1793 wird auf der Place de la Revolution in Paris ein kopfloser Frauenkörper von der Guillotine gehievt. Triumphal hebt der Scharfrichter das Haupt der Hingerichteten der Zuschauermenge entgegen. Es gehörte Olympe de Gouges, der revolutionären, feministischen Vorreiterin, die zwei Jahre zuvor die Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin verfasst hatte.
Das Dokument war eine Analogie auf die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, die als eine der grossen Errungenschaften der Französischen Revolution gilt. Darin wird die Gleichheit aller Menschen und die Abschaffung der Hierarchien gefordert. Mit «Mensch» meinte man damals «Mann». Olympe de Gouges tat letztlich nichts anderes, als «Mensch» auch mit «Frau» zu übersetzten. Dafür bezahlte sie mit ihrem Leben.
Die Erklärung für die Rechte der Frau nahm de Gouges aber nicht mit ins Grab. Das Dokument lebte weiter – und mit ihm seine Forderung nach Gerechtigkeit.
118 Jahren nach ihrem Tod gingen westeuropäische Frauen auf die Strasse, um mit Transparenten und Trompeten zu verkünden, dass sie «nicht Menschen zweiter Klasse» sein wollen.
Es war der 19. März 1911, an dem Sozialistinnen aus Dänemark, Deutschland, Österreich-Ungarn und der Schweiz nach dem Vorbild der Amerikanerinnen und Britinnen erstmals einen Internationalen Frauentag begingen und für ihre Rechte aufmarschierten.
Ausser in Finnland hatten Frauen damals in keinem europäischen Land das Recht auf politische Mitbestimmung. Doch damit nicht genug: Frauen hatten keinen Anspruch auf Bildung, waren zeitlebens durch Vater, Ehemann, Bruder oder Onkel bevormundet und unterstanden keinem Arbeitsrecht.
Zwischen den beiden Weltkriegen wurde den Menschen in den meisten Ländern des Westens allmählich bewusst, dass es absurd ist, sich demokratisch zu schimpfen und gleichzeitig der Hälfte der Bevölkerung das Recht auf politische Mitbestimmung zu verweigern.
Die Schweizer Frauen waren nach dem 19. März 1911 allerdings noch weitere 60 Jahre lang ohne politische Rechte. Bis zum 7. Februar 1971 war das Frauenwahlrecht hierzulande ein feministischer Traum.
Zwei Weltkriege sind überstanden. Die Männer kehren ins Zivilleben zurück und nehmen ihre alten Plätze am Esstisch, in der Fabrik und im Gemeinderat wieder ein.
Frauen geben ihre Aufgaben wieder ab, die sie übernommen haben, während die Männer im Militärdienst waren. Sie wandern in Waschmittel-Werbungen ab, ziehen sich in Küche, Bad und Kinderstube zurück.
Frauen nähen Kleider, schneiden Haare oder tippen Texte auf der Schreibmaschine ab. Als ob die Kälte der nach dem Krieg geteilten Welt den Feminismus eingefroren hätte, erstarrte die Bewegung der Sufragetten für gut zwei Dekaden.
Zwar träumte man in Damenvereinen – wie zum Beispiel dem bereits 1894 gegründeten Zürcher Frauenstimmrechtsverein – weiterhin von der politischen Mitbestimmung der Frau. Doch als Gefangene im Laufgitter der bürgerlichen Kleinfamilie kam ihr Aktivismus allzuoft in Form von … naja, Fackelmärschen daher.
Am 1. Februar 1959 verwarfen Volk und Stände die Einführung des Frauenstimmrechts auf nationaler Ebene wuchtig.
Erst das Jahr 1968 brachte eine Generation hervor, die der Rückständigkeit ihres Landes nicht einfach tatenlos ins Gesicht schauen wollten. Die frisch formierte Frauenbefreiungsbewegung (FBB) störte die friedliche Kundgebung am 1. Februar 1969 zum Gedenken an die zehn Jahre zuvor verlorene Abstimmung, indem sie als Sexualobjekte und Hausfrauen verkleidet ein Improvisations-Strassentheater aufführte.
Die FBB war massgeblich am Ja von 1971 beteiligt, doch ihre Forderungen gingen über das Wahlrecht hinaus: «Kindertagesstätten, der freie Zugang zu Verhütungsmitteln, der straflose Schwangerschaftsabbruch, Lohn- und absolute Rechtsgleichheit», lauteten ihre Parolen.
Das Vorbild der FBB war das amerikanische «Women's Liberation Movement», das jeweils am 8. März im grossen Stil den «Women's Liberation March» beging. Die Message: «Frauen der Welt, vereint euch gegen die Ungerechtigkeit, die euch widerfährt.»
Die FBB löste sich erst mit einem grossen Frauenfest 1989 auf; sie sah ihre prioritären Ziele – Frauenanliegen in die öffentliche Meinung und die «richtige Politik» zu bringen – als erreicht an.
Die Fristenregelung für die legale Abtreibung wurde indes erst 2002 gesetzlich verankert, die Lohngleichheit ist noch immer nicht gesichert und Sexismen bleibt ein alltägliches Phänomen.
Es ist der 27. Januar 2017. Eine Woche ist seit der Vereidigung des neuen amerikanischen Präsidenten vergangen. Viele regen sich über den neuen starken Mann im Weissen Haus auf, einige sind traurig. Eine Gruppe von 2500 Menschen in Genf protestiert für die Würde der Frau.
Weltweit tun es ihnen Millionen weitere Menschen gleich.
Die dritte Welle des Feminismus ist angerollt, wenn auch die Forderungen weitgehend die gleichen sind wie diejenigen der Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin von 1791: Die Frau soll dem Mann gleichgestellt sein. Nicht nur rechtlich, sondern in jeder Beziehung.
Der Feminismus findet inzwischen zu einem guten Teil im Netz statt: Man kann sein Pofilbild auf Facebook werden mit solidarischen Wasserzeichen bestückt und Petitionen für die Rechte von Transmenschen unterzeichnet.
Der Ansatz des aktuellen Feminismus hat sich denn aber doch gewandelt. Statt «Women unite!» wird heute «Smash the patriarchy!» oder «#Aufschrei» skandiert. Der Feminismus hat sich zu einer Ideologie entwickelt, die sich nicht nur mit der Identität der Frau, sondern mit der Kategorie Geschlecht als Ganzes befasst. Die Mehrfachdiskrimierung bezüglich Rasse und Sexualität wird kritisiert und auch das Leiden von Männern in patriarchalen Gesellschaften thematisiert.
Der Feminismus wurde zwischen den 90ern und heute zunehmend zu einem elitären Diskurs, der vor allem in Universitäten geführt wurde und sein Milieu im globalen Netz fand.
Es brauchte einen alten, zynischen Mann mit orangen Haaren, öffentlich diskutierte Vergewaltigungsprozesse und ganz viele Aufschreie in den sozialen Medien, um den Feminismus wieder dorthin zu bringen, wo er am wirkmächtigsten ist: auf die Strasse.
WII Frankreich mit
14.11.1917 USA
verwechselt.