Okay, es werden in den nächsten Tagen in Solothurn auch ein paar Filme laufen, über die zusammenfassend sagen kann: Diese Schweizer Filme haben weder Chancen noch Zuschauer verdient. Wobei man ja bei Schweizer Filmen eh nie den ganz grossen Zuschaueransturm befürchten muss. Ausser es handelt sich um Kinderbuchverfilmungen wie «Heidi», «Schellenursli» oder «Mein Name ist Eugen». Kinder können wir.
Aber was für ein grossartiger Eröffnungsfilm! Er heisst «Die göttliche Ordnung» und gipfelt in jenem historischen Wahlsonntag 1971, als die Schweizer (die Schweizerinnen durften logischerweise noch nicht) Ja zum eidgenössischen Frauenstimmrecht sagten.
Die Frau hinter dem Film ist Petra Volpe (Regie und Drehbuch) und sie hat schon mit dem Drehbuch für «Heidi» gezeigt, wie man einen Riesenerfolg – sogar einen internationalen – macht. In «Die göttliche Ordnung» nimmt sie nun einen schwierigen, störrischen, auch schmerzhaften Stoff und macht daraus gekonnt enorm beschwingtes Mainstream-Kino.
Obwohl 1971 noch gar nicht so lange zurückliegt, scheint fast unvorstellbar, was damals alles möglich ist. Ungezogene Töchter können in die Erziehungsanstalt oder gleich ins Gefängnis gesteckt werden. Die Ehefrau ist ihrem Mann in allem Untertan, arbeiten darf sie nur mit seiner Einwilligung. Ihre finanzielle Abhängigkeit ist absolut.
Eine dieser Frauen, eine Brave, Unglückliche vom Dorf, ist Nora (Marie Leuenberger). Nora. So heisst auch das berühmteste Theaterstück des norwegischen Dramatikers Henrik Ibsen. Seine Nora ist eine unglückliche Gattin, die in ein neues Leben aufbricht und Mann und Kinder verlässt. Doch die Nora von 1971 will ihr altes Leben gar nicht verlassen, sie will bloss ein paar ganz realistische Dinge dazu: das Stimmrecht, einen kleinen Job als Sekretärin bei Kuoni und den ersten Orgasmus in ihrem Leben.
Dass die Sache mit dem Orgasmus gar nicht so schwierig ist, lernt sie in Zürich beim Sexworkshop nach einer Frauendemo. Die schwedische Sexpertin, die den Schweizerinnen zeigt, wie untenrum alles funktioniert, ist übrigens Sofia Helin. Und wer ist Sofia Helin? Genau, keine andere als Saga Norén aus der dänischen Krimiserie «The Bridge».
Petra Volpe hat ihre Nora in einem Dorf mit komplexen Beziehungsstrukturen zwischen den Generationen und den Geschlechtern angesiedelt. Hat unzählige Figuren erfunden, die dem Mysterium der Emanzipation ganz unterschiedlich gegenüber stehen, hat ihnen Geschichten geschenkt, die hässig machen, lustig sind oder rühren (der Losweinen-Wollen-Faktor in diesem Film ist enorm hoch). Die «Verpolitisierung der Frau» beschäftigt vom Stammtisch bis ins Ehebett alle, das «vernachlässigte Kind» ist die Horrorvorstellung schlechthin.
Rund um das Dorf brodelt und lodert die Welt: Woodstock, die Hippies, Strassenkrawalle, die Frauenbefreiung. All dies schwingt mit in «Die göttliche Ordnung», nicht zuletzt im Soundtrack einer Bewegung. Und die Schweizer Hausfrau Nora Ruckstuhl liest das gleiche feministische Standardwerk von Betty Friedan wie die amerikanische Hausfrau Betty Draper in der Serie «Mad Men».
Die Welt hat das Dorf längst durchdrungen in Petra Volpes Film, und mit der 224. Volksabstimmung am 7. Februar 1971 passt sich auch das Grossdorf Schweiz der Welt an. Respekt, liebe Petra Volpe. Kinder können Sie, das haben Sie mit «Heidi» bewiesen. Frauen auch.
An den Solothurner Filmtagen (19. bis 26. Januar) gibt es «Die göttliche Ordnung» noch am Mo, 23. Januar, um 20.45 Uhr in der Reithalle zu sehen. Hier geht es zum ganzen Programm.
Offizieller Kinostart ist der 9. März.