Die Videos wirken so harmlos: Wenn Jugendliche auf TikTok etwas posten, dann meist lustige Kurzfilme, in denen sie zu trendiger Musik tanzen oder die Lippen mitbewegen, als würden sie selber singen. Klassische Gute-Laune-Videos, die viele Klicks und Likes generieren sollen. In diesen Tagen endet der Online-Spass für viele aber jäh mit einer bösen Überraschung. Denn statt Zuspruch aus der Community gibt’s Post vom Anwalt.
«Wir erhalten manchmal täglich mehrere Anfragen von Nutzern, die Abmahnbriefe mit absurd hohen Geldforderungen von bis zu 25’000 Franken erhalten haben», erklärt Medienrechtsanwalt Martin Steiger. Betroffen seien tendenziell eher kleine Nutzer mit geringer Reichweite. Bemerkenswert ist jedoch: Fast immer kommen die Forderungen aus Deutschland, wo ein strengeres Urheberrecht gilt und wo sich eine regelrechte Abmahnindustrie gebildet hat.
«Man versucht, das vorteilhafte deutsche Urheberrecht zu nutzen, um Einnahmen auch im Ausland mit kostenpflichtigen Abmahnungen erzielen zu können», sagt Anwalt Steiger, der in den letzten zehn Jahren viele solcher Fälle vertreten hat. Vielen jungen Nutzern ist nämlich nicht klar, wie kompliziert das Urheberrecht zur Musiknutzung auf Social Media tatsächlich ist – und welche rechtlichen Gefahren ein einfaches Tanzvideo mit Musik mit sich bringt.
Auf TikTok gibt es grundsätzlich zwei legale Möglichkeiten, die Musik von Künstlern zu nutzen. Nutzer, die kein Geld verdienen, können aus einer grossen Musikbibliothek Songs auswählen, die für den nicht kommerziellen Gebrauch zugelassen sind. TikToker, die mit Social Media Geld verdienen, dürfen ihre Videos dagegen nur mit Musik aus der viel kleineren kommerziellen Musikbibliothek untermalen.
Diese Trennung ist aber nicht immer so eindeutig machbar. Denn wenn ein Nutzer zuerst ein Video zum Geldverdienen postet, die nächsten drei aber ohne Werbung oder Klickzahl-Einnahmen veröffentlicht, profitiert er in einem gewissen Sinn doch auch geschäftlich von den werbefreien Videos. Schliesslich bringt das neue Follower, die dann später wieder zum Geldverdienen genutzt werden können. Der deutsche Bundesgerichtshof hat deshalb entschieden, dass Influencer-Videos auch dann als gewerblich gelten können, wenn sie keine direkte Werbung enthalten.
Eine weitere Schwierigkeit: TikTok und Instagram spielen die Videos ihrer Nutzer nicht nur in dem Land aus, von wo aus sie gepostet werden. Deshalb gelten für die Beiträge jeweils die unterschiedlichen Gesetze der Länder, in denen die Beiträge angeschaut werden. Das Veröffentlichen von Videos mit Musik ist also aus rechtlicher Sicht ein Minenfeld. Insbesondere, wenn man der Verheissung erliegt, mit Social Media via Klicks Geld verdienen zu wollen, wie das heute viele Jugendliche tun.
Rechtsanwalt Steiger führt aus: «Im Gegensatz zu Bildern ist die Lizenzierung von Musik im digitalen Raum fast immer anspruchsvoll, und es besteht selbst für jene, die sich grösste Mühe geben, häufig eine erhebliche Rechtsunsicherheit.»
Es sei schade, dass es fast keine einfachen und rechtssicheren Möglichkeiten gebe, Musik gegen Geld zu lizenzieren. Das gilt wegen der weltweiten Vernetzung des Internets auch in der Schweiz, obwohl sich die Rechteinhaber der Songs von Schweizer Künstlern sehr viel kulanter zeigen als jene in Deutschland.
Die Suisa, die Schweizer Genossenschaft der Urheber und Verleger von Musik, macht keine Jagd auf Rechtsverletzungen von jungen Influencern. «Wir haben noch nie solche Nutzungen gegenüber Userinnen und Usern geahndet, und wir werden das auch in Zukunft nicht tun», sagt Giorgio Tebaldi, der Kommunikationschef der Genossenschaft.
«Wir unterscheiden dabei gar nicht zwischen ‹kommerzieller› oder ‹nicht kommerzieller› Nutzung. Und lizenzieren also für diese Rechte grundsätzlich alles, was auf TikTok stattfindet.» Tebaldi vermutet, dass solche Abmahnungen eher von grossen Musikverlagen wie Universal oder Sony kommen. Oder, wie Rechtsanwalt Steiger oft erlebt, von deutschen Musikverlagen.
Wenn Jugendliche nun tatsächlich böse Post mit Geldforderungen bekommen, gilt es aber trotzdem, nicht zu verzagen. Denn wer sich dagegen wehrt, erzielt meist Erfolge. «Die anfänglich geforderten Beträge sind als Anker für Verhandlungen über eine einvernehmliche Lösung zu verstehen», sagt Martin Steiger. «Wenn bezahlt wird, liegt der Betrag deutlich darunter, ist aber für die Betroffenen normalerweise immer noch schmerzhaft.»
TikTok selbst wollte sich am Telefon mit CH Media nicht zur Problematik äussern. Medienrechtsanwalt Martin Steiger findet aber, dass Social-Media-Plattformen wie TikTok oder YouTube ihre Nutzer klarer darauf hinweisen könnten, was die rechtlichen Bedingungen für die Verwendung von Musik sind.
(aargauerzeitung.ch)
Was auch noch interessant wäre: Gehen die Abmahner über die Strafverfolgungsbehörden, oder wie kommen sie an die Personendaten? TikTok wird die IP-Adresse bekanntgeben, aber der Provider hoffentlich nicht ohne Aufforderung einer offiziellen Schweizer Behörde den Anschlussinhaber rausrücken.