Kamala Harris hat Jura studiert. Ihr Mann Doug Emhoff hat Jura studiert. Dougs Tochter und damit Kamalas Stieftochter will ums Verrecken nie im Leben Jura studieren: «Mein Vater fragt mich immer wieder: ‹Hast du dir das Jurastudium noch einmal überlegt?› Und ich sage immer: ‹Doug, das wird nicht passieren. Ich werde Künstlerin›», sagte sie 2021, nach dem Amtsantritt von Biden und Harris, in der Vanity Fair.
Die 25-Jährige, die Amerikas erste «First Stepdaughter» werden könnte, heisst Ella Emhoff nach der Jazzsängerin Ella Fitzgerald. Eigentlich wollte Ella bloss Modedesignerin für Strickmode werden. Sie studierte Design in New York und kreierte kleine Kollektionen, Strickwesten in Grün und Rosa mit ironischen Blumen über den Brüsten, oder Comicmotive, alles knallbunt und verspielt und handwerklich von einer tadellosen Qualität, wie von der Strickmodekritik zu erfahren ist. Ihr eigener Stil wird mit «weird girl Ästhetik» und «funky» beschrieben.
Ella kommt 1999 als Tochter des jüdischen Ehepaars Doug und Kerstin Emhoff zur Welt, ihr Bruder Cole ist vier Jahre älter als sie, Vater Doug ist Anwalt, Mutter Kerstin ist Filmproduzentin und für Musikvideos von Beyoncé und Jennifer Lopez oder für die Netflix-Dokuserie «Fifa Uncovered» verantwortlich. Kerstin ist es auch, die Ella das Kreativstricken beibringt. Nach wenigen Jahren trennen sich die Eltern, 2008 sind sie geschieden. 2013 lernen sich Doug und Kamala bei einem von Freunden arrangierten Date kennen, 2014 heiraten sie. Ein Paar mit unterschiedlichen Religionen und Hautfarben, ein typisch amerikanisches Paar eben.
Als Doug 2021 Gatte der neu vereidigten Vizepräsidentin ist, geben Ella und Doug ein paar ziemlich freimütige Interviews über die familiäre Situation. Darüber, dass sie von einem eingeschworenen Trio – Doug, Kamala, Kerstin – grossgezogen worden seien. Darüber, dass ihr Vater erst dank Kamala, die eine hervorragende Köchin sei, ein Gefühl für gute und gesunde Ernährung kriegte – die Jahre nach der Trennung seien nämlich voller Junkfood gewesen. Darüber, wie Doug und Kamala Ellas und Coles Freunde überforderten, weil sie von ihnen als erstes immer einen exakten Zehnjahresplan für ihre Zukunft wissen wollten.
Sie redeten auch darüber, wie laut es bei ihnen zuhause zu und her ging, weil alle recht haben wollten und nichts so sehr liebten wie das Debattieren. Darüber, dass sie Kamala mit einem jiddischen Einschlag «Momala» nannten, weil Kamala in ihren Ohren zu wenig liebevoll klang. Und darüber, wie herzig, aber auch lästig es sei, dass Doug und Kamala sich wie verliebte Teenager aufführen würden. Die Welt, sagten Ella und Cole, würde davon nur kleine Momente sehen, aber sie beide seien diesen Turteleien zuhause konstant ausgesetzt.
Plötzlich waren Ellas Tattoos nicht mehr in allen Zusammenhängen salonfähig, sie trug dann lange Ärmel. Und zur Inauguration am 20. Januar 2021 erschien sie in einem taillierten Karomantel von Miu Miu mit einer Stickerei aus orangen Glasperlen auf der Schulter. Das bordeauxrote Kleid unter dem Mantel stammte von der jüdischen Designerin Batsheva Hay, für die Ella gelegentlich strickte. Beides war von dezenter Exzentrik. Selbstverständlich stahlen Bernie Sanders mit seinen Fäustlingen und Amanda Gorman in ihrem sonnengelben Kleid modisch allen die Show, doch nur Ella Emhoff erhielt einen Modelvertrag. Zu ihrer grössten Überraschung.
Sie hatte im Zusammenhang mit Mode an vieles gedacht, aber wirklich nicht an eine Modelkarriere. Seit August 2021 ist sie nun bei IMG Models unter Vertrag, der Agentur von Gisele Bündchen, Kate Moss und den Hadid-Schwestern. Und ungefähr seitdem hat sie auch einen Boyfriend, der als Modekritiker für «GQ» schreibt. Shows und Kampagnen macht sie am liebsten für junge, kleine, experimentelle Label, aber ab und zu darf es auch Prada sein. Im Hintergrund immer dabei: ein Agent des Secret Service.
Doch vor allem widmet sie sich weiterhin ihrer Strickkunst. So auch an jenem Sonntag im Juli, als Biden seinen Rücktritt erklärte und Kamala Harris als seine Nachfolgerin vorschlug. «Etwas entspanntes Organisieren, bevor mein Sonntag extrem unentspannt wurde», kommentierte sie ein Video aus ihrem Atelier.
Eine andere Message vom März 2024 hat sie von ihren sozialen Plattformen gelöscht, es war ein Spendenaufruf für das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten, das im Verdacht steht, von der Terrororganisation Hamas unterwandert zu sein. Bereits zuvor hatte Ella Emhoff zur Hilfe für Palästina aufgerufen. Und natürlich meint Trump in seiner verdrehten Art auch genau diese Unterstützung, wenn er jetzt behauptet, dass Kamala Harris «Juden hasse», obwohl sie mit einem Juden verheiratet ist.
Die Rolle, die Ella Emhoff von den Medien innerhalb der Kamala-Harris-Kampagne zugeschrieben wird, wächst von Tag zu Tag: Einerseits ist sie wegen ihrer Spendenaufrufe für Palästina eine mögliche Gefahr für den Erfolg ihrer Stiefmutter. Andererseits soll sie wenn irgendwie möglich die gesamte Gen Z auf Harris' Seite holen, oder wenigstens alle, die sich unangepasst und edgy fühlen. Die Schelte kinderloser Frauen von J.D. Vance konterte sie selbstbewusst mit einer Instagram-Story: «Wie kann man ‹kinderlos› sein, wenn man so süsse Kinder hat wie Cole und mich?»
Sie wird noch viel zu tun haben in den nächsten Monaten. Es wird wohl extrem unentspannt. Am 31. Juli attackierte ein Unbekannter in New York zwei Fahrzeuge des Secret Service, die Ella Emhoff begleiteten. Der Angreifer wurde sofort verhaftet.
Von ihrem öffentlichkeitsscheuen Bruder Cole redet unterdessen niemand. Dabei sind dessen Beziehungen auch nicht die schlechtesten, reichen sie doch mitten hinein ins wirkmächtige Herz von Hollywood. Cole arbeitet nämlich in der Geschäftsleitung von Plan B, der Filmproduktionsfirma von Brad Pitt.