SPOILERWARNUNG: Wer den Film noch nicht gesehen hat, wird hier mit Details konfrontiert.
«Ich.Bin.So.Glücklich» – ein zynischer Filmtitel, der mich gleich zum Schauen animierte. Und der ausnahmsweise besser klingt als der Originaltitel: «Luckiest Girl Alive». Die Beschreibung zum Film habe ich nicht wirklich durchgelesen, ich las bloss die Stichworte True-Crime und Journalistin – das triggerte schon genug.
Dass True-Crime sich auf den Film bezieht – und nicht auf einen realen Kriminalfall, realisierte ich erst während des Schauens. Da steckte ich schon zu tief in der Geschichte, die mich mit unerwarteten Wendungen berührte. Denn: Der Film ist keine seichte Unterhaltung. Er greift Themen auf, die mich zum Nachdenken anregten (dazu kommen wir noch).
Am Ende fragte ich mich dennoch: Steckt hinter dem Film tatsächlich nur Fiktion? Da begann ich zu recherchieren.
Aber erst einmal von vorne:
Ani (Mila Kunis) ist Journalistin bei der Frauenzeitung «The Women's Bible». Fromm ist das Hochglanz-Magazin nicht. Orgasmen und Sextoys beherrschen die Titelseiten – alle geschrieben von Ani. Dies macht sie zum Journi-Liebling der Chefin. Wirklich befriedigend findet Ani ihren Job aber nicht. Sie möchte lieber beim «New York Times Magazin» arbeiten. Doch ihre Chefin verspricht ihr eine baldige gemeinsame Zukunft bei der renommierten Zeitung. Lange müsse sie nicht mehr warten, bis sie an der Spitze einer renommierten Zeitung stehe, verspricht ihre Chefin.
Ihr Privatleben scheint perfekt. Ani steht kurz vor der Hochzeit mit ihrem wohlhabenden Verlobten. Doch ihr scheinbar perfektes Leben beginnt zu bröckeln, als ein Mann wegen eines Interviews für eine True-Crime-Doku bei ihr anklopft.
Denn Ani hat eine dunkle Vergangenheit. Sie leidet unter mehreren Traumata. Als Teenager erlebte Ani Mobbing, sexuellen Missbrauch durch mehrere Jungs an ihrer Highschool sowie ein Schulmassaker.
Das Drama greift vor allem ein Thema auf, das meist vergessen geht: das Stigma der Opferrolle. Und wirft Fragen auf wie: Was ist, wenn eine Frau betrunken sexuelle Gewalt erlebt und sich nicht erinnern kann, ob sie Nein gesagt hat?
Denkanstösse, die sich die Drehbuchautoren überlegt haben?
Nein. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman der amerikanischen Autorin Jessica Knoll aus dem Jahr 2015, der als Ich-Erzählung geschrieben ist.
Künstlerinnen und Künstler versuchen ihre Traumata oft über Texte, Malerei oder Gesang zu verarbeiten. So rätselten nach der Veröffentlichung von Jessica Knolls Debütroman viele, ob ihr Buch wohl auf eigenen Erfahrungen gestützt ist.
Die Frage blieb lange unbeantwortet.
Bis eine Frau bei einer Buchvorlesung fragte, wie sie die Geschehnisse von sexualisierter Gewalt so realistisch darstellen konnte. Knoll antwortete: «Mir ist etwas Ähnliches passiert wie Ani.»
Tage später veröffentlichte sie ihre Geschichte. Über die Parallelen zwischen ihr und der fiktiven Ani schrieb sie 2016 präzise im feministischen Online-Newsletter Lenny Letter:
Danach habe sie sich nie mehr getraut, über die Geschehnisse zu sprechen. Stattdessen habe sie Luftschlösser einer perfekten Zukunft gebaut.
Mit 31 übertraf sie sich dann selbst. Ihr Roman wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und stand monatelang auf den Bestsellerlisten. Und sie machte mit ihrer Enthüllung – noch vor der grossen #MeToo-Bewegung, die erst durch den Weinstein-Skandal so richtig ins Rollen kam – öffentlich auf das Thema sexuelle Gewalt aufmerksam.
Schlüsselroman wollte sie ihr Buch nicht bezeichnen, denn: Einige Handlungen des Buches, wie etwa das Schulmassaker, seien frei erfunden.
Über ihre Vergangenheit spricht Knoll heute auch in sozialen Medien. So habe sie schon viele Opfer sexueller Gewalt ermutigen können, ihr Schweigen zu brechen, wie sie der Times kürzlich berichtete. Diese Überwindung sei die Heilung gewesen, nach der sie jahrelang gestrebt habe.
Die Verfilmung ist seit dem 7. Oktober 2022 auf Netflix verfügbar.