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WorldPride Parade in Washington: Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

People carry a large pride flag as they march during the World Pride parade, Saturday, June 7, 2025, in Washington. (AP Photo/Alex Brandon)
Washington World Pride
Teilnehmerinnen und Teilnehmern feiern an der diesjährigen WorldPride Parade in Washington.Bild: keystone

WorldPride Parade in Washington: Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Der US-Präsident schürt Hass gegen die LGBTQ-Community. In Washington zeigt die WorldPride Parade Solidarität – trotz weltweiter Angst und Unsicherheit.
08.06.2025, 14:1808.06.2025, 14:18
Xifan Yang, Katharina Poblotzki / Zeit Online
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Ob Donald Trump zuletzt in den Strassen Washington unterwegs war, ist nicht bekannt, und wenn, dürfte ihm der Anblick nicht gefallen haben: Seit Wochen ist das Zentrum der US-Hauptstadt in Regenbogenfarben gekleidet. Fahnen, Wimpel, Laternen, an diesem Samstag hängen sie sogar in den Fenstern des altehrwürdigen Hotel Washington gegenüber dem Weissen Haus.

Einige Schritte weiter sitzen zwei ältere blonde Frauen zurückgelehnt in Campingstühlen und schauen den feiernden Teilnehmerinnen und Teilnehmern der diesjährigen WorldPride Parade zu, die gerade zu der LGBTQ-Hymne I'm Every Woman von Chaka Khan tanzen. Mehrere Zehntausend Menschen sind auf den Strassen, manche vom anderen Ende der Welt angereist, um am weltgrössten queeren Festival teilzunehmen, das an diesem Wochenende mit einem grossen Umzug endet. WorldPride wird alle zwei bis drei Jahre in einer anderen Stadt ausgetragen, dieses Jahr ist es ausgerechnet Washington. Ein Zufall, die Entscheidung fiel schon vor den Präsidentschaftswahlen im vergangenen November.

Nun könnte man sagen: Sie findet zur richtigen Zeit am richtigen Ort statt. Denn US-Präsident Donald Trump hat, seit er wieder im Oval Office regiert, der LGBTQ-Gemeinde den Kampf angesagt: Transpersonen wurden aus dem Militär und dem Sport verbannt, staatliche Kunst- und Kulturprogramme für queere Gruppen gecancelt, vor einer Woche kündigte Trump an, Hunderte Millionen Dollar für die Bekämpfung von HIV zu streichen. In Bundesbehörden sind Begriffe wie LGBTQ, nichtbinär, Transgender und Diversität inzwischen verboten.

Marie Cux, 58, Immobilienmaklerin, trägt ein Cap mit der Aufschrift «LOVE» und blaue Plastikschlappen, ihre Freundin, eine Anwältin, eine regenbogenfarbene Baseballjacke. Beide wohnen kaum zwei Kilometer entfernt hinter dem Capitol, aber haben sich heute ein Hotelzimmer im 14. Stock des JW Marriott genommen, um die Pride Parade bis in den Abend vom Balkon aus verfolgen zu können. Cux und ihre Freundin sind heterosexuell, sie haben viele queere Freunde und Nachbarn. «D. C. war schon immer ein diverser und toleranter Ort, aber seit Januar leben wir in Crazy Town», sagt Cux und zeigt Richtung Weisses Haus. «Trump versucht, unsere Stadt zu unterwerfen. Deswegen ist es wichtig, dass wir heute solidarisch sind und ihm zeigen: Das wird nicht passieren.»

Noch wehrt sich die Hauptstadt

«These colors don't run from fascists», diese Farben rennen nicht vor Faschisten weg – solche und ähnliche Banner sieht man am Samstag überall in der Stadt. Die Sonne brennt, als der Umzug am frühen Nachmittag im Norden der Innenstadt beginnt. Eine Gruppe bärtiger Lederjackenträger knattert auf Motorrädern vorneweg, hinter ihnen marschieren Angehörige einer indigenen LGBTQ-Gemeinde, dann folgen Mitglieder einer Organisation von transgender Personen, die im US-Militär dient. Jede Gruppe wird von den Umstehenden hinter den Absperrungen bejubelt. «Pride is joy! Pride is protest!», ruft eine Umzugsteilnehmerin ins Mikrofon. 

Trotz Beifall und Feierstimmung liegt Anspannung in der Luft. Bis zuletzt herrschte Verunsicherung unter den Organisatoren, wie die Parade verlaufen würde. Wenige Hundert Meter westlich der Umzugsstrecke riegelte die Bundespolizei am frühen Freitagmorgen den Dupont Circle mit zweieinhalb Meter hohen Metallgittern ab, einen symbolträchtigen Platz in der Geschichte der amerikanischen LGBTQ-Bewegung: In den Siebzigern fanden hier grosse Prideevents statt, in den Achtzigern demonstrierten hier AIDS-Aktivisten, auch die Black-Lives-Matter-Bewegung protestierte 2020 auf dem Dupont Circle.

Die offizielle Begründung des National Park Service, der die Absperrung angeordnet hatte, lautete, Prideveranstaltungen hätten in vergangenen Jahren die «öffentliche Sicherheit» gefährdet. Tatsächlich wurde in vorherigen Jahren während der Pride Month im Juni immer wieder der Springbrunnen auf dem Platz beschädigt, dennoch haftete der kurzfristig angeordneten Massnahme ein Beigeschmack an. Keine 24 Stunden später baute die Polizei die Metallzäune am Samstagmorgen wieder ab. Der National Park Service, eine Bundesbehörde, liess mitteilen, dass man die Schliessung des Platzes auf Druck der demokratischen Stadtregierung aufgehoben habe.

Die grosse regenbogenfarbene Feier in der Hauptstadt ist einmal mehr ein Zeichen dafür, dass sich Donald Trump in Washington auf feindlichem Territorium befindet. Bei den Präsidentschaftswahlen im November 2024 stimmten 90 Prozent der Wählerinnen und Wähler in der Stadt für Kamala Harris – in keinem anderen Bundesstaat oder Distrikt schnitt sie besser ab. Die Sorge vieler in Washington davor, dass Trump die Autonomie der Stadt beschneiden wird, ist gross.

Auf der 14th Street ist am Samstagnachmittag kein Durchkommen mehr. Am Rande des Umzugs stehen Paare mit Kinderwägen, weisshaarige Seniorinnen mit bunten Federhüten und Dragqueens in abenteuerlich hohen High Heels. Eine 300 Meter lange Regenbogenfahne zieht vorbei. Allister Chang, ein Start-up-Unternehmer Mitte 30, schaut sich die Parade aus dem Fenster seines Büros im zweiten Stock an. Freunde aus New York und Boston sind da, Gin Tonics werden herumgereicht. Als schwuler Mann spüre er noch keine direkten Auswirkungen der queerfeindlichen Politik von Donald Trump, sagt Chang. Trumps Attacken zielten als Erstes auf Transgenderpersonen, «doch jeder von uns hat Angst, dass es bald alle treffen wird».

epa12163033 Parade-goers cheer for participants during the World Pride 2025 parade in Washington, DC, USA, 07 June 2025. World Pride 2025 is an international LGBTQ+ celebration held in Washington, D.C ...
Vieles ist 2025 anders als in vorherigen Jahren.Bild: keystone

Chang ist Mitglied des State Board of Education von Washington D. C., einem gewählten Bürgerrat, der in städtischen Bildungsfragen mitregiert. Schülervertreter baten die Ratsmitglieder vor einiger Zeit, die Geschichte der LGBTQ-Bewegung in die Lehrpläne aufzunehmen. Der Rat unterstützte den Vorschlag einstimmig, in jedem anderen Teil des Landes wäre das unvorstellbar gewesen, sagt Chang. «D. C. ist ein sehr besonderer Ort.» Die Bürgermeisterin Washingtons, die Demokratin Muriel Bowser, schuf in ihren beiden Amtszeiten Hilfsangebote für queere Obdachlose und Senioren, initiierte Inklusionsprogramme und schuf ein städtisches Referat für LGBTQ-Angelegenheiten.

Weltweite Auswirkungen spürbar

Mit Trumps zweiter Amtszeit sei nun die Autonomie der Stadt in Gefahr, sagt Chang. Anders als Bundesstaaten hat der District of Columbia, dem Washington angehört, keine stimmberechtigten Vertreter im Kongress – der Kongress hat jedoch das Recht, die Budgets der Stadt zu blockieren. «Die Trump-Regierung kann die Verteilung von Bundesmitteln künftig davon abhängig machen, ob unsere Politik dem Weissen Haus folgt», sagt Chang. «Die Situation ist völlig ungewiss.»

Die WorldPride Parade in Washington fällt dieses Jahr auf das 50. Jubiläum des lokalen Prideumzuges. Vieles ist 2025 anders als in vorherigen Jahren. In der Vergangenheit strahlte das Kennedy Center, das bedeutendste Kulturzentrum der Stadt, im Juni stets in Regenbogenfarben. Dieses Jahr bleibt es unbeleuchtet: Donald Trump feuerte kurz nach seiner Amtsübernahme den Vorstand und ernannte sich selbst zum Chef. Frühere Sponsoren wie die Beratungsfirmen Booz Allen Hamilton und Deloitte, das Kreditkartenunternehmen Visa und der Kommunikationskonzern Comcast sind als Unterstützer in diesem Jahr abgesprungen. Besucherinnen und Besucher, die man am Samstag am Rande des Umzugs antrifft, sprechen von einem Tag der Freude und des Stolzes, nur um im nächsten Moment zu bedrückenden Themen zu wechseln.

Jeder in Washington kennt jemanden, der in den vergangenen Monaten der Entlassungswelle in Regierungsbehörden und im öffentlichen Dienst zum Opfer gefallen ist und seine Miete nicht mehr zahlen kann. Eine lesbische, schwarze Beamtin, die ihren Job bislang behalten hat und ihren Namen nicht nennen will, erzählt von der Angst, die in ihrer Abteilung unter allen umgehe, aber besonders unter den queeren Angestellten: «Sie haben uns alles weggenommen. Den Pride Month, den Black History Month, wir dürfen nichts mehr feiern, es muss jetzt alles gleich sein. Unsere LGBTQ-Gruppe mussten wir auflösen.»

Jetzt auf

Die Folgen des Drucks, den Donald Trumps Regierung auf die LGBTQ-Gemeinde ausübt, sind bis in 10'000 Kilometer Entfernung zu spüren. Rahul Upadhyay, 29, ist aus Delhi angereist, er ist ein Co-Präsident von InterPride, der internationalen Dachorganisation aller Prideveranstalter. Er war sich ursprünglich unsicher, ob er nach Washington reisen sollte, erzählt er. «Die Trump-Regierung hat speziell Einreisebeschränkungen für Transpersonen und nicht binäre Menschen verhängt. Ich identifiziere mich als nicht binär  und war besorgt, ob sie mich an der Grenze zurückschicken würden.» Am Einreiseschalter in New York wurde er 15 Minuten lang verhört. Die Beamten filzten sein Handy, fragten ihn, warum er hier sei. «Ich habe geantwortet, ich bin Tourist», sagt Upadhyay. 

FILE - Republican Presidential Candidate Donald Trump, speaks during the final day of the Republican National Convention in Cleveland, Thursday, July 21, 2016. A prominent conservative group is slammi ...
Vier Tage, nachdem Trump die erste Executive Order zur Kürzung der Gelder von USAid erlassen hatte, wurden in Indien drei Transgenderkliniken geschlossen.Bild: keystone

Trumps Politik wirke sich bereits wie eine Welle im Rest der Welt aus, erzählt er weiter. Vier Tage, nachdem Trump die erste Executive Order zur Kürzung der Gelder von USAid erlassen hatte, wurden in Indien drei Transgenderkliniken geschlossen – die Finanzierung stammte zum grossen Teil von USAid. In den vergangenen Monaten wurden in vielen Städten Indiens Pride Parades verboten, die Attacken von extremen Religiösen nehmen zu. «Die Homophoben in meinem Land sehen sich bestätigt – wenn Trump es in seinem Land macht, muss es richtig sein», sagt Upadhyay. Am Ende einer Parade, die er kürzlich erfolgreich organisierte, schrien Leute: «Trump für Indien».

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