Heute ist der internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Alle zwei Wochen wird in der Schweiz eine Frau durch ihren Ehemann, Lebensgefährten, Ex-Partner, Bruder oder Sohn getötet. Jede Woche überlebt eine Frau einen solchen Tötungsversuch.
Frauen haben ein hohes Risiko, von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen zu sein. Gewalt, die sich gegen eine Person aufgrund ihres Geschlechts richtet. Laut dem Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann liegt die Ursache dafür unter anderem in der fehlenden Gleichstellung der Geschlechter. Diese Zahlen zeigen, dass solche Gewalt ein gesellschaftliches Problem ist.
Nach der Corona-Pandemie hat sich das Interesse und die mediale Aufmerksamkeit in Bezug auf Frauenhäuser in der Schweiz deutlich reduziert. Tatsächlich hat laut dem Jahresbericht der Dachorganisation Frauenhäuser Schweiz und Liechtenstein (DAO) die Zahl an schutzsuchenden Frauen nach der Pandemie nicht abgenommen. 2022 konnte sogar eine Zunahme festgestellt werden. Das liegt unter anderem daran, dass die Bevölkerung durch die mediale Aufmerksamkeit während der Pandemie heute ein grösseres Bewusstsein für die Existenz von Frauenhäusern hat.
Zurzeit gibt es 23 Frauenhäuser in der Schweiz mit 202 Familienzimmer und 419 Betten. Im letzten Jahr suchten rund 2406 Frauen und Kinder Schutz in einem Frauenhaus. Die Auslastung der Schutzunterkünfte war teilweise so gross, dass Notlösungen gesucht werden mussten, wie beispielsweise Hotelzimmer. Der Europarat empfiehlt ein Angebot von einem Familienzimmer pro 10'000 Einwohnern. Mit nur 0,23 Familienzimmer pro 10'000 Einwohner unterschreitet die Schweiz diese Empfehlung bei Weitem.
Doch nicht nur die Anzahl an Schutzräumen ist ausbaufähig. Auch bei der Finanzierung solcher Orte herrscht Aufholbedarf. In einem Gespräch mit watson erklärte uns Co-Geschäftsleiterin Blertë Berisha von der Dachorganisation Frauenhäuser Schweiz und Liechtenstein (DAO) die Thematik wie folgt:
Oft müssen Frauenhäuser interkantonal zusammenarbeiten, um den Frauen den nötigen Schutz und die nötigen Ressourcen bieten zu können. Das stellt sich laut Blertë Berisha von der DAO nicht immer einfach dar:
Die meisten Frauen, die ein Frauenhaus aufsuchen, sind zwischen 30 und 64 Jahren alt. Oft kommen Frauen mit ihren Kindern in die Unterkünfte. Der häufigste Altersdurchschnitt der Kinder liegt mit 63 Prozent zwischen null und sechs Jahren. Dadurch wird die Bedeutung der Kinderbetreuung in solchen Schutzräumen deutlich.
Rund 94 Prozent der Gefährder sind männlich, ein Prozent weiblich und ein Prozent divers. Die Zahlen bestätigen, dass geschlechtsspezifische Gewalt und somit patriarchale Gewalt ein gesellschaftliches Problem ist.
Die meisten betroffenen Frauen erleben Gewalt in Paarbeziehungen (rund 76 Prozent). Zehn Prozent der Gewalt kommt von der Familie und deren fünf Prozent von Ex-Beziehungen. Unter Abhängigkeitsbeziehungen sind alle ausserfamiliären Beziehungen zu verstehen, das sind vier Prozent.
Was oft unterschätzt wird, ist die psychische Gewalt, die auf Frauen ausgeübt wird. Rund 85 Prozent der Klientinnen, die 2022 auf die Hilfe eines Frauenhauses angewiesen waren, berichteten über psychische Gewalt. 73 Prozent waren von körperlicher Gewalt betroffen.
Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Schutzsuchenden in einem Frauenhaus betrug im letzten Jahr 49 Tage. Danach kehrten rund zwölf Prozent der Frauen wieder zurück zu ihrem Partner, 41 Prozent entschieden sich, allein zu wohnen.
Die Zahlen der DAO zeigen deutlich, dass solche Schutzräume auch heute zwingend gebraucht werden. Grundsätzlich sind in der Schweiz zu wenig Räumlichkeiten und Ressourcen für Schutzräume sämtlicher Personengruppen vorhanden, so Co-Geschäftsleiterin Blertë Berisha:
Verschiedene Organisationen leisten durch Kampagnen Aufklärungs- und Präventionsarbeit. Beispielsweise findet jedes Jahr die Präventionskampagne 16 Tage gegen Gewalt an Frauen statt. Das diesjährige Fokusthema befasst sich mit psychischer Gewalt an Frauen.
Psychische Gewalt scheint oft unsichtbar zu sein. Das liegt unter anderem daran, dass diese Art von Gewalt oft schleichend passiert. Unter psychische Gewalt gehören Beleidigungen, Demütigungen, Erniedrigungen, Drohungen, Erzeugung von Schuldgefühlen, Anschreien oder Einschüchterungen, Kontrolle oder Verbot von Familien- oder Aussenkontakten und Beschlagnahmung des Lohns.
Die Schweiz hat seit 2018 ein Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention). Diese Konvention fordert die Schweiz zur Gewaltprävention und zum Schutz von Gewaltbetroffenen auf. Dennoch gibt es laut der diesjährigen Präventionskampagne gerade in Bezug auf psychische Gewalt Verbesserungspotenzial.
Beispielsweise ist Stalking in der Schweiz bis anhin kein eigener Straftatbestand. Oft können die Handlungen von Tatpersonen aus diesem Grund nicht strafrechtlich verfolgt werden und Betroffene sind einer hohen psychischen Belastung ausgesetzt.
Zudem kritisieren verschiedene Organisationen, dass kaum Studien zum Thema psychischer Gewalt erfasst werden und dadurch auch keine Massnahmen dagegen entwickelt werden können.
Das Bundesamt für Statistik hat die polizeiliche Kriminalstatistik mit neuen Zahlen zu sexualisierter Gewalt ergänzt. Die Zahlen zeigen deutlich, dass die polizeilich registrierten Straftaten im Bereich der sexualisierten Gewalt seit 2010 stark zugenommen haben. 2022 gab es einen Höchstwert mit rund 5377 Fällen. Am häufigsten wurde sexuelle Belästigung mit 1627 Straftaten registriert.
Von sexualisierter Gewalt betroffen sind zunehmend Frauen.
2022 wurden rund 4129 weibliche Personen und 537 männliche Personen als Betroffene registriert.
Es sind deutlich mehr Männer, die beschuldigt werden, sexualisierte Gewalt ausgeübt zu haben. So wurden 2022 rund 3186 männliche Personen als Täter angeklagt. Als weibliche Täterinnen wurden 100 Personen beschuldigt.
Auch diese Statistik bestätigt, dass Gewalt gegen Frauen ein strukturelles Problem in der Gesellschaft ist und die Schweiz für die Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt noch einen langen Weg vor sich hat.
-dauer der Beziehung
-konfession
-altersspanne
-stätisch/agglo/land
Dadurch kann die Prävention und der Fokus richtig gesetzt werden.