Die aktuelle Mitteilung der UN, dass 2022 so viele Frauen und Mädchen wie seit 20 Jahren nicht mehr ermordet wurden, schockiert. 89'000 wurden 2022 Opfer von Femiziden. Die Gewalt hat zugenommen. Auch in der Schweiz. Der Backlash ist stark und sichtbar. Ist der Feminismus am Ende? Oder so wichtig wie noch nie?
Wir haben uns mit der österreichischen Filmemacherin Katharina Mückstein über ihren Dokumentarfilm «Feminism WTF» unterhalten. Es ist ein Film, in dem Expertinnen und Experten aus dem akademischen Bereich zu Wort kommen, es ist eine kluge Geschichtslektion über Geschlecht, aber auch Kolonialismus, darüber, wie Feindbilder entstehen und wo der Westen nicht wiedergutzumachende Fehler begonnen hat.
Es ist eine pädagogisch smarte Bestandesaufnahme und ein Film, der zeigt, dass wir uns noch lange nicht auf utopischen Zukunftsvorstellungen ausruhen können. Er liefert Fragen, Antworten, Angst und Hoffnung in einem. Doch zuerst wenden wir uns einer anderen Baustelle von Katharina Mückstein zu. Dem «Tatort».
Gerade haben Sie einen Wien-«Tatort» abgedreht. Wenn man sich in «Tatort»-Fanforen rumtreibt, wird da immer wieder eine Figur zum Publikumsliebling gewählt: Bibi Fellner aus Wien. Gespielt von Adele Neuhauser. Eine eigensinnige und total von allen Konventionen befreite Kommissarin. Was hat Ihnen die Arbeit mit ihr bedeutet?
Katharina Mückstein: Ich kenne diese Figur auch schon sehr lang, und sie war für mich im österreichischen oder deutschsprachigen Kontext schon sehr früh eine Frauenfigur, bei der ich dachte: Oh, das ist eine wirklich raue, sehr berührende Figur. Dann auch noch eine Frau, die nicht ganz jung ist, die nicht den gängigen Schönheitsidealen entspricht – wobei ich ja Adele Neuhauser wahnsinnig schön finde. Für mich war es toll, mit dieser Figur zu arbeiten, vor allem, weil Adele alles über Bibi weiss und sie sehr gut schützt in ihrer Arbeit: Sie liest das Drehbuch und beginnt sofort, für Bibi zu kämpfen. Die Beliebtheit und die Vielschichtigkeit von Bibi sind vor allem Adele zu verdanken. Der «Tatort» wird ja nicht durchgängig von den gleichen Leuten geschrieben und gedreht, da kommen immer neue hinzu.
Das heisst, die DNA der Serie liegt anderswo?
Genau, richtig. Und da ist es wahnsinnig wichtig, engagierte Darstellerinnen und Darsteller zu haben, die sich für ihre Figuren einsetzen. Adele gewährt Bibi eine Verletzlichkeit, aber sie besteht auch immer darauf, dass die Figur stark, eigenständig und handlungsfähig ist.
Gehen wir von Bibi zu «Barbie», dem Filmphänomen 2023. Wie haben Sie als feministische Regisseurin den Hype und den Film erlebt?
Ich persönlich habe mich lange gegen einen Kinobesuch gewehrt. Und dann fand ich den Film wirklich sehr langweilig. Mich hat weder die Figur noch ihre Bewusstwerdung interessiert. Die Geschichte von Barbie und Mattel wird nie eine feministische Geschichte sein, egal, wie man es dreht und wendet. Die Geschichte dieser Puppe ist die, dass Generationen von Frauen Essstörungen hatten und mit surrealen Schönheitsbildern aufgewachsen sind. Einerseits ist es ein Marketinggag, wenn man das Ganze jetzt neu als feministisch labelt. Andererseits ist es nicht ausgeschlossen, dass etwas, das kapitalistisch und in seiner Geschichte problematisch ist, nicht auch feministische Inhalte transportiert. In dieser Ambivalenz muss man «Barbie» sehen.
«Barbie» ist nur eine Randnotiz, weil ich daran denken musste, als ich die Farbwahl Ihres Filmes «Feminism WTF» gesehen habe. Sie lassen hochkarätige feministische Akademikerinnen in Räumen auftreten, die rosa, lila oder hellblau sind. Und ich dachte: Wenn man jetzt diese Zimmer zu einem Haus zusammensetzen würde, ergäbe sich ein pastellfarbiges Puppenhaus, das dem von Barbie nicht unähnlich ist. Was haben Sie damit beabsichtigt?
Die Entstehungsgeschichte dieser Ästhetik hat verschiedene Aspekte. Einer ist, dass ich Spielfilmregisseurin bin. Für mich war klar, dass ich jetzt einen Dokumentarfilm mache, aber ich wollte auch einen Film machen, der sorgfältig gestaltet ist und dem Klischee, dass Feministinnen lustfeindlich, grau und spröde sind, etwas entgegensetzen. Für mich ist Feminismus nämlich lustfördernd, lebensbejahend, community-basiert, hier geschieht echter Zusammenhalt, hier können wir einander schützen, obwohl wir unterschiedlich sind. Meine Vielfalt an Farben kann man aber auch einer so banalen Idee wie dem Regenbogen zuordnen: Er ist ein Farbspektrum, es gibt mehr Farben, als wir uns vorstellen können, es geht nicht darum, die Farben voneinander abzugrenzen, sondern sie in ihrer wunderschönen Gesamtheit zu feiern.
In Ihrem Film fällt einmal der Satz «Feminismus ist die erfolgreichste soziale Bewegung unserer Zeit». Ehrlich? Ich sehe nur harten Backlash, bis hin zur Abschaffung bereits bestehender Gesetze, etwa in Amerika. Ich versuche mir selbst schon so lange einzureden, dass es sich dabei um die berühmten letzten Zuckungen des Patriarchats handle, dass ich den Glauben daran gerade ziemlich verloren habe. Ist das Patriarchat viel stärker, als wir denken?
Ich glaube, die Angst ist berechtigt. Das sagt ja auch die Schweizer Soziologin Franziska Schutzbach im Film: Einerseits gibt es die Hoffnung, dass es sich um das letzte Aufbäumen vor dem Sterben des Patriarchats handelt. Das ist ein Moment, wo das Publikum immer erleichtert lacht. Gleichzeitig sagt sie auch, dass man die Bestrebungen, die Errungenschaften des Feminismus rückgängig zu machen, keineswegs auf die leichte Schulter nehmen darf. Unsere Rechte sind ständig bedroht.
Von rechts.
Ja, von rechts. Wir fürchten uns zu Recht davor, was passieren könnte, wenn rechte Parteien noch mehr Macht bekommen. Nächstes Jahr ist Wahljahr in Deutschland. Ich bin mit vielen deutschen Aktivistinnen in Kontakt, und die haben grosse Angst. Auch vor rassistischer Gewalt, die aktuell wieder aufflammt. Es ja nicht nur der Feminismus, gegen den gearbeitet wird, es ist die faktische Diversifzierung unserer Gesellschaft, die Geschlechtergerechtigkeit, das Anerkennen von Geschlechtervielfalt. Und das wird natürlich gerade deshalb bekämpft, weil so grosse Entwicklungen stattgefunden haben.
Genau. Wir werden nicht mehr geköpft, wie Olympe de Gouges, die während der Französischen Revolution verkündete, dass Frauen auch Menschen seien. In der Schweiz dürfen Frauen seit ganzen 52 Jahren wählen …
Es reicht auch, in der eigenen Familie schon nur zwei Generationen zurückzuschauen: Meine Grossmutter durfte weder heiraten noch ein Konto besitzen noch arbeiten ohne die Einwilligung ihres Vaters oder später ihres Ehemannes. Meine Mutter hat eine Dissertation geschrieben und sich selbständig gemacht und trotzdem ein Leben lang gegen Sexismus gekämpft. Bei mir sieht alles viel besser aus.
Mit Ihren Protagonistinnen versuchen Sie, den Diskurs über unsere weisse, mitteleuropäische Gegenwart hinweg zu öffnen. Wir werden zwar nicht mehr geköpft, aber anderswo werden Menschen gesteinigt, weil sie Feministinnen oder queer sind.
Das Perfide ist ja, dass Diskriminierungsmassnahmen wie Homophobie in einigen Ländern überhaupt erst durch die europäischen Kolonialisten eingeführt wurden. Das wissen wir etwa von Uganda und Indien. Da wurde in Kulturen eingegriffen, die sehr wohl Geschlechtervielfalt kannten. Vor dem Kolonialismus. Wir müssen immer unseren europäischen Standpunkt hinterfragen. Wir leben hier in soviel Frieden und Wohlstand und müssen uns fragen, auf wessen Kosten das erreicht wurde. Wir neigen auch in feministischen Diskursen dazu, eine eurozentristisch-patriarchale Sichtweise zu übernehmen.
Wie das?
Wir betrachten uns als die Speerspitze der Progressivität, wir können abtreiben, Kinder gebären, arbeiten. Die Rückseite davon ist jedoch, dass es vor 30 Jahren noch möglich war, von einem Einkommen eine Familie zu ernähren. Heute geht das nicht mehr. Es müssen beide Eltern arbeiten, aber die Care-Arbeit ist auch noch da. Oder es geht um die Frage, ob Frauen auch ins Militär sollen. Aber eine feministische Position wendet sich natürlich grundsätzlich gegen den Militarismus und sagt, dass Frauen nicht auch noch Kanonenfutter werden dürfen wie Männer.
Es fällt auch der Satz: Nur weil einer ein Mann und weiss ist, heisst das nicht, dass er privilegiert ist. Eine Versöhnung? Eine Differenzierung?
Die in Dresden lehrende Professorin für Politikwissenschaft Nikita Dhawan sagt im Film, dass sie aufgrund ihrer Person mehreren Diskriminierungskriterien entspricht: Frau, queer, of color, nicht im Besitz eines europäischen Passes. Doch wenn sie sich mit einem weissen Mann vergleicht, der die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, aber obdachlos und HIV-positiv ist, stimmt das natürlich nicht. Es gibt in unserer Gesellschaft immer verschiedene Formen von Verletzlichkeit, die in Betracht gezogen werden müssen.
Sie haben einen betont lehrreichen Film gedreht, der einen nachvollziehbaren Einstieg in so schwierige Themen wie postkoloniale Theorie und Trans Studies gewährt. Woher kam diese pädagogische Motivation?
Ich bin jetzt 40, ich beschäftige mich mit feministischen Themen, seit ich ein Teenager war, und es gibt immer noch neue Möglichkeiten, etwas zu denken oder zu erfassen. Wir haben heute viel zu selten den Luxus, einfach mal etwas lernen zu dürfen. Und genau diesen Luxus wollte ich mit meinem Film ermöglichen. Wir werden ständig gezwungen, Position zu beziehen und Meinungen zu vertreten, sehr oft zu Dingen, wo wir keine Expertise haben. Etwa zum Thema Transgender und Transrechte. Sehr viel Meinung ohne Wissen ist sehr gefährlich.
Was war bei der Arbeit an Ihrem Film die wichtigste Erkenntnis für Sie?
Meine eigene feministische Lebenspraxis hat sich durch diesen Film sehr verändert. Vor dem Film hätte ich jederzeit über mich gesagt, dass ich intersektionale* Feministin bin. Und wahrscheinlich hätte sich das in meinem Alltag kaum abgebildet, weil ich letztlich doch in mehrheitlich weissen Kreisen unterwegs war. Zwar in einer queerfeministischen Szene, doch auch da war ich mit Leuten verbunden, die so ähnlich waren wie ich.
Ja, unser typisches Blasenverhalten.
Die Arbeit am Film hat mir gezeigt, was es alles braucht an Nachfragen und Zuhören und auch Konfliktbereitschaft. Ich muss einen Raum, in dem ich arbeite, so gestalten, dass auch Leute, die anders sind als ich, gerne hinkommen, zum Beispiel schwarze Feministinnen. Ich habe von einigen schwarzen Feministinnen Absagen bekommen, sie wollten nicht an einem Film teilnehmen, bei dem so viele weisse Leute mitmachen. Ich musste dann erst einmal zu verstehen lernen, dass diese Frauen mit Frauen wie mir fürchterliche Erfahrungen gemacht haben und jetzt keine Lust haben. Ich musste mir also Gedanken machen, wie ich so ein Projekt attraktiv machen kann, dass etwa rassismusbetroffene Personen sich eingeladen fühlen und meinen Dreh als sicheren Ort empfinden.
Und was ist nun Ihre Lösung?
Ich habe gelernt, wie man einladend für und solidarisch mit anderen sein kann. Einladend und solidarisch zu sein, das ist das Wichtigste. Es war ein schwieriger Lernprozess für mich und mein Team, aber ein lohnender, auch mein ganzes privates Umfeld hat sich verändert. Wenn ich wirklich möchte, dass ich in Beziehung bin mit Menschen, die anders sind als ich, dann muss ich mich auf Beziehungen einlassen, in denen es aufgrund von Differenzen auch immer zu Konflikten kommen kann. Man muss diese Angst vor Konflikten ablegen. Es ist erstaunlich, wie gut das funktioniert und wie sehr man zusammenwächst.
* «Ein intersektionaler Feminismus konzentriert sich auf die Stimmen derjenigen, die überlappende, gleichzeitige Formen der Unterdrückung erleben, um die Tiefen der Ungleichheiten und die Beziehungen zwischen ihnen in jedem Kontext zu begreifen.» (Quelle: UN Women Deutschland)
«Feminism WTF» läuft jetzt im Kino.
Ja, das ist ein guter Ansatz. Nur leider sind Feminismus, Frauenstreil etc. nicht gerade einladend für 50% der Bevölkerung, der sich dann eben oft nicht angesprochen oder im schlimmsten Fall angegriffen fühlt. Will man auch den männlichen Teil der Bev. ansprechen, sollte man vielleicht wieder etwas mehr hervorheben, wie BEIDE Geschlechter in überkommenen Geschlechterrollen gefangen sind und wie eine geschlechtsblinde Gesellschaft aussehen könnte, statt oft einseitig die Interessen eines Geschlechts zu vertreten.