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Vertrauensfrage in Polen: Tusk bleibt – doch es regiert der Machtkampf

Poland's Prime Minister Donald Tusk addresses the Polish parliament on Wednesday, June 11, 2025, in Warsaw, Poland. (AP Photo/Czarek Sokolowski)
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Regierungschef Donald Tusk am Tag des Vertrauensvotums im polnischen Parlament.Bild: keystone

Vertrauensfrage in Polen: Tusk bleibt – doch es regiert der Machtkampf

Donald Tusk übersteht die Vertrauensfrage. Aber schon in seiner Grundsatzrede bittet er die Opposition um Hilfe. Das zeigt, wie sehr er die PiS benötigt.
11.06.2025, 22:3011.06.2025, 22:30
Alexander Kauschanski / Zeit Online
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Die Sitze der PiS-Abgeordneten bleiben leer, als Donald Tusk am Mittwochmorgen ans Rednerpult des polnischen Parlaments tritt. Während der Ministerpräsident spricht, demonstriert die nationalpopulistische Oppositionspartei vor dem Parlament. Ihre Botschaft ist unmissverständlich: Was auch immer du vorhast – wir werden es verhindern.

Die PiS ist Tusks härtester Gegner. Acht Jahre lang regierte die Partei in Polen, unterwanderte den Staat, baute den Staatsrundfunk um, besetzte die Gerichte mit eigenen Leuten. Bei den Parlamentswahlen 2023 wurde sie abgewählt. Doch sie will zurück an die Macht. Und greift dabei zu ihrer stärksten Waffe: dem Präsidenten.

Vor anderthalb Wochen wurde der PiS-Kandidat Karol Nawrocki zum neuen Staatsoberhaupt gewählt. Schon sein PiS-naher Vorgänger blockierte unerwünschte Gesetzesvorhaben der Regierung. Und auch Nawrocki hat angekündigt, Tusks Kurs mit seinem Vetorecht durchkreuzen zu wollen.

Wie also will Tusk regieren, wenn sich sein politischer Gegner ihm in den Weg stellt? Heute versuchte er, Stärke zu demonstrieren. Der Premier stellte im Parlament die Vertrauensfrage – und überstand sie. Die Abgeordneten seiner Koalition stimmten für den Verbleib der Regierung. Doch die Blockade bleibt. Und mit ihr die Frage: Wie will Tusk im Machtkampf gegen die PiS bestehen?

Rückzug ist keine Option

Mittwoch. Neun Uhr morgens im Sejm, dem polnischen Parlament. Bevor die Abgeordneten noch am selben Tag über die Zukunft des Ministerpräsidenten entscheiden, hält Donald Tusk eine Grundsatzrede. Er lässt keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit: Rückzug ist keine Option.

Er zählt auf, was seine Regierung seit dem Machtwechsel erreicht hat: höhere Verteidigungsausgaben, weniger Migranten, grosszügigere Sozialhilfen. Ein neuer Zentralflughafen, der nicht von chinesischen, sondern von polnischen Unternehmen gebaut werde. Die Wirtschaft wachse, die Arbeitslosigkeit sei niedrig. Polen sei aussenpolitisch zurück, ein neues Verteidigungsabkommen mit Frankreich sichere gegenseitigen militärischen Beistand.

Was Tusk nicht erwähnt: die vielen Reformprojekte, die am Veto des PiS-Präsidenten scheiterten. Die Justizreform etwa, die Polens Rechtsstaatlichkeit wiederherstellen sollte. Ein Gesetz zur rezeptfreien «Pille danach» ab 15 Jahren, ein Gesetz gegen Hassrede. Irgendwann brachte die Regierung keine Vorhaben mehr ein, die ohnehin chancenlos gewesen wären. Tusks Regierung versank in politischer Selbstbeschränkung.

Wie will der Ministerpräsident also regieren, wenn ihm weiter eine Dauerblockade droht? Die Ankündigungen in seiner Ansprache klingen dünn. Er will seine Regierung im Juli umbilden. Er hält weiter an den Justizreformen fest, ungeachtet ihrer Erfolgsaussichten. Ein Regierungssprecher soll helfen, Erfolge sichtbarer zu machen. 

Doch an den politischen Machtverhältnissen ändert das nichts. Denn auch innerhalb der Koalition ist der Handlungsspielraum begrenzt. Das Bündnis reicht von Linken bis Konservativen – und ist gerne in sozialpolitischen Fragen zerstritten. Ein Vorstoss zur Lockerung des drakonischen Abtreibungsverbots scheiterte am Widerstand der konservativen Bauernpartei. Ein Sprecher wird keine Brücken bauen können, wo ideologische Konflikte die Regierung spalten.

Tusks Erfolg ist ohnehin nicht nur vom eigenen Lager abhängig, sondern zunehmend von seinem politischen Gegner. In seiner Ansprache appelliert er sogar an die PiS und die rechtsextreme Partei Konfederacja, einzelne Gesetze mitzutragen. Etwa die Trennung von Justizministerium und Generalstaatsanwaltschaft oder ein Deregulierungspaket. Damit gesteht er ein: Ohne Stimmen der Rechten wird er als Regierungschef allenfalls verwalten, aber nicht regieren.

De facto regiert die PiS auch jetzt schon in Polen mit. Nicht durch eigene Gesetzesinitiativen, sondern durch gezielte Blockade. Will Tusk das Veto umgehen, bleibt nur der Schulterschluss mit der Opposition, etwa in der Migrationspolitik. Im März setzte die Regierung das Asylrecht an der belorussischen Grenze aus. Der Präsident liess die Massnahme passieren. Auch eine Zusammenarbeit mit rechtsextremen Kräften stünde im Raum. Mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament liesse sich das Präsidentenveto überstimmen.

Doch die Rechte hat wenig Interesse an der Zusammenarbeit. Sie profitiert vom Stillstand, der immer mehr Wähler frustriert. Laut einer Umfrage des CBOS-Instituts von Ende Mai sind 52 Prozent der Polen mit der Regierungsbilanz unzufrieden. Die rechtsextremen Parteien wissen: je dysfunktionaler die Politik, desto grösser der Frust und desto geringer der Glaube an demokratische Institutionen. Das ist die eigentliche Gefahr.

Im schlimmsten Fall ein weiterer Rechtsruck

Jetzt auf

Im polnischen Parlament sprechen die Abgeordneten Tusk schliesslich das Vertrauen aus. Doch die Regierung steckt weiter in einer Krise. Im besten Fall wird es dem Ministerpräsidenten gelingen, seine Koalition bis zur nächsten Parlamentswahl 2027 zusammenzuhalten, punktuell mit der Opposition zu verhandeln, die Rechten vom Regieren abzuhalten und zumindest Teile seiner Reformen umzusetzen.

Im schlimmsten Fall aber wäre Tusks Handeln weiter stark eingeschränkt. Immer mehr Polen – links wie konservativ – stünden unter dem Eindruck, das politische System Polens sei defekt. Sie könnten sich von demokratischen Parteien abwenden, extremistische Kräfte unterstützen. Dann wäre der nächste Rechtsruck nur eine Frage der Zeit.

Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. Watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.

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