: zwischen Staat, internationalen Organisationen, NGOs und Zivilgesellschaft. «Es braucht mehr Eigenverantwortung», sagt Kreutzberg. «Raus aus der Abhängigkeit, rein in die Selbstwirksamkeit.»
Agnes, die entlassene NGO-Mitarbeiterin, sagt, die Regierung Ugandas hätte nie gelernt, ohne internationale Geber zu planen. Die Budgets seien zu klein, viel Geld versickere, sagt sie, echte Strategien für den Ernstfall fehlten.
Sie erzählt von früheren Kolleginnen und Kollegen, jahrelang in NGOs tätig, die heute keinen Job mehr fänden. Viele zögen zurück in ihre Dörfer, weil sie sich das Leben in der Stadt nicht mehr leisten könnten. Manche müssten wieder Landwirtschaft betreiben, um ihre Familien zu versorgen. In Agnes’ alten WhatsApp-Gruppen, in denen sie früher Ideen für neue Projekte austauschten, kursierten nun Nummern für psychologische Hilfe.
Der Frust wachse täglich, sagt Agnes. Immer mehr Ugander seien wütend auf die politische Elite, die im Luxus lebe und untätig bleibe. 2026 wird wieder gewählt, Ugandas amtierender Präsident ist seit 1986 im Amt. Beobachter erwarten harte Repressionen gegen die Opposition. Und Agnes fragt:
Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. Watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.
Das ist die zu Grunde liegende Ursache für das Problem und nicht Trump.
Durch unsere Hilfe helfen wir aktiv dabei solche Autokratien und Diktaturen am Leben zu erhalten, da das Volk so relativ Ruhig bleibt weil die Hilfe ja kommt…
Ja es ist tragisch und traurig das jetzt Menschen Sterben aber wieso sollen wir aus Demokratischen Ländern weiterhin indirekt Autokratien und Diktaturen unterstützen?