Haftbefehl statt Goethe – Jugendliche fordern modernen Unterrichtsstoff
Kindheitstrauma, jahrelanger Kokainkonsum, Nahtoderfahrung: Die neue Doku über Haftbefehl, der mit bürgerlichem Namen Aykut Anhan heisst, ist roh und schonungslos.
«Willst du wirklich, dass ich das zeige?», fragt der Journalist und Regisseur Juan Moreno am Ende des Films.
Haftbefehl gehört zu den bedeutendsten stilprägenden Künstlern Deutschlands und hat dem Rap die Strasse zurückgegeben. Moreno (bekannt durch seine Recherchen zum Skandal um Claas Relotius) begleitet den Rapper über mehrere Jahre hinweg und beleuchtet nicht nur sein enzyklopädisches Musikwissen, sondern vor allem seine Abgründe: die intensiven Kämpfe mit seinen inneren Dämonen, die durch jahrelangen Kokain-Konsum entstellte Nase, den Suizid seines Vaters.
Haftbefehl als Pflichtlektüre
Aykut Anhan wuchs in Offenbach (Hessen) in schwierigen Verhältnissen auf und flüchtete sich in Drogen und Musik. Seine Heimatstadt prägt seine Musik: Viele der Texte spiegeln das Leben in Offenbach wider und erzählen vom Strassenalltag, sozialen Herausforderungen, von einer Lebensrealität, in der sich viele Jugendliche seiner Heimatstadt wieder erkennen.
Offenbacher Schülerinnen und Schüler setzen sich nun für eine Änderung im Lehrplan ein – sie wollen, dass seine Geschichte im Unterricht behandelt wird, um Jugendliche über soziale Probleme, Chancen und die Folgen von Drogen aufzuklären.
«Wenn Schule ein Ort der Lebensrealität sein soll, dann darf sie nicht nur Goethe lesen, sondern auch Haftbefehl hören», sagte Cengizhan Nas, stellvertretender Stadtschulsprecher. Themen wie Migration, soziale Ungleichheit und Identität dürften nicht nur theoretisch, sondern sollten authentisch und nahbar behandelt werden. Sein Wirken sei ein «pädagogischer Schatz», so der Stadtschülerrat.
Eine klare Absage kommt vom Kultusministerium: «Weder die Texte des Rappers noch sein kontroverses Auftreten in der Öffentlichkeit stehen im Einklang mit dem Bildungs- und Erziehungsauftrag, den die Schulen erfüllen.»
Sowohl die Texte als auch die Lebensgeschichte des Rappers verdeutlichten «eine wiederholte Neigung zur Kriminalität bzw. eine ambivalente Distanzierung davon und sind somit keinesfalls geeignet, eine Vorbildfunktion für adoleszente Personen zu erfüllen».
