Wenn das kein überzeugendes Produkt ist! Kim Kardashian hat vor wenigen Tagen den neusten Beauty-Superhype auf den Markt gebracht – er war weltweit sofort ausverkauft. Und weltweit haben Medienschaffende zu ihren Handys gegriffen und Expertinnen und Experten aus der Plastischen-Chirurgie-Branche angerufen, und alle sind sich einig: Kims Kinngurt nützt nichts. Also überhaupt rein gar nichts. Allerhöchstens für ein paar Minuten, aber auch dann eher ein- als ausgebildet. Und im ungünstigsten Fall richtet sie Schäden an. Sorgt für geschwollene Augen und Blutgerinnsel. Doch ausverkauft ist ausverkauft, und die Wartelisten sind lang.
Was also hat Kim getan?
Sie hat mitten in eine Marktlücke hineingestochen. Diese heisst seit einigen Monaten: schöner schlafen. Also: Schön werden im Schlaf. Oder: Den Schlaf kapitalisieren. Man muss sich dafür enorm viel ins Gesicht schmieren oder kleben (der Mund wird beispielsweise ganz zugeklebt), sich eine elastische Binde ums Gesicht wickeln und die Haare in eine spezielle Haube packen. Schlafen darf man einzig auf dem Rücken. Wohlgefühl ist überbewertet, Schönheit gibts nur gegen Schmerz.
Am Morgen zupft, reisst, schält man sich alles wieder vom Kopf, das entsprechende Prozedere nennt sich «Morning Shed», also Morgen-Häutung. Das Ziel: Auszusehen wie ein «glazed Donut», also so porenlos glatt und glänzend wie ein glasierter Donut. Glaubt ihr nicht? Glaubt es!
Auf TikTok funktioniert dies bei sehr, sehr, sehr jungen Frauen, vielleicht auch bei ihnen nur für ein paar Minuten, aber Nachhaltigkeit auf TikTok rechnet sich bekanntlich in Millisekunden.
Kim Kardashian ist schon seit Jahren erfolgreiche Unternehmerin mit der Shape Wear (figurkontrollierende Unterwäsche) SKIMS. Jetzt hat sie aus dem gleichen Material – angereichert mit «Kollagen-Fäden» – ihren Seamless Sculpt Face Wrap entwickelt. Das ist ein bandageartiger Gesichts-Schlüpfer, der besonders die Kiefer-, Hals- und Wangenpartie vorteilhaft formen sowie Falten und das ungeliebte Doppelkinn eliminieren soll. Was genau denn die Kollagen-Fäden sein sollen, wollte die «New York Times» von SKIMS wissen, sie hat bis heute noch keine Antwort erhalten.
Am besten entfalte der Wunderwickel seine Wirkung (also keine) nachts, heisst es, in jener Gespenster-Phase, da sich die erfolgreiche Frau von heute in eine Schneewittchen gleiche, totenstille Mumie verwandeln soll.
Doch auch tagsüber ist er nicht verboten. Im Gegenteil! Wer ihn trägt, behauptet nämlich, frisch von einer Gesichtsstraffungs-OP zu kommen. Denn die Wickel sind elastischen Post-OP-Bandagen nachempfunden. Wer also einen trägt, verbreitet den Eindruck, gerade sehr viel mehr in sein Aussehen investiert zu haben als bloss die lumpigen 48 Dollar, die Kim dafür verlangt.
Es geht also um sehr viel Schein und keinerlei Sein. Um reine Illusionskunst. Die ja der Kern der Kosmetikbranche ist. Sich Schminken heisst Lügen. Das Verb «to make up» hinter «Make-up» heisst «sich etwas ausdenken» und «erfinden». Und niemand ist mit solcher Leidenschaft leichtgläubig wie die Kundinnen von Kosmetikprodukten. Nur Versprechen sind noch schöner als die Schönheit selbst.
Neu ist das selbstverständlich alles nicht. Schon in den 1920er-Jahre jagte man zur Faltenminderung Strom durch Gesichtsmasken, die Verwandtschaft zu mittelalterlichen Foltergeräten war nicht weit. Und spottbillige Pendants zu Kims Erfindung gibt es längst haufenweise auf Amazon. Doch nichts macht gerade so viel Lärm wie die Seamless Sculpt Face Wrap.
Einer hat Kim Kardashian dafür sogar zum Fressen gern: Der Schauspieler Anthony Hopkins fühlt sich an seine berühmteste Maske in «The Silence of the Lamb» erinnert und dank Kims Erfindung wieder jung genug, um wie einst Hannibal Lecter sein kannibalisches Unwesen zu treiben. Wenn das kein Nebeneffekt ist!