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Züri West: «Ich habe schon Scheisstage», sagt Kuno Lauener

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«Ich habe schon Scheisstage», sagt Kuno – wie es mit Züri West weitergeht, ist offen

Mit dem neuen Album «Loch dür Zyt» gibt die Berner Kultband ein überzeugendes Lebenszeichen. Aber auf die Bühne wird sie nie mehr zurückkehren.
07.12.2023, 07:40
Stefan Künzli / ch media
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Nur ein paar Schritte vom Bahnhof entfernt liegt das U3, das Probelokal und Studio von Züri West – im Herzen der Stadt Bern. Hier treffen wir uns mit Sänger und Dichter Kuno Lauener, 62, und dem Gitarristen Küse Fehlmann, 60. Sie sind die Gründungsmitglieder und der harte Kern der Berner Kultband, die im kommenden Jahr ihren 40. Geburtstag feiert.

Züri West 2023: Manuel Häfliger, Florian Senn, Kevin Chesham, Kuno Lauener, Küse Fehlmann und Oli Kuster (von links).
Züri West 2023: Manuel Häfliger, Florian Senn, Kevin Chesham, Kuno Lauener, Küse Fehlmann und Oli Kuster (von links).Bild: Caspar Martig

Es ist eine spezielle Situation: Denn bei Kuno Lauener wurde vor sechs Jahren Multiple Sklerose diagnostiziert. Lange wusste man nicht, ob und wie es mit der Band weitergehen würde. Mit dem Album «Loch dür Zyt» meldet sie sich zurück. Im Gespräch merkt man Lauener die Krankheit nur bedingt an. Er spricht mit Bedacht und nimmt sich Zeit für die richtigen Wörter.

Kuno Lauener, wie geht es Ihnen?
Lauener:
Die Krankheit bestimmt mich, es hat sich viel verändert. Es geht auf und ab. Ich habe schon Scheisstage, an denen ich merke, dass ich nicht in Form bin. Ich muss lernen, gewisse Dinge anders zu machen als früher. An anderen Tagen flutscht es wieder problemlos.

Wird es Konzerte geben?
Lauener: Leider nein, Konzerte wird es keine mehr geben. Meine Krankheit ist der Grund, dass wir nicht mehr auftreten können. Das ist das Schlimmste, gravierend und einschneidend für alle. Nicht zuletzt aus finanzieller Sicht, da gibt es nichts schönzureden. Konzerte waren in den letzten Jahren unsere Haupteinnahmequelle. Die Tonträgerverkäufe sind generell eingebrochen, verdienen lässt sich längst nicht mehr so viel wie früher.
Fehlmann: Es fehlt ein gutes Jahresgehalt. Aber das müssen wir akzeptieren. Emotional ist es noch einschneidender für mich, denn ich stand gern auf der Bühne. Wir waren eine leidenschaftliche Liveband. Ich werde es sehr vermissen. Aber es ist, wie es ist. Punkt. Immerhin habe ich ein weiteres Standbein. Seit rund zehn Jahren bin ich mit einem Pensum an der Hochschule der Künste Bern angestellt. Alle Musiker von Züri West haben inzwischen wieder andere Jobs.​

Sie könnten ja mit einer anderen Band auf der Bühne stehen.
Fehlmann:
Ich war nie zusätzlich in einem anderen musikalischen Projekt engagiert. Ich bin ein Bandmusiker. So lange es Züri West gibt, werde ich bei Züri West sein. Ich habe mehr als mein halbes Leben bei dieser Band verbracht. Sie ist auch meine Familie, mein Leben.

Immerhin gibt es jetzt ein neues Album mit dem Titel «Loch dür Zyt». Es ist ruhiger, reduzierter und melancholischer als frühere Alben. War es eine bewusste Entscheidung, in diese Richtung zu gehen?
Fehlmann:
Wir hatten nicht den Plan, eine melancholische Platte zu machen. Vielmehr hat sie sich in diese Richtung entwickelt. Bei Züri West funktioniert es so, dass wir Musiker Kuno unsere Songideen und Fragmente in die Hand drücken oder schicken. Er durchforstet dann diese Demos, lässt sich inspirieren, pickt sich das eine oder andere heraus und versucht, Text und Musik in einen Song zu giessen.
Lauener: Meine Lebensumstände und meine Krankheit haben bei der Auswahl der Songideen sicher eine Rolle gespielt. In der Band haben wir ein herzliches Einvernehmen. Meine Bandkollegen müssen sich anpassen und versuchen mich zu unterstützen, wo es geht. Gleichzeitig muss eine kritische Sicht auf die Arbeit aller immer möglich sein. Sonst stimmt die Qualität nicht.

«Chum du nume, du Jahr, du Nöis. No grad gieben i nid uf», singen Sie in «Winterhale». Mir scheint, dass es perfekt Ihre Befindlichkeit trifft – und den Zustand der Band.
Fehlmann:
Ja, genau. Wir sind melancholisch, aber wir resignieren nicht. Wir schauen nach vorne. Und sowieso: Kuno ist ein Kämpfer.

Kürzlich schrieb Bänz Friedli in den sozialen Medien: «Lieber Kanton Bern, könnt ihr diesem Mann, Kuno Lauener, jetzt bitte endlich den grossen, aber bitte ganz grossen Literaturpreis verleihen?» Hat sich der Kanton Bern schon gemeldet?
Lauener: Nein, nein, aber ich erhielt viele Reaktionen aus meinem Umfeld. Es hat mich natürlich sehr gefreut. Ein richtiger Sänger war ich ja nie, aber Musiker, Performer und Texter.
Fehlmann: Kuno hat von Anfang an Texte geschrieben, die berührt haben. Dazu hat er mich als Performer und Gitarrist überzeugt.
Lauener: (Fällt ins Wort.) Was? Als Gitarrist?Fehlmann: Doch! Du hattest Attitude und auch geile Licks drauf. Und dann warst du natürlich immer ein präziser, differenzierter und genau beobachtender Geschichtenerzähler. Über die Jahre hat sich dein Handwerk noch verdichtet und verfeinert.
Lauener: Ich habe vieles versucht … als Sänger oder Spoken-Word-Artist.

Das ist jetzt aber schon ein Understatement.
Lauener:
Schon, aber es gibt viele andere Sängerinnen und Sänger, die wirklich gut singen können. Ich habe davon profitiert, dass es im Rock ’n’ Roll keine festen Muster gibt und man alles probieren und machen darf. Ich bin vielleicht nicht der beste Sänger, aber in dem, was ich mache, bin ich, glaube ich, ziemlich gut.

Ihre grosse Stärke sind sicher die Texte, die oft literarischen Gehalt haben. Haben Sie sich noch nie überlegt, einen Gedichtband zu veröffentlichen?
Lauener:
Nein. Aber es stimmt schon; die Texte haben für mich den Anspruch, dass sie für sich stehen und auch ohne Musik auskommen. Insofern könnte ich mir das schon vorstellen.

Sie sind der harte Kern der Band. Es heisst, dass Sie beide die Richtung der Band bestimmen. Ist das so?
Fehlmann:
Die Aussensicht mag so sein. Wir versuchen aber, im Arbeitsprozess die jeweils beste Idee zu nutzen, egal von wem sie stammt. Dadurch, dass wir beide schon so lange zusammenarbeiten und uns so gut kennen, haben wir vielleicht ein unausgesprochenes Übereinkommen, was gut ist für die Band. Ich weiss, wenn Kuno etwas nicht gut findet, dann hat das einen guten Grund.

Sie sind gegen aussen immer etwas im Schatten von Kuno Lauener gewesen.
Fehlmann:
Ich habe auch von der Sonne profitiert. Unsere Band funktioniert ähnlich wie eine Sportmannschaft, jeder hat seine Rolle. Idealerweise ergänzen sie sich. Ich bin ein Teamplayer und weiss zum Beispiel, dass ich kein Frontmann bin. Deshalb arbeite ich mit Menschen zusammen, die Fähigkeiten haben, die mir fehlen.

Tauchen wir in die 80er-Jahre ein. Sie haben damals den Soundtrack des bewegten Berns geschrieben. Wie seht ihr diese Zeit rückblickend?
Fehlmann:
Bewegt, anstrengend, impulsiv und intensiv. Wir waren jung und gaben Vollgas. Wir haben alle gearbeitet oder studiert und am Abend Musik gemacht. Rückblickend weiss ich gar nicht, wie wir das alles hingekriegt haben.
Lauener: Es war eine geile, wilde Zeit. Interessant ist, dass ich zuerst den Bandmitgliedern gefallen wollte. Den Frauen natürlich auch, aber es war das Grösste für mich, wenn meine Bandkumpels gut fanden, was ich mache. Die Band war mein Hauptantrieb.

Welches sind Ihre literarischen Vorbilder?
Lauener:
Ich beziehe meine Inspirationen aus sehr unterschiedlichen Quellen. Das können Erzählungen, Gedichte, Songs, Zeitungsartikel, aber auch Bilder sein. Und natürlich alltägliche Beobachtungen, Menschen, oder erleuchtete Fenster im Wohnblock gegenüber.

Wie steht’s mit Mani Matter?
Lauener:
Er hat uns seit unserer Kindheit begleitet. Schon auf unserem ersten Album «Sport und Musik» haben wir den Matter-Song «Dynamit» interpretiert. Wir fanden es cool, Lieder, die wir als Kind gesungen haben, auf der Bühne in einem anderen Arrangement zu spielen.

Interessant finde ich, dass Polo Hofer den Berner Troubadour als Einfluss zunächst abgelehnt hat. Dagegen habt ihr euch auf Matter berufen, aber Polo abgelehnt.
Fehlmann: Rumpelstilz war zwar für mich als Kind eine Initialzündung, um Musik zu machen. Doch wir wollten uns als «junge Wilde» von Polo und dem, wofür die Berner Szene damals musikalisch stand, auch abgrenzen. Wir wollten uns anders positionieren, wollten als eigenständige musikalische Stimme wahrgenommen werden und orientierten uns mehr an der Energie der englischen Musik der 80er-Jahre, an Bands wie The Clash oder The Police.
Lauener: Wir waren eine andere, eine neue Generation und wollten auch so tönen. Aber eigentlich verstanden wir uns gut. Mehr noch: Heute kann ich sagen, dass Polo für mich musikalisch und textlich ein wichtiger Einfluss war. Ich habe mit ihm auch den Süden der USA bereist. Wir hatten eine gute Zeit zusammen. Er hätte von mir aus nicht gehen müssen. Ich vermisse Polo.

Wie geht es nun mit Züri West weiter?
Lauener:
Wir haben eine geile, neue Scheibe gemacht. In den letzten Wochen wäre ich fast Züri-West-Fan geworden. Es ist einfach eine tolle Band. Jetzt schauen wir, wie es weitergeht.

Trotzige Melancholie
Das neue Album «Loch dür Zyt» ist ruhiger, reduzierter, nachdenklicher und melancholischer als alles, was Züri West bisher gemacht haben. «Chum du nume, du Jahr, du Nöis. No grad gebeni nid uf», singt Kuno Lauener auf dem letzten Song «Winterhale» und fasst damit die emotionale Verfassung des Sängers, aber auch der gesamten Band, zusammen.

Es ist eine trotzige Melancholie, die Züri West befallen hat. Man stellt sich der neuen Situation, aber man resigniert nicht. Die Songs handeln von Verlust, Abschied, Sehnsucht und Einsamkeit, Unsicherheit und Selbstzweifeln. Doch begegnet man auch immer wieder der alten Widerborstigkeit. Etwa im galoppierenden «Hü» oder dem Frostschutz-Coversong «im Bett». Die Rock-’n’-Roll-Unbekümmerheit blitzt aber nur noch im trashigen «Mercury Blues» auf. Eine Referenz an vergangene Tage.

Aber sowieso sind es diese schwermütigen Petitessen, die besonders berühren und die Glanzlichter setzen. Die Stimme Laueners ist noch etwas brüchiger geworden. Der transparente Sound und die sparsame Instrumentierung rücken Stimme und Text noch stärker in den Vordergrund und Laueners Poesie gewinnt zusätzlich an Kraft. Etwa im wunderbaren «D'Idee», der Geschichte einer zweifelnden Idee auf einem Zettel, eingeklemmt zwischen Reissnagel und Wand. Wir finden unzählige poetische Glanzlichter. «Dass Stärbe so luschtig cha sii», stellt Lauener im herbstlichen «Blätter gheie» fest. Oder im Trennungslied «Schnee vo Philadelphia» heisst es: «Schad hei mr nie rächt zäme gredt, guet isch jitz verbii.»

Aber auch die Instrumentierung ist sorgfältig und geschmackvoll gewählt. Auf «Badalamenti am Klavier» nimmt die Band direkt Bezug auf den Filmemacher David Lynch und seinen Komponisten Angelo Badalementi. Diese Art «Twin Peaks»-Ästhetik schwebt über vielen Songs. Die Rückkehr des Tastenmannes Oli Kuster wirkt sich hier äusserst positiv aus. Seine originellen Sounds und Ideen verstärken sanft und unauffällig den Charakter der Songs da.

«Loch dür Zyt» ist ein spätes Glanzlicht im Schweizer Popjahr 2023 und ein starkes Lebenszeichen einer Band, die man fast schon abgeschrieben hat. Das exzellente Album liefert das beste Argument zum Weitermachen. (sk)

Züri West: Loch dür Zyt (Sound Service). Erscheint am 8. 12.
Der Podcast «8424 Züri West» erscheint am 10. 12.
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27 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Ihre Dudeigkeit
07.12.2023 08:00registriert März 2014
Alles gute Kuno. Und Danke, hast mich musikalisch mehr oder weniger mein ganzes Leben begleitet. Halt die Ohren steiff und mach das Beste draus. MS is a Bitch!!
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Scrat
07.12.2023 10:18registriert Januar 2016
Egal, was da noch kommt: Danke für den tollen Soundtrack, den Ihr in mein Leben gezaubert habt - immer und immer wieder! 🙏🏼
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Roque SF
07.12.2023 10:28registriert Mai 2020
Diese Band, dieser Typ. Unerreicht und so vertraut. Lebenslang.
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