Als ich jung war und mit Kulturjournalismus begann, da lagen Medien-Menschen über 40 für mich jenseits von attraktiv. Über 45 begannen sie alt zu werden. Ab 50 nahm ich sie nicht mehr ernst und schon gar nicht mehr wahr. Ihre Artikel fand ich anspruchslos und uninspirierend, meine Generation war die Zukunft und nur wir wussten, was in dieser Zukunft zählen würde.
Die alten Leute, egal ob Männer oder Frauen, schrieben am liebsten über alte weisse Männer. Oder den Zweiten Weltkrieg. Oder homosexuelle Schriftsteller, die einen enorm verklemmten Umgang mit ihrer Homosexualität hatten, was die alten Leute offenbar für angemessen hielten. Es gab Tage, da kamen in der ganzen, grossen Zeitung, bei der ich damals arbeitete, Frauen und Menschen mit einer anderen Hautfarbe als der weissen höchstens im Sportteil vor. Sport war immer schon globaler und demokratischer als andere Ressorts.
Die Welt, an der die alten Leute nach Kräften gebaut hatten, war eine Zumutung. Und wir muteten ihnen unseren jungen Widerstand zu. Jeden Tag. Und ungefragt. Ich schrieb Leserinnenbriefe gegen Artikel von anderen, aus denen ich Homophobie zu lesen glaubte. Ich ging zu einem prominenten Kollegen und fragte: «Wann in deiner langen Karriere hast du eigentlich schon mal über eine Frau geschrieben?» Er dachte nach und sagte: «Scheisse, nie.» Danach schrieb er einen Artikel über Angela Merkel und einen über Hillary Clinton. Immerhin.
Während meines Studiums hatte ich gefühlt einmal die Woche an einer Demonstration gegen Patriarchat, Kapital oder Faschismus teilgenommen, fast alle meine Seminararbeiten hatten im Zeichen feministischer Wissenschaft gestanden, ungläubig hatte ich älteren Herren aus Wissenschaft und Feuilleton zugehört, die erklärten, Frauen hätten in der Literaturgeschichte nichts zu suchen, weil sie ja ausser Tagebüchern nie was Grosses geschrieben hätten.
Meine Mitstreiterinnen und ich fanden die angeblich inexistenten Frauen trotzdem. So, wie wir auch zu unseren diversen Identitäten fanden, obwohl wir das ganz ohne Internet tun mussten. Zu Beginn der 90er-Jahre eine frisch geschlüpfte Lesbe in der Schweiz zu sein, hiess, sich in den Untergrund zu begeben. In klandestinen Lokalen mit kryptischen Öffnungszeiten zu verkehren. Weder Öffentlichkeit noch Lobby zu haben. Juristisch aus ganz vielen Rahmen zu fallen. Prominente Vorbilder konnten wir an einer Hand abzählen – aber wer wollte schon wie die schrille Hella von Sinnen sein?
Egal, ich werde nostalgisch, denn von damals aus gesehen, bin ich jetzt auch eine alte Frau, und ich ärgere mich, dass ich damals nie einen alten Menschen gefragt hatte, wie er oder sie uns Junge eigentlich sah. Ob wir nur lästig und naiv schienen. Oder ob es da auch etwas Gutes gab. Denn schaue ich auf die jungen Menschen von heute, so geben sie mir den Glauben an die Zukunft, den ich zwischenzeitlich mal zynisch beerdigt hatte, zurück.
Sie mögen nerven mit ihrer Rechthaberei. Mit ihrem Eifer, mit dem sie in jedes mögliche Opferbecken springen und sich darin suhlen. Mit ihrem oft engstirnig scheinenden Beharren auf grammatikalischen Gender-Finessen. Mit ihrer pathetischen Anklage in allem, was Umwelt betrifft.
Aber im Grunde haben sie recht. Und es ist egal, dass sie kuschelbedürftige Snowflakes sein können, die einen mit ihren Fleischersatz-Produkte-Predigten in den Wahnsinn treiben – ihr Umgang untereinander ist besser, als es der meiner Generation war. Und ihr Umgang mit der Welt an sich auch. Wir hatten ein Interesse daran, dagegen zu sein. Sie haben ein Interesse daran, gut zu sein. Das ist ein wesentlicher Unterschied, auch wenn sie im Gefecht gelegentlich übertreiben und allzu gerne Gegner identifizieren und an den Pranger stellen.
Ich selbst stand auch schon am Pranger, einmal, weil ich in einem bestimmten Kontext keine Woman of color war, ein anderes Mal, weil ich zwar queer, aber nicht trans war. Zuerst war ich empört, dann fand ich es interessant und nicht unberechtigt, nach vielen Jahren der Anklage auch einmal auf der Anklagebank zu sitzen. Es war ein fruchtbarer Perspektivenwechsel.
Trotzdem möchte ich den jungen Menschen etwas zurufen – aus Sicht der «alten Frau» und von einer, die in den Medien arbeitet und den Job hat, alles, auch die Jugend, zu reflektieren: Ihr Lieben, viele von uns sind auf eurer Seite. Greift die an, die euch angreifen. Seid denen gegenüber, die mit euch sind, aber vielleicht mal einen Fehler machen, weil sie eurem Erneuerungsgeist nicht ganz so schnell hinterherkommen, etwas gelassener, ihr verliert sonst Verbündete. Oder wie die weise Ruth Bader Ginsburg über den Kampf um die Geschlechtergleichheit sagte: «Echter Wandel, dauerhafter Wandel geschieht Schritt für Schritt.»
Und: Die Formulierungen «Du hast mich beleidigt» oder «Ich bin verletzt» sind nicht diskursfähig und keine abschliessenden Argumente einer Diskussion, da müssen schon genauere, einleuchtendere Erklärungen kommen. Und: Macht euch nicht so oft rhetorisch zu Opfern. Opfer ist ein grosser Begriff, den Menschen für sich in Anspruch nehmen dürfen, die für ihr Dasein verfolgt, gefoltert und getötet werden.
Andererseits gehört gerade dies zum Jungsein und ist das Privileg der Jugend. Sie wäre nicht sie selbst, wenn sie nicht heissblütiger, starrköpfiger und herzgetriebener wäre als jede spätere Generation. Und wäre ich jetzt noch einmal jung, ich wäre mit Begeisterung ein Teil der heutigen Jugend. Ihrer Offenheit, ihres sensiblen Diversitätsbewusstseins, ihres globalisierten Geistes. Ihre Möglichkeiten der Entfaltung und Vernetzung scheinen unendlich.
Leute, es ist verdammt schön, dass ihr da seid. Oder wie ich in den 90ern zu sagen pflegte, wenn ich jemanden besonders mochte: Thanks for existing!
Auch abseits der Gymis und der Phil 1-Hörsäle…?
Es würde mich sehr freuen - ich bezweifle es aber stark.