Von der Tellerwäscherin zu einer der bedeutsamsten Frauen in der Bergsteiger-Community: Die Geschichte von Lhakpa Sherpa könnte glatt aus einem Film stammen.
Aber von Anfang: Lhakpa Sherpa ist 1973 in einem Dorf in den nepalesischen Bergen geboren, ihre Eltern waren Yak-Bauern und sie wuchs gleich neben dem Mount Everest auf. Aufgrund ihres Geschlechts wurde ihr verweigert, in die Schule zu gehen, Lhakpa kann bis heute weder lesen noch schreiben. Doch davon lässt sie sich nicht abhalten, ihr Traum zu leben.
Im Alter von 15 Jahren begann sie, als Sherpa zu arbeiten, ihre Eltern unterstützten ihre Ambitionen nicht. «Meine Mutter warnte mich, dass ich zu maskulin werden würde und nie einen Mann finden werde», sagt sie gegenüber BBC. «Die Dorfbewohner sagten mir, dass dies ein Männerberuf sei und ich sterben würde, wenn ich es versuchen würde.»
Lhakpa liess sich von diesen Kommentaren nicht beirren und machte weiter. Sie war die erste Nepalesin, die es auf den Mount Everest und lebend wieder heruntergeschafft hat. Das war im Jahr 2000. Sieben Jahre zuvor war Pasang Lhamu Sherpa die erste Nepalesin auf dem Gipfel. Beim Abstieg verunglückte sie jedoch tödlich.
2003, nur drei Jahre später, stellte Lhakpa ihren nächsten Rekord auf. Bei dieser Besteigung wurde sie von ihrer Schwester und ihrem Bruder begleitet. Damit waren sie das erste Geschwister-Trio, das gleichzeitig einen 8000er bestieg. Eine Leistung, die das «Guinness-Buch der Rekorde» anerkannte. Ihre 15-jährige Schwester war zu diesem Zeitpunkt die jüngste Person, die je den Everest erklommen hat.
Sie heiratete den Bergsteiger George Dijmarescu, der sich später als gewalttätig herausstellte, und zog mit ihm in die USA, wo sie seither lebt. Mit ihrem (inzwischen) Ex-Mann bestieg sie fünf weitere Male den höchsten Gipfel der Welt. Doch ihre Leistungen fanden weder in den Medien noch bei Sponsoren Beachtung. Viele Jahre lang lebte sie ohne jede Anerkennung und arbeitete für den Mindestlohn. «Ich kümmerte mich um ältere Menschen, putzte Häuser und wusch Geschirr», sagt sie.
«Ich verdiente nicht viel Geld. Ich konnte mir weder Kleidung noch einen Haarschnitt leisten. Ich musste mich nur um meine Kinder kümmern und dann hoffen, dass ich genug hatte, um zum Everest zurückzukehren.» Doch ihre Leidenschaft fürs Klettern blieb. Sie stieg zweimal als Bergführerin hinauf, und bei einigen Gelegenheiten unterstützten Freunde und Familie ihre Reisen.
Ihre finanzielle Lage änderte sich, als sie lernte, gut Englisch zu sprechen. Sie gab Interviews und sprach auf Veranstaltungen. Für ihre neunte Gipfelstürmung im Jahr 2018 fand sie endlich einen Sponsor. Trotzdem: Ressourcen wie Ernährungsberatung, eine moderne Ausrüstung und Zeit richtig zu trainieren, wie das andere Extremsportler haben, stehen ihr bis heute nicht zur Verfügung.
Die Doku von Netflix startet im Jahr 2022, ein Kamerateam begleitet sie auf ihrer nächsten Tour. Seit vier Jahren hat Lhakpa den Gipfel, der in ihrer Kindheit gefühlt neben ihrem Garten in den Himmel ragte, nicht mehr gesehen. Für diese Besteigung sammelte sie das nötige Geld über Crowdfunding.
Keine Überraschung: Lhakpa hat es im Alter von 49 Jahren geschafft und einen neuen Weltrekord aufgestellt. Sie ist die erste Frau, die den Everest zehnmal erklomm.
Diese gefährliche, potenziell sogar tödliche, Herausforderung nimmt Lhakpa auch nach so vielen Aufstiegen nicht auf die leichte Schulter. Sicherheit ist ihre oberste Priorität.
Es geht viel um Vertrauen – in sich selbst, den Kletterpartner und den Berg. «Wenn du nicht vertraust», sagt Lhakpa, «dann stirbst du.»
«Der Berg entscheidet über das Wetter», sagte sie. «Bei schlechtem Wetter warte ich lieber. Man kann nicht mit einem Berg ringen.» Über 300 Leute sind beim Versuch, den Gipfel zu erklimmen, verstorben. Viele davon können nicht geborgen werden. Auch Lhakpa hat schon Freunde am Berg verloren – darunter auch ihr Mentor, der in der Nähe des zweiten Lagers in eine Gletscherspalte rutschte.
Ans Aufhören denkt Lhakpa noch lange nicht, ihr nächstes Ziel ist der zweithöchste Berg der Welt, K2. Auch möchte sie gemeinsam mit ihren inzwischen erwachsenen Kindern den Everest besteigen und ihre Leidenschaft mit ihnen teilen.
«Die Berge haben mich immer glücklich gemacht», sagt sie. «Ich werde niemals aufgeben. Ich möchte, dass junge Frauen nicht aufgeben.»
«Lhakpa Sherpa, Königin der Berggipfel» läuft ab dem 31. Juli auf Netflix.