Der Countdown wird heruntergezählt und überall stellen sich die Paare in Position: «Zehn, neun, acht ...» – Feuerwerkskörper erhellen die Luft, Wunderkerzen glitzern in Händen, küssende Menschen überall markieren den Start ins neue Jahr.
Für Menschen, die gerne ebenfalls in einer Beziehung wären, ist dieser Moment oft ein Stich ins Herz. Ein neues Jahr, das einsam beginnt. Ein tapferes Lächeln zwischen lauter Verliebten. So manch unfreiwilliger Single hat sich schon zum Jahreswechsel heulend in eine Toilette verzogen.
Aber warum ist der Solo-Blues gerade an Silvester so ausgeprägt? Und wie kann man verhindern, dass die Party zum Jahreswechsel zum Trauertief wird? watson sprach darüber mit Vera Matt. Sie ist Paartherapeutin und hat eine psychotherapeutische Praxis in Brandenburg.
«Das Problem ist natürlich nicht das Single-Dasein an sich», erklärt sie, «sondern dass auf Silvesterfeiern mehr Menschen paarweise unterwegs sind als an einem normalen Samstagabend. Wer einen Partner hat, verbringt diesen Abend mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit mit ihm. Und so kommt es dem Single schnell so vor, als wären wirklich alle ausser ihm selbst in glücklichen Beziehungen ...»
Silvester ist Abschied und Neustart in einem, symbolisch aufgeladen und voller Erwartungen. Wie lief das vergangene Jahr für mich? Und was erwartet mich 2024? Das sind typische Fragen, die an Silvester aufkommen.
«Der Kalender springt auf das neue Jahr und damit werden auch Wünsche und Vorsätze noch einmal ganz gegenwärtig. Wenn der Wunsch nach einer Partnerschaft besteht, wird man an diesem Abend zumindest deutlich daran erinnert», sagt Vera Matt. «Genauso wie an schmerzliche Trennungen, die man unter Umständen Revue passieren lässt.»
Ein leichter Alkoholeinfluss ist den Gefühlen bekanntermassen auch nicht immer zuträglich. Die gute Nachricht ist jedoch, dass sich dieser Blues leicht verhindern lässt, sagt Vera Matt:
Wer regelmässig in eine Neujahrstraurigkeit rutscht, könne sich erst einmal fragen, warum ihm Silvester überhaupt so viel bedeutet. «Was verbinde ich mit dem Neujahr? Welche Wünsche stehen da überhaupt hinter?», erläutert Vera Matt. Ist es wirklich der Wunsch nach einer Partnerschaft? Nach Kindern? Oder einfach nach einer Veränderung?
«Das Jahr hat 365 Tage. Es gibt keinen Grund, diesem einen Datum so übermässig viel Gewicht in Bezug auf das eigene Glück zu geben. Am Ende ist Silvester eine Erfindung der Menschen», sagt Vera Matt.
Das Singleleben hätte zudem unheimlich viele Vorteile, gibt die Therapeutin zu bedenken: «Natürlich kann man sagen: ‹Ich bin alleine. Ich habe niemanden.› Aber das Ungebundene ist auch Freiheit und Abenteuer. Das ist Flexibilität und Chance.» Wer sich nicht mit einem Partner absprechen muss, kann zum neuen Jahr genau das tun, was sich für ihn richtig anfühlt: Auf der Couch bleiben, sich selbst in ein schickes Hotel einladen oder die ganze Nacht durchtanzen – völlig egal.
So simpel es klingt, viel Kummer lässt sich mit der Wahl der richtigen Feier verhindern. Ein Ort, an dem Menschen zusammenkommen, die ebenfalls alleine stehen, ist im Zweifel spassiger für Singles als das Pärchen-Raclette der Freunde, sagt Vera Matt:
Und spätestens am nächsten Morgen können Singles die Vorteile des Ungebundenen geniessen, wenn sie den ganzen Tag IHRE peinliche Lieblingsserie auf dem Sofa bingen und so gelassen in den Januar rutschen.
Es ist nicht die eine Nacht, die entscheidet, wie das Schicksal 2024 aussehen wird. Wer sich von der überhöhten Erwartung frei macht, kann den Abend – ob Single oder nicht – als das geniessen, was er ist: eine kollektive Party.
In der Vorweihnachtszeit trifft man sich mit Freunden zum Glühwein trinken und an Weihnachten macht man die Runde bei den Familienangehörigen. Am Silvester bin ich dagegen endlich ganz für mich allein.
Für mich ist der Tag zum Jahres - Feierabend geworden: Ein Jahr geht zu ende. Ich schliesse es innerlich ab und fange am nächsten Tag ein neues an!