In einer pechschwarzen Nacht springen die Schwestern Sarah und Yusra Mardini ins Mittelmeer. Nicht etwa aus Spass, sondern um Menschenleben zu retten. Sie befinden sich in einem Gummiboot, das einen kaputten Motor hat und zu sinken droht, irgendwo zwischen der Türkei und der griechischen Insel Lesbos.
Die Bilder im neuen Netflix-Film «Die Schwimmerinnen» sind eindrucksvoll und inspirierend, denn die Geschehnisse dieses Filmes sind real und basieren auf dem Schicksal der Mardini-Schwestern. Aufgewachsen in Damaskus, schwammen sie seit ihrer Kindheit. Yusra stellte mit 14 einen Landesrekord auf, doch als im Bürgerkrieg mehrere ihrer Teamkollegen getötet werden, beschliesst sie, mit ihrer Schwester (und ihrem Cousin) nach Deutschland zu fliehen.
Über drei Stunden schwammen die beiden in der kalten Ägäis um ihr Leben und retteten dabei nicht nur sich selbst, sondern auch die 18 anderen Geflüchteten auf dem mit Panzertape zusammengeklebten und überfüllten Schlauchboot, indem sie dieses durchs Wasser zogen. Es ist hell, als sie endlich Land erblicken und sich mit letzter Kraft an einen griechischen Strand retten.
Sarah und Yusra gehören zu knapp fünf Millionen Syrerinnen und Syrern, die 2015 aus ihrem Heimatland geflohen sind. Auf der gefährlichen Reise übers Mittelmeer verloren 2015 laut der UNO-Flüchtlingshilfe knapp 4000 Menschen ihr Leben. Im August landeten die Schwestern mit 80'000 weiteren Menschen auf Lesbos. Gemeinsam mit anderen reisten sie weiter nach Deutschland – manche Nächte waren schön, andere furchteinflössend, beschreibt Yusra die Reise.
Yusra war damals erst 17 Jahre alt, hatte aber ein ganz spezifisches Ziel vor Augen: an den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro für ihr Land Syrien zu schwimmen. Ein Traum, der in weiter Ferne schien, denn sie konnte zwei Jahre lang nicht trainieren. Auch Trainer Sven Spannekrebs, der sich bereit erklärte, Yusra zu trainieren, hielt Tokio 2020 für ein realistischeres Ziel.
Doch es ging alles schneller als gedacht.
Sie bekam die Möglichkeit, im neu gegründeten Flüchtlingsteam anzutreten. Zuerst wollte sie nicht; sie wollte für Syrien schwimmen. Doch dann sagte sie doch zu: «Ich trage eine Verantwortung gegenüber allen anderen Geflüchteten, die nicht gehört werden», sagte sie gegenüber Glamour. Und weiter: «[...] Sven meinte: ‹Du entscheidest, wer du sein möchtest, und nicht die Mannschaft, für die du antrittst.› Das habe ich eingesehen.»
Yusra reiste nach Rio.
Und 2020 nach Tokio.
Seit 2019 ist sie ausserdem als UN-Sonderbotschafterin tätig.
Und Sarah? Sie kehrte nach Griechenland zurück, um Menschen zu helfen, die – wie sie – über das Mittelmeer nach Europa kommen. Doch ihr Engagement wurde ihr zum Verhängnis: Gemeinsam mit anderen Aktivistinnen und Aktivisten wurde sie 2018 verhaftet und sass drei Monate in Untersuchungshaft. 2021 wurde das Verfahren gegen sie wegen Spionage, Schlepperei, Geldwäsche und Verrat eröffnet. An den Verhandlungen darf sie, wegen des Einreiseverbotes in Griechenland, das gegen sie verhängt wurde, nicht teilnehmen. Ihr drohen bis zu 25 Jahre Haft.
«Die Schwimmerinnen», momentan der am dritthäufigsten geschaute Netflix-Film in der Schweiz, zeigt nicht nur ein grausames Schicksal auf, sondern macht auch Hoffnung. Hoffnung auf Überleben, Freiheit und Träume.
«Die Schwimmerinnen» kann auf Netflix geschaut werden.
Sarah Mardini reiste zurück nach Lesbos um Flüchtlingen zu helfen und wurde im November 2021 desswegen angeklagt.
Darüber müsste viel eher berichtet werden als über das Olympia Habby End von Yusra.