Noch nie hat mich ein Schweizer TV-Format derart aufgewühlt. Der Grund: Es ist vollkommen verrückt, wie schlecht die Teilnehmenden von «MasterChef Schweiz» kochen können. Noch nie standen Menschen so verloren, so um Ideen und Nerven gebracht, vor ihren Kochinseln. Ist unser Land tatsächlich so klein, haben alle echten Talente schon ausgekocht? Oder sind sich die guten Köchinnen und Köche zu schade fürs Fernsehen?
Mag sein, dass es nicht so schlecht schmeckt, wie es aussieht, aber es transportiert sich nicht in mein Wohnzimmer. Und selbst das mitleidigste «Komm, das sieht doch jetzt ein kleines bisschen passabel aus» von meinem Liebesleben ist nichts als ... mitleidig.
Ich bin seit vielen Jahren ein Die-Hard-«MasterChef»-Fan. Ich verpasse keine einzige Folge von «MasterChef» und seiner artistischen Steigerung «MasterChef: The Professionals». Sie beruhigen mich und machen mich staunen. Denn sie haben ein Rückgrat und eine Mission. Ich rede dabei vom britischen Original. Vom BBC-geborenen Mutterschiff aller «MasterChefs».
Worum geht's? Überzeugend begabte, interessante Laien – oder im Fall von «The Professionals» Profis – kochen in einer Studioküche um die Wette. Immer fällt jemand raus, was der schlimmste Moment seines Lebens ist, während alle, die weiterkommen, andauernd die beste Zeit ihres Lebens haben, was gelogen ist. Nach ein paar Studiofolgen dürfen sie für die Marine oder reiche Leute oder Starköche kochen, was der härteste Tag ihres Lebens ist.
Das Rückgrat besteht aus einer festen, seit Jahren identischen Studiojury und diversen Gastjurys mit berühmten Foodkritikern oder ehemaligen Teilnehmenden. Die Jurys sind väterlich, mütterlich, streng, gütig, strafend, weise, gnadenlos, ironisch, enttäuscht, begeistert. Sie sind präsent, differenziert und meinungsstark.
Die Mission heisst: kochen. Prozesse, Anstrengungen, Entwicklungen, Resultate zeigen. Den Glanz einer gelungenen Sauce ins rechte Licht rücken, die verdammte Herausforderung eines Soufflés erklären, Ehrgeiz oder Erfahrung beweisen. Und vor allem: So zu kochen und so kenntnisreich und anschaulich darüber zu reden, dass uns zuhause das Wasser im Mund zusammenläuft. Dass wir angefixt und inspiriert sind (manchmal auch angeekelt) und Partei ergreifen.
Die BBC erledigt das in einem relativ nüchtern gehaltenen, laborartigen Studio. Reduced to the max. Ich kenn mich aus in diesem Studio, ich weiss, wie viele Schritte es zum Blast-Chiller-Schnellgefrierschrank sind, wo die Sous-Vide-Garer vor sich hinblubbern und wo die Spinde schlummern, aus denen die Ausgeschiedenen mit hängenden Köpfen ihren Kram holen.
«MasterChef» ist mein Zuhause. Meine Zuflucht in Krisenzeiten. Hier wird verlässlich verbessert, was sich zu verbessern lohnt. Weshalb ich einerseits total skeptisch, andererseits euphorisch war, als die erste Schweizer Staffel angekündigt wurde. Vor allem, weil ich die Schweizer Studiojury im Grunde für fähiger halte als die britische. Andreas Caminada! Nenad Mlinarevic! Zwei Helden mit internationalem Format!
Caminada habe ich mir noch nie leisten können, Mlinarevic liebe ich innigst. Von den beiden könnte ich mir stundenlang irgendwas erklären lassen. Die Magie des Radieschens, das Mirakel der Milke, alles! Stattdessen müssen sie viel zu hastig viel zu wenig ansprechende Gerichte bewerten.
Irgendwie hatte ich die Illusion, dass die Teilnehmenden diesen Hochkarätern entsprechen würden. Nicht eins zu eins natürlich. Aber mit den britischen Talenten vergleichbar. Wobei ich der Fairness halber sagen muss: Die BBC gibt ihren Leuten viel mehr Zeit. Ist ruhiger und näher dran. Geht in die Details. Bei uns ist alles zu hektisch. Dabei sollte man sich gerade fürs Kochen Zeit nehmen. Wie für die Liebe.
Zoe Torinesi ist bei uns die Frau für die Instagramtauglichkeit der Speisen. Ein Job, der hier hart an allerlei Grenzen stösst. Nik Hartmann – der Gregg Wallace der Schweizer Staffel – hat keine andere Funktion, als ab und zu «Nur noch fünf Minuten! Fünf Minuten!» zu rufen. Schade, dass er kein Mitjuror sein darf.
Und dann gibt es die unentschuldbaren Situationen, in denen sich die Jury dazu entschliesst, ein paar Gerichte gar nicht erst zu probieren. Aus Zeitmangel? Aus purem Ekel? Sorry, das geht nicht. Vor dem Fernseher wollen wir über alles Bescheid wissen. The good, the bad and the very worst. Einmal in bisher fünf Sendungen beschimpfte Caminada die ganze Bande. Man fühlte mit ihm.
Eine Kandidatin gibt es, die ich von meiner Kritik ausnehmen möchte: Marifer, die mit ihrem Mann ein mexikanisches Cateringunternehmen betreibt. Allerdings ist sie damit auch keine Hobbyköchin mehr. Ihr glaube ich, dass sie gut kochen kann. Theoretisch jedenfalls. Jetzt muss die Regie nur noch in der Lage zu sein, dies so rüberzubringen, dass wir uns Marifers Gerichte auch unbedingt einverleiben wollen.
Rettung naht: Die nächste Staffel «MasterChef» startet am 23. März auf BBCOne. «MasterChef Schweiz» läuft montags um 20.15 Uhr auf 3+. Alle bisherigen Sendungen gibt es auf oneplus.ch zu sehen.
Da kann sogar Baroni mit seiner blonden Lasagna Köchin einpacken.