«You are the vibrator!»
Gen Z Gina wollte ja mein Herzchakra öffnen, Potenzial unleashen, Blockaden releasen, es wird viel mit Anglizismen gearbeitet in dieser Generation, was ich überhaupt nicht kritisieren will, denn nichts macht älter, als wenn man sich darüber aufregt, wenn Leute englische Wörter verwenden. Es ist die totale Boomer-Entlarvung. Das und wenn man in Capslock oder mit vielen Ausrufezeichen schreibt. Beides erzählt viel über das Alter der Person, die so schreibt. Aber Anglizismen-Hate ist noch schlimmer und deshalb lasse ich das hier.
Ich schweife ab, entschuldigt, das ist, weil mein Hirnchakra noch vibriert. Nicht mehr sicher, ob es wirklich ein Hirnchakra gibt, aber falls es eines gibt: It's vibrating.
Ich ging mit Gina also zum Soundhealing. Die Breathwork-Übungen haben ja nicht so gut funktioniert, das heisst, ich habe mich, wie Gina findet, nicht darauf einlassen können, was aber an den Blockaden läge, das ist ihre Meinung, nicht meine, und weil ich nicht wollte, dass der Fling, wie sie ihn nennt, zu Ende ist. Ich würde den Fling «Affäre» nennen, aber «Affäre» sage man nur, wenn einer der beiden verheiratet wäre, meinte Gina, was wir hätten, sei ein Fling, wie er im Duden stehe. Dass «Fling» wohl nicht im Duden steht, sondern eher in einem englischen Wörterbuch, sagte ich ihr nicht, wollte ja nicht lehrerhaft rüberkommen.
Ich passe mich ihrer Sprache an, werfe mit Englischen Wörtern um mich, als gäbe es etwas zu gewinnen. Ich benutze bei Gina auch viel mehr Emojis als sonst. Hallo, Lach-Emoji, sehen wir uns später, Kuss-Emoji? So kommuniziere ich jetzt.
Okay, zurück zum Soundhealing.
Der Soundhealer war ein italienischer Opernsänger
Wir waren nur zu zweit, Gina und ich. Eine Private Session hatte sie gebucht. Und bei ihrem favourite Soundhealing Guy Pietro. Pietro kommt aus Sizilien, war Opernsänger, hat aber die Karriere an den Nagel gehängt, weil zu viel Stress, zu viele Leute, die nur Geld machen wollen, kein Platz für Passion, kein Raum für Liebe, also hat er eine Ausbildung in Soundhealing gemacht. In Bali und Indien, where else?
Bei der Begrüssung umarmte er mich, was jetzt nicht per se erstaunlich ist. Also, ich schüttle fremden Leuten lieber die Hand, aber jemanden zu umarmen ist ja heute Standard. Auch unter Männern. Was wir Männer tun und was ich, wenn ich darüber nachdenke, fast merkwürdiger finde: Wir klopfen uns dabei auf den Rücken. Warum? Habt ihr mal Frauen gesehen, die sich bei einer Umarmung auf den Rücken klopfen? Wir Männer machen es auch nur bei Männern. Umarmen wir eine Frau, klopfen wir nicht sinnlos rum. Wollen wir mit dem Klopfen zeigen, dass wir unter uns sind? Ist es ein Code? Ist es uns zu nah? Zu intim? Das Geklopfe schwächt alles ab? Oder ist es ein Ritual? Wollen wir zeigen: «Ist ja gut»? Oder: «Reicht jetzt!»?
Ich werde weiterklopfen, don't get me wrong, ich kenne es ja nur so, aber: Warum klopfen wir?
Pietro klopfte natürlich nicht. Pietro umarmte lange und fest und mit viel Körpereinsatz.
Soundhealing könne vieles auslösen, sagte er, als wir uns hinlegten. Einige würden weinen, andere lachen, manche würden ihre Migräne für immer loswerden, andere könnten sich von Depressionen befreien, aber vor allem könnten alte Wunden geheilt werden. Okay, sagte ich.
Er schritt um uns mit einer Klangschale. Sagte uns, wann wir ein- und ausatmen sollten. Ich tat, wie befohlen. Atmete, hörte, atmete.
Es roch eigenartig in dem Raum, fiel mir auf. Irgendwie nach Desinfektionsmittel und Räucherstäbchen. Und nach Schweiss. Altem Schweiss.
«Emotionen freien Lauf lassen», sagte Pietro. Ich strengte mich echt an, Leute.
Feel the vibration!
Lautere Klangschalen. Der Boden vibrierte. Wir sollten mitvibrieren. «Feel the vibration!» Er schlug härter auf die Klangschale. «You are the vibration», rief Pietro. Nehme ich jedenfalls an. Ich verstand, dass ich nun ein Vibrator war, und musste lachen.
Dass ich lachte, war mir natürlich nicht recht, aber Pietro fand es gut. Genau so würden Blockaden gelöst, Emotionen zulassen, release, unleash.
Nach einer halben Stunde war die Session vorbei. Wie ich es fand, wollte Pietro wissen.
«Vibrating», sagte ich.
«Liberating», sagte Gina.
Wir gingen noch zu ihr danach. Assen etwas. Hatten Sex. Assen nochmals etwas.
Es war eigentlich alles gut. Aber irgendwie war es anders. Vielleicht wegen des Soundhealings? Ich bezweifle es. Aber meine Intuition sagte mir, dass es das letzte Mal war, dass wir uns sehen würden. Und bis jetzt hatte ich recht.
Das könnte ich jetzt versuchen zu analysieren. Aber vielleicht war einfach «the time up» von unserem Fling. Vielleicht war die Luft raus? Was ich in Ordnung finde.
Denn wenn wir nach drei Wochen schon bei Soundhealing angekommen sind, wo wären wir denn nur in drei Monaten?
So long,
Ben


