Leben
Interview

Michael von der Heide ist ein schwuler Musiker, der das nie versteckte

Diese Jacke vereint, was Michael von der Heide am meisten liebt: sein Idol Paola (als Print) und seinen Lebenspartner, den Modedesigner Willi Spiess.
Diese Jacke vereint, was Michael von der Heide am meisten liebt: sein Idol Paola (als Print) und seinen Lebenspartner, den Modedesigner Willi Spiess.Bild: imago
Interview

«Die ‹Bravo› sagte, Schwulsein sei eine Phase. Ich wusste, dass das nicht so ist»

Der Chansonnier Michael von der Heide liess sich zu Zeiten von Aids zum Pfleger ausbilden. Auch Corona erlebte er im Gesundheitswesen und hat klare Meinungen. Ein Gespräch über Musik, Mode und einen Mann, der sich nie versteckte.
27.02.2022, 17:2828.02.2022, 08:12
Simone Meier
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Du feierst gerade 28 Jahre Liebe mit deinem Willi, 19 Jahre Freundschaft mit eurem Büsi Sämi, 50 Jahre Michael von der Heide und 30-jähriges Bühnenjubiläum. Gratuliere zu allem! Wenn ich an deinen Start zurückdenke, dann warst du der einzige Mensch weit und breit, der total selbstbewusst zu seiner Homosexualität stand und ein Glück ausstrahlte.
Ich sage auch heute manchmal noch, ich sei der einzige. Das stimmt natürlich nicht mehr. Aber es gibt in der Musikbranche viele Männer, die kein Coming-out wagen, weil sie denken, ihr Umsatz, ihr Erfolg sei gefährdet. Ich schaue sie mir dann an und sage: Aber da ist ja gar nichts, was gefährdet werden könnte, du bist nicht erfolgreich, weil du nicht authentisch bist.

Du kommst aus Amden, einem hübschen kleinen Dorf am Walensee. Was ist dein Hintergrund?
Mein Vater war Elektriker und kam aus Deutschland, meine Mutter war Verkäuferin – in Arosa. Da haben sie sich an einem Hazy-Osterwald-Konzert kennengelernt. Und dann sind sie nach Amden gezogen. Ich sage immer, mein Vater habe die Elektrizität nach Amden gebracht.

Du hast dein Elternhaus einmal als sehr feinfühlig, tolerant und grosszügig beschrieben. Rassistische und sexistische Sprüche waren am Tisch nicht erlaubt. Galt das auch für dein Coming-out?
Erstens brauchte ich mit meinem Coming-out sehr lange. Zweitens war das dann allen schon immer klar gewesen. Ich spielte ja gern mit Mädchen, Barbies und Kätzchen. Als ich fünf war, sagte eine Nachbarin zu meiner Mutter: «Du, der Michi ist schwul.» Und meine Mutter sagte: «Der ist doch erst fünf!» Sie selbst fand das Wort «schwul» nicht schön, weil es zu oft als Schimpfwort gebraucht wurde und für sie zu negativ besetzt war. Sie war für «homosexuell». Das fand ich wiederum fast unanständiger, dieses Betonen von «sexuell», als ob wir den ganzen Tag nichts anderes als … du weisst schon was! Ich fand schwul schöner und vom Klang her rund. Allerdings hat mir die Toleranz meiner Eltern das Coming-out nicht leichter gemacht.

Der Michael (1998)

Der Chansonnier Michael von der Heide in einem Blumenmeer vor einem Wandtapetenwald, undatierte Aufnahme. Der Chansonnier Michael von der Heide bewirbt sich um die Teilnahme am Concours Eurovision 199 ...
Bild: keystone

Und was meinte die Zuflucht aller Teenager, die «Bravo», damals zu einem Fall wie deinem?
Die «Bravo» sagte, das sei ziemlich sicher nur eine Phase. Ich wartete, dass sie vorbei geht und wusste, dass sie das nicht tut. Das Problem war ja: Ich kannte niemanden, der schwul war, ich fühlte mich alleine damit – und wer will schon alleine sein?

«Den hübschen Gleichaltrigen, in den ich mich hätte verlieben können, den gab's weit und breit nicht.»
Michael von der Heide

Für dich wär's wahrscheinlich super gewesen, wenn George Michael damals schon geoutet gewesen wäre.
Das wäre toll gewesen! Oder Morten Harket von A-ha! Einer der besten Popstars der Welt. Aber er sagte früh in einem Interview, er wäre unfassbar straight.

Morten Harket hat ja auch diese wahnsinnig attraktiven skandinavischen Wangenknochen. Wie Mads Mikkelsen.
Ja! Ich habe schon eine Liebeserklärung auf diese Wangenknochen geschrieben! Am klarsten wars bei Boy George, aber der war schon wieder derart exzentrisch, damit konnte ich mich nicht identifizieren. Und sonst war meine Vorstellung von Schwulen von älteren Männern besetzt, die mir aus dem Auto hinterherpfiffen und fragten, ob ich einsteigen will. So wie Mädchen das en masse erlebten. Das war unangenehm. Den hübschen Gleichaltrigen, in den ich mich hätte verlieben können, den gab's weit und breit nicht. Aber ich war kein depressives Kind, ich war fröhlich und kommunikativ, zwar anders, aber kein Aussenseiter. Und ich flüchtete mich in Fantasien von der Bühne und vom Rampenlicht.

Der Morten (1988)

Morten Harket von a-ha vor einem Konzert der Stay on these Roads -Tour im NEC. Birmingham, 25.03.1988 *** Morten Harket from a ha before a concert of the Stay on these Roads tour at the NEC Birmingham ...
Bild: imago

Die vorerst ein Traum blieben. Denn zunächst hast du eine Ausbildung zum Krankenpfleger absolviert. In einer Zeit, die für einen Schwulen alles andere als freudvoll war.
Damals war die schlimme Zeit von Aids, wir pflegten viele Aidskranke, auch Sterbende, und ich merkte, wie sehr ich an dieser Aufgabe wuchs. Mein Schmerz war allerdings, dass ich mich im Leben schon enorm weit fühlte, aber Sex für mich noch immer nicht existierte. Wie auch? Ich war nicht geoutet, ich lernte niemanden kennen, ich hatte keine Ahnung, wie ich das angehen sollte. Bis die Berliner Mauer fiel.

Echt? Hast du dich in einen Ossi verliebt?
Eine Arbeitskollegin sagte damals zu mir: «Heute geh ich ins Millers Studio und schaue mir eine Theatertruppe aus der Ex-DDR an, das Stück heisst ‹Ich bin schwul›.» Mir entfuhr: «Ich auch!» Sie hat mich mitgenommen, und auf der Bühne stand dieser unfassbar schöne junge Mann. Er war SO schön! Am nächsten Tag sah ich ihn zufälligerweise im Odéon sitzen, ich holte mir ein Autogramm, das war der Beginn einer Affäre.

Traumhaft.
Schon, oder?

Als du zum Bühnenkünstler wurdest, hattest du da eigentlich noch andere Vorbilder ausser Paola?
Ja klar! Madonna, Jennifer Rush, Morten Harket. Ich organisierte auch einen Klassenausflug ans Jennifer-Rush-Konzert im Hallenstadion. Das Ding mit den Musikern und ihrem Erstkontakt mit Musik ist ja, dass die meisten als Kinder nicht auf Deep Purple oder David Bowie stehen, sondern eher auf Schlager oder Chanson. Bei mir war das eben Paola. Wie sie am 19. April 1980 auf der Bühne des Grand Prix Eurovision de la Chanson stand und «Cinéma» sang! So elegant, so mondän, so ganz anders als Amden! Enge Hosen, hohe Absätze! Dass sie wenige Monate später Kurt Felix heiratete, hat mir das Herz gebrochen.

Hier verliebte sich Michael (8) vollends in Paola und wollte sie heiraten

«Ich war nie ein Künstler für Heteromänner.»
Michael von der Heide

Musik ist ja ohne Mode kaum denkbar. David Bowie, Madonna, Harry Styles ...
Wenn man Fernsehen schaute, gab es in der Schweizer Musikszene allgemein eher selten stylishe Leute. Die Rock-Männer trugen Holzfällerhemden, und dass Polo Hofer in den 60ern mal richtig gut angezogen gewesen war, erfuhr ich erst später. Die Frauen waren zurückhaltend. Nur Paola verkörperte einwandfreie Italianità.

Wie muss man sich das modische Amden vorstellen?
Meine Garderobe kam von Vögele. Dafür schrieb ich englische Songtexte von Madonna, die ich nicht verstand, auf meine T-Shirts.

Damals bezeichnete man dich und deine Performance als androgyn, heute würde der junge Michael wohl als non-binär gelten.
Ja, das grosse neue Wort. Ich hatte mir das ja nicht am Schreibtisch ausgedacht, ich war das, ich konnte sehr zart aussehen und hörte oft: «Dann zieh doch gleich einen Rock an!» Ich versuchte nie, «männlicher» zu wirken, andere schwule Künstler treten ja extra betont machoid auf. Deshalb war ich auch nie ein Künstler für Heteromänner. Jahrelang sassen in der Schweiz ausschliesslich Frauen in meinem Publikum, in Deutschland ausschliesslich Schwule. Heute bringen die Frauen auch ihre Männer mit und die haben ihre Freude an der Musik. Aber das ist erst seit wenigen Jahren so.

Der «Kriminaltango» lief, als sich Michaels Eltern am Hazy-Osterwald-Konzert kennen lernten. 2001 singt ihn Michael mit Nina Hagen

Du arbeitest dreigleisig: Du machst seit 30 Jahren deine eigene Musik, bist seit 25 Jahren regelmässig Teil des Musiktheaters von Christoph Marthaler …
… Marthaler, Paola und ich sind Waagen! Die sind sehr treu, wahrscheinlich verstehe ich mich deshalb schon so lange so gut mit beiden …

… okay. Und du bist seit 2017 wieder in deinem gelernten Job als Pfleger zurück. Was hat dich dazu gebracht?
Ich hatte damals etwas Kontakt zur Musicalszene und ich sah diese top ausgebildeten, tollen jungen Leute, die hoffnungsvoll von Casting zu Casting reisten und einfach keinen Job fanden. Das war bitter. Und ich dachte, ich brauche eine Alternative, es kann ja gut sein, dass das Showbiz bald keine Verwendung mehr für mich hat. Aber ich dachte auch, ich komm in den Pflegeberuf nicht mehr rein, ich bin zu alt, ich werde Prüfungen ablegen müssen, vielleicht bin ich auch zu eitel. Dann fragte ich eine Freundin, die mit mir die Ausbildung gemacht hatte und die jetzt ein Alters- und Pflegezentrum leitet, ob ich bei ihr schnuppern dürfe. Und es ging. Niemand hat mir damals geglaubt, dass ich das ernst meine, auch nicht Willi.

Ich nehme an, du warst kein ganz Unbekannter für die Bewohnerinnen und Bewohner des Zentrums.
Nein, ich kam ja aus den Magazinen, die sie lasen und aus dem Fernsehen, das sie schauten. Ich war ihre Welt. Und ich kannte die Volkslieder und Schlager, die ihnen vertraut waren. Ich habe oft mit ihnen gesungen. Demente Menschen etwa kann man mit einer Melodie, die sie kennen, richtiggehend anknipsen. Bis Corona kam und das Singen verboten wurde.

«Für die Dementen war Corona ein Segen.»
Michael von der Heide

Michael mit Jane Birkin am Paléo Festival in Nyon

MvdH & Jane Birkin am Paléo Festoval Nyon by Didier Varrin
Bild: Didier Varrin

Hat die Kombination von Corona und Pflegejob für dich etwas verändert?
Ich wurde selbstbewusster. Weil dieser Job Sinn macht und weil ich da gebraucht werde. Als Kulturschaffender konnte ich das nicht behaupten. Anfang 2020 ging ein grosser Aufschrei durchs Land: «Wir brauchen die Kultur!», und ich dachte noch, wirklich? Seid ihr auch ehrlich? Es sind am Ende nicht so viele, für die ein Theaterbesuch oder eine Ausstellung existenziell wichtig ist.

Und wie hast du die Auswirkungen von Corona auf die Bewohnerinnen und Bewohner des Zentrums erlebt?
Die waren ganz unterschiedlich, haben es aber insgesamt alle gut überstanden, wir waren stolz auf sie. Es gab die Dame mit Haltung, die sagte: «Ich habe schon den Krieg erlebt, das kann nicht so lange dauern!» Es gab die alten Schulkameraden, die zufrieden zusammen jassten. Die Verzweifelten, die ihre Enkel nicht sehen konnten. Und die Dementen. Für die war Corona ein Segen.

«Applaus ist weder das Brot des Künstlers noch das einer Pflegefachfrau.»
Michael von der Heide

Das höre ich zum ersten Mal!
Die Besuche, die mit einem lauten und vorwurfsvollen «Kennst du mich? Ich bins! Du kennst mich doch!!» neben ihrem Bett standen, fielen weg. Es nützt ja nichts, wenn Demente das hören, sie erkennen die Menschen oft trotzdem nicht, es stresst sie und macht alles nur noch schlimmer, und sie können nachts nicht mehr gut schlafen. Wir konnten beobachten, wie sie in einer geschützten Umgebung, ohne Reizüberflutung von aussen, in der Gruppe, im geregelten Alltag ruhiger wurden und besser schliefen.

Du hast einmal gesagt, als Künstler dürftest du Applaus nie mit Liebe verwechseln. Man könnte auch sagen, das Pflegepersonal darf Applaus nicht mit Entgelt für geleistete Arbeit verwechseln.
Applaus ist nichts Nachhaltiges. Er ist weder das Brot des Künstlers noch das einer Pflegefachfrau. Oft applaudiert ein Publikum ja auch nur sich selbst. Ich habe das schon mal gesagt und wurde dafür gerügt, aber ich sage es wieder: Geld muss ein Anreiz sein! Es kann nicht sein, dass sich so viele zu schade für diesen Beruf sind. Er leidet noch immer unter dem Stigma, ein Frauenberuf zu sein, zudem einer, der ursprünglich sogar gratis, nämlich von Nonnen, ausgeführt wurde. Wer sich dafür entscheidet, ist meist sehr idealistisch – und das wird ausgenutzt.

Das wäre ein schönes und nachdenkliches Schlusswort. Aber darf ich noch schnell auf dich und Kuno Lauener zu sprechen kommen? Ihr habt 2000 die Lustmörderballade «Where the Wild Roses Grow» von Kylie Minogue und Nick Cave vermundartet. Da schien enorm viel zwischen euch in der Luft zu liegen. War das so?
Ja.

Hat euch dieses durchaus erotische Duett Ärger eingebracht?
Mir nicht. Aber auf der Homepage von ZüriWest kommentierten das viele Fans sehr brutal, Kuno musste da einiges einstecken.

Zum 30. beziehungsweise 50. von Michael von der Heide ist die Jubiläums-Doppel-CD «Echo» mit 50-seitigem Fotobuch, den grössten und ein paar neuen Hits erschienen.

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18 Kommentare
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bananaswiss
27.02.2022 18:13registriert Februar 2022
Du bist grossartig!
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Baba ♀️
27.02.2022 19:26registriert Januar 2014
Bezüglich Stimmung und Performance für mich eines der genialsten Konzerte der letzten 40 Jahre, war das Konzert von Michael von der Heide im Jahr 2000 im Hof des Landesmuseums (Live at Sunset). Ein perfekter Entertainer und ein überaus sympathischer Mensch.

...war übrigens mit meinem Mann da und er fand das Konzert genauso toll 😉

Danke für das Interview - herzliche Gratulation für die verschiedenen Jubiläen ❤
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PrinzLionel
27.02.2022 18:51registriert November 2018
Jeudi amour, was für ein super Song.
Sympathischer Mensch.
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