Catherine Deneuve sitzt etwas nach vorn gebeugt und blickt in die Runde der Journalisten. Qualm steigt vor ihrem Gesicht auf, sie zieht an ihrer Zigarette. Die deutschen Journalistenkollegen sind amüsiert. Wir befinden uns in einem Berliner Hotel. Selbstverständlich gilt hier Rauchverbot, auch für Filmstars. Ausnahmen gäbe es keine. Fast keine.
Es gab bislang eine einzige Person, der das Rauchen in diesem Hotel gestattet war: dem ehemaligen deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt. Und nun offenbar auch Ihnen ...
Catherine Deneuve: Nein, nein! Ich rauche jetzt nur, weil dieses Interview ein privater Anlass ist. In der Lobby würden Sie mich nie mit einer Zigarette erwischen.
Trotzdem: Das Hotel musste in dem Zimmer den Rauchmelder wohl ausschalten.
Ach, die melden sich doch erst, wenn’s brennt (lacht).
Zündstoff steckt auch in Ihrem neuen Film «L’adieu à la Nuit». Sie spielen darin die Grossmutter eines jungen Mannes, der zum Islam konvertiert und in den Dschihad ziehen will. Was hat Sie an dem Film gereizt?
Die Zusammenarbeit mit Regisseur André Téchiné. Wir haben einige Filme zusammen gedreht und sind Freunde. Als ich sein Drehbuch las, fand ich es unglaublich stark. Das Thema ist permanent in den Zeitungen. Trotzdem haben wir keine Antworten. Mir geht es genau wie meiner Filmfigur: Als sie lernt, dass sich ihr Enkel radikalisiert hat, weiss sie nicht, was sie sagen oder wie sie damit umgehen soll.
Was, glauben Sie, ist der Grund, weshalb sich ein junger Mensch radikalisiert?
Angst vor der Zukunft. Diese Menschen wissen nicht, was sie mit ihrem Leben anstellen sollen, und werden dann von den Ideen der Radikalen vereinnahmt. Oft ist ihnen gar nicht bewusst, worauf sie sich einlassen. Aber ihr Leben erhält plötzlich einen Sinn.
Sie zeigen sich mit jedem Film von einer neuen Seite. Wie haben Sie diese Neugier an neuen Rollen während Ihrer über 60-jährigen Filmkarriere aufrechterhalten?
Nun, ich bin von Natur aus neugierig. Das Schönste an meinem Beruf sind ja die vielen verschiedenen Menschen, die man kennen lernt. Ich war sehr jung, als ich meine ersten Filme drehte, und lernte durch diese Begegnungen viel über das Leben, über Menschen und über Beziehungen.
Sie haben sich nie gescheut, öffentlich Ihre Meinung kundzutun. Woher nahmen Sie vor allem in jungen Jahren den Mut? Jungen Schauspielerinnen wird heute eher geraten, sich in Acht zu nehmen.
Ich habe mich als junge Frau ganz und gar nicht in Acht genommen. Auch das liegt in meiner Natur. Inzwischen bin ich viel vorsichtiger geworden. Wenn du heute etwas sagst, wird das oft aus dem Kontext gerissen und verdreht. Vor allem in den sozialen Medien. Ich finde das schrecklich.
Meinen Sie damit die Vorfälle letztes Jahr, als Ihre kritischen Äusserungen über die #MeToo-Bewegung eine Kontroverse auslösten?
Ich meine das allgemein. Es ist abnormal, dass man im Schutz der Anonymität alles über jeden sagen darf.
Hat sich die Lage für Frauen in der Filmbranche seit der #MeToo-Bewegung Ihrer Meinung nach gebessert?
Nur wenn Sie den amerikanischen Zeitschriften Glauben schenken. Ich finde, die #MeToo-Bewegung ist um einiges stärker als das Resultat. Was ich damit sagen will: Man hört den Frauen zu, sie erhalten Platz in den Medien, sie demonstrieren an Festivals und kleiden sich bei den Oscars in Schwarz. Aber ich bin nicht überzeugt, dass sich deswegen viel verändert.
Als weltbekannte Schauspielerin kommt Ihnen eine Art Vorbildfunktion zu. Zu Ihnen schauen auch jüngere Kinogänger auf. Was ist das für ein Gefühl, durch alle Altersschichten hindurch Bewunderer zu haben?
Wie gesagt, ich bin neugierig, und deshalb probiere ich stets neue Dinge aus. Vielleicht sind darunter auch Dinge, die man nicht von mir erwarten würde. Musik zum Beispiel. Aber ich habe auch Enkel, denen ich mich sehr nahe fühle. Mein Enkel ist Musiker, dank ihm entdecke ich viel neue Musik und entspanne mich bestens zusammen mit jüngeren Menschen.
Sie wirken vor der Kamera auf eine gewisse Art jung. Wie jung oder alt fühlen Sie sich?
Manchmal fühle ich mich wie dreissig, zum Beispiel, wenn ich bei meinen Enkelkindern bin und mich da ausgiebig vergnüge. Dann vergesse ich alles um mich herum. Aber meistens fühle ich mich wie sechzig. Und manchmal – gegen Ende der Woche, wenn ich müde bin – fühle ich mein tatsächliches Alter. (lacht)
Sie leben seit Jahren im gleichen Pariser Arrondissement. Wie können Sie ungestört Ihrem Alltag nachgehen?
Ich glaube, die Menschen dort haben sich an mich gewöhnt. In Saint-Germain, wo ich wohne, kann ich mich unter der Woche frei bewegen. Ich gehe ins Kino, in Restaurants und in Ausstellungen, so wie alle anderen. Nur am Wochenende bleibe ich im Haus, wegen der vielen Touristen. Es gibt in Paris allerdings so viel zu sehen, da bleiben die Blicke nicht lange an mir hängen. Es gab mal eine Zeit, als Menschen vor meiner Tür ausharrten, um Fotos zu machen, aber die ist vorbei.
Schauen Sie eigentlich jemals Ihre alten Filme?
Meine eigenen? Nein, überhaupt nicht. Ich komme kaum dazu, alle jene Filme zu schauen, die ich wirklich sehen möchte. Da verschwende ich keine Zeit mit meinen eigenen.
Welcher Film, in dem Sie mitgewirkt haben, bedeutet Ihnen heute am meisten?
Wahrscheinlich «Die letzte Metro», wegen meiner Filmfigur. Sie liebt ihren Ehemann, verliebt sich in einen anderen und muss sich nebenher um ein Theater kümmern. Regisseur François Truffaut schrieb für mich eine Filmfigur, die mehr ist als eine hübsche Blondine, nämlich eine Frau mit sehr viel Verantwortung. Eine solche Frau zu spielen, vor allem in diesem Alter – ich glaube, ich war etwa 45 – war etwas sehr Besonderes.
Sie strafen jene Lügen, die sagen, dass es für Frauen über 50 keine interessanten Rollen mehr gibt.
Das trifft allerdings nicht auf die amerikanische Filmindustrie zu. Es sei denn, sie heissen Meryl Streep. Nein, die interessantesten Rollen für Frauen in meinem Alter gibt es vor allem im europäischen Kino.