Weinbau gibt es seit Jahrtausenden. Während der längsten Zeit wurde Wein in Amphoren oder ähnlichen Gefässen aufbewahrt. Glas kam erst vergleichsweise spät ins Spiel. Ja, die Römer begannen im 1. Jahrhundert, Glasflaschen zu verwenden, aber kaum für Wein, sondern eher für Apothekenprodukte wie Parfüm oder Öle.
Erst im 18. Jahrhundert begann man in der französischen Region Burgund, Glasflaschen in grösserem Umfang für die Lagerung und den Transport von Wein zu verwenden. Damals war das Fassungsvermögen der Glasflaschen sehr unterschiedlich – oftmals bei etwa 50 bis 70 cl.
Die Standard-Weinflasche mit ihrem Fassungsvermögen von 75 cl, wie wir sie heute kennen, wurde Mitte des 19. Jahrhunderts in der Region Bordeaux entwickelt und setzte sich schnell als Standard in der Weinindustrie durch – und ist es bis heute geblieben.
Es gibt eine Reihe von Thesen, die gerne mal erzählt werden, weshalb das so ist. 750 ml sei die Lungenkapazität der Glasmacher, welche die Flaschen herstellten, etwa.
Naja – eine Korrelation bestenfalls, aber kaum die Ursache.
Eine andere Theorie bezieht sich auf die alten Tavernen, wo diese Flaschengrösse bevorzugt wurde, weil mit einer 75-cl-Flasche genau sechs 125-ml-Gläser gefüllt werden konnten. Auf diese Weise konnten die Gastwirte anhand der Anzahl der Gäste sofort erkennen, wie viele Flaschen für den Tisch benötigt wurden, und so den Service beschleunigen.
Wirklich? Wäre es nicht logischer, dass sich Weinglas-Volumen aufgrund von Flaschengrössen ergaben und nicht umgekehrt?
Oder: Das Fassungsvermögen von 75 cl sei ideal für die Flaschenreifung – gross genug, um den Wein richtig reifen zu lassen, aber nicht so gross, dass der Wein verderben würde, bevor er konsumiert wurde.
Wie sich herausstellt, sind dies alles bestenfalls glückliche Folgeerscheinungen, nicht aber der eigentliche Grund. Ebenso wenig die Tatsache, dass 75 cl eine für den Weinhandel praktische Grösse sei, die sich leicht abfüllen und am Fliessband etikettieren lässt, was sie für die Winzer effizient und rentabel macht. Denn letzteres Argument würde genauso für – sagen wir mal – 70 cl gelten. Oder 80 cl. Oder hey – wieso nicht gleich 1 Liter?
Der wahre, historische Grund? Derselbe, weshalb Wein in Sechser-Kisten verkauft wird:
Schuld sind wieder mal die Briten.
Schon seit dem Urbeginn des internationalen Weinhandels waren es stets die handelsfreudigen Briten, welche die wichtigsten Kunden der französischen Winzer darstellten. Und die britische Volumeneinheit war nun mal die Imperial Gallon, die 4,5 Litern entsprach.
Okay – 4,54609 Litern, um pedantisch zu sein. Aber wir reden hier über Wein, weshalb alle Beteiligten daran interessiert waren, die Berechnung zu vereinfachen. Und so wurde der Wein von Bordeaux nach England in 50-Gallonen-Fässern transportiert. Was 225 Liter sind. Oder 300 75-cl-Flaschen.
1 Fass = 50 Gallonen = 300 Flaschen.
Gemerkt? 1 Gallone = 6 Flaschen.
Was wiederum erklärt, weshalb Wein heute noch in Kisten mit 6 Flaschen verkauft wird.
Ja, da sind gewiss eine ganze Reihe kultureller, kulinarischer und praktischer Aspekte, weshalb eine 75-cl-Flasche ideal für Wein ist, aber letztlich waren es harte wirtschaftliche und kommerzielle Gründe, die diesen Standard schufen.
Da haben wir es also: Einmal mehr ein viktorianisches Konzept, das heute noch unser tägliches Leben bestimmt. Neben öffentlichem Verkehr, Strandurlaub, Bergsteigen, Horrorliteratur, luftgefüllten Reifen und fabelhaften Schnurrbärten haben wir den Victorians auch noch die perfekte Grösse für eine Flasche Bordeaux zu verdanken.
Cheers to that! Santé!