Leben
Kommentar

So verändert sich das Leben, wenn man Vater wird

Bild
bild: shutterstock
Kommentar

Seit einem Jahr bin ich Vater – 15 Dinge, die mir erst jetzt richtig bewusst wurden

Wie es wirklich ist, in Zürich Vater zu sein.
21.09.2020, 15:5821.09.2020, 16:28
Corsin Manser
Folge mir
Mehr «Leben»

Kürzlich durften wir den ersten Geburtstag unseres Kindes feiern. Der Kleine hat mir in den vergangenen 365 Tagen nicht nur in der Nacht oft die Augen geöffnet. Viele Dinge, über die ich mir vorher gar nicht so richtig Gedanken gemacht habe, wurden mir erst jetzt so richtig bewusst.

Es ist kein Vaterschafts-«Urlaub»

Die ganze Schweiz spricht derzeit über den Vaterschaftsurlaub. Wie viel soll es denn sein? Ein Tag? Zwei Wochen? Oder am Ende gar noch mehr? Dazu gibt es verschiedene Ansichten und Argumente. Das ist im Sinne des demokratischen Diskurses auch richtig so.

Was aber definitiv nicht richtig ist: Die ersten Tage nach der Geburt als «Urlaub» zu bezeichnen. Mit Liegestuhl, Sonnencrème und stundenlangem Krimi-Lesen hat diese Zeit rein gar nichts zu tun. Die ersten zwei Wochen nach der Geburt waren vermutlich die strengsten meines Lebens. Der Begriff Vaterschaftsurlaub weckt völlig falsche Assoziationen, die nichts mit der Realität zu tun haben.

Hier sei auch mal gesagt, dass nicht jede Geburt problemlos verläuft, dann sind die Stunden und Tage danach noch viel aufreibender.

Ich glaube, es wäre vernünftiger, man würde in Zukunft von «Vaterzeit», oder – wenn es denn mal so weit kommt – «Elternzeit» sprechen.

Das Vaterschaftsurlaub-Referendum in 100 Sekunden erklärt

Video: watson/Lino Haltinner, Jara Helmi

Hebammen haben einen verdammt wichtigen Job

31 Jahre lange habe ich mir kaum je Gedanken gemacht, was Hebammen eigentlich so tun. Doch auf einen Schlag wurden sie während einigen Tagen die wichtigsten Personen der Welt – abgesehen von Mutter und Kind natürlich.

Man(n) selber hat beim ersten Kind ja keinerlei Erfahrung, was während und nach der Geburt passiert. Im Vorbereitungskurs sagte die Kursleiterin: «Glauben Sie mir, Sie werden sich an jedes Wort erinnern, das die Hebamme während der Geburt gesagt hat.» Exakt so ist es. Die Anspannung ist gross, man erlebt gerade einen der prägendsten Momente des Lebens, deshalb legt man jedes Wort der Hebammen auf die Goldschale.

Und ich muss sagen: Die Hebammen (und übrigens auch die Ärztinnen und Pflegerinnen) haben sowas von geliefert. Die haben von A bis Z einen Riesen-Job gemacht.

Stillen ist nicht selbstverständlich

Stillen wirkte für mich irgendwie immer so selbstverständlich. Das ist halt etwas, das Mütter mit ihren Babys tun. Viel gedacht habe ich mir dabei nicht.

Dann ist das Kind da und es dreht sich plötzlich alles ums Stillen. So einfach ist das nämlich gar nicht. Es können Komplikationen auftreten. Die sind derart zahlreich, dass ich hier gar nicht mit dem Aufzählen beginne.

Was mir aufgefallen ist: Der Druck auf die Mütter ist ziemlich gross. Überall wird empfohlen, dass man mindestens so und so lange stillen sollte, dass es das beste für das Kind sei, etc. etc.

Ich stelle mir vor, dass sich deswegen viele Mütter in einer sowieso schon stressigen Zeit zusätzlich ein schlechtes Gewissen machen, wenn es nicht klappt mit dem Stillen. Das sollte eigentlich wirklich nicht sein. Auch Babys, die vom Schoppen trinken, werden gross.

Gleiche Rollenverteilung ist zu Beginn unmöglich

Dies bringt mich gleich zum nächsten Punkt. So lange die Mutter stillt, ist es unmöglich, die Rollenverteilung als Eltern so vorzunehmen, dass das Geschlecht keine Rolle spielt. Das Stillen nimmt zu Beginn ein grosser Teil der Tage und Nächte ein. Als Mann hat man dabei automatisch nur eine Nebenrolle. Was aber nicht heisst, dass man nichts tun kann während dieser Zeit. Was uns gleich zum nächsten Punkt bringt.

Der Haushalt nimmt kein Ende

Denn die Arbeit im Haushalt nimmt mit einem Kind kein Ende. Waschen, kochen, abwaschen, putzen, einkaufen, waschen, kochen, putzen, einkaufen und alles wieder von vorne.

Nach der Geburt darf die Mutter wochenlang nicht einmal schwere Sachen heben, insbesondere bei einem Kaiserschnitt.

Wäsche in den Keller tragen? Verboten. ​

Einkauf nach Hause tragen? Verboten.

Müll nach draussen bringen? Verboten.

Da kann man sich als Vater durchaus nützlich machen.

Bevor man ein Kind bekommt, macht man sich vielleicht Gedanken, wie man es dereinst erziehen will. Ob es vielleicht mal Fussball oder Tennis spielen soll. In Tat und Wahrheit stellen sich all diese Fragen zunächst gar nicht.

Im ersten Jahr habe ich unendlich viel Zeit damit verbracht, im Keller Bodys mit Gallseife sauber zu schrubben, die Wohnung aufzuräumen und den Geschirrspüler auszuräumen. Im Erziehungsratgeber hab ich derweil nur höchst selten geschnuppert.

Animiertes GIFGIF abspielen
Etwa so war ich vergangenes Jahr meistens anzutreffen.gif: giphy.com

Alleinerziehende leisten Übermenschliches

Liebe Alleinerziehende, wie macht ihr das bloss? Zu zweit ist das alles ja schon unglaublich anstrengend. Wie ist denn das erst alleine? Meine Bewunderung habt ihr jedenfalls. Der Kraftakt, allein ein Kind grosszuziehen, muss immens sein. Respekt.

Schlafen ist etwas sehr schönes

Oh ja!

Das Konzept von Freizeit und Arbeit ändert sich

Arbeit = Anstrengung

Freizeit = Erholung

So einfach war diese Einteilung jedenfalls vor der Geburt. Seit einem Jahr hat sich das Konzept von Freizeit und Arbeit komplett verändert. Ein Tag im Büro ist meistens weniger streng als ein Tag Kinderbetreuung. Liegt natürlich auch daran, dass wir bei watson den ganzen Nachmittag Pingpong spielen. Liegt natürlich auch am ausgezeichneten workplace environment bei watson.

Zu Hause mal in Ruhe einen Kaffee zu trinken, ist fast ein Ding der Unmöglichkeit. Ganz anders im Büro: Dort kann man sich ungestört so viel Koffein reinschütten, wie man will. Und verdient erst noch Geld dabei.

So locker ist die Stimmung im watson-Büro:

Wohnungssuche in Zürich ist schwierig

Dass sich die Wohnungssuche in Zürich schwierig gestalten kann, ist nichts Neues. Als Familie mit beschränktem Budget ist die Herausforderung aber ungleich grösser.

Klar, es gibt immer wieder neue Siedlungensprojekte, Genossenschaften und subventionierte Wohnformen. Doch der Andrang auf bezahlbare Wohnungen, die mehr als vier Zimmer haben und einigermassen erschwinglich sind, ist gigantisch.

So haben wir uns etwa für einen Neubau mit etwa 50 Wohnungen in der Nähe des Letzigrundes beworben. Die Preise waren ziemlich tief, umso grösser dafür das Interesse. Telefonisch teilte man uns mit, dass sich innerhalb kürzester Zeit 500 Familien für das Projekt beworben hätten. Zusammen mit 450 anderen Parteien gingen wir leer aus.

Besonders für Familien scheint in der Stadt Zürich zu gelten, was FDP-Nationalrätin Regine Sauter Anfang Jahres sagte: «Wenn sie nur beschränkte Mittel zur Verfügung haben, dann müssen sie halt dort hinziehen, wo sie sich eine Wohnung leisten können. Es ist klar, dass nicht jedermann mitten in der Stadt Zürich wohnen kann.»

Restaurants sind nicht familienfreundlich

Nicht nur was Wohnungen betrifft, ist die Stadt Zürich, oder zumindest die Innenstadt, nicht besonders familienfreundlich.

Auch die meisten Gastro-Betriebe sind nicht auf Kinder ausgerichtet. Wenn überhaupt, hat es meist nur einen Kinderstuhl. Wickeltische sind auch nicht immer vorhanden und oftmals befinden sie sich auf dem Frauen-WC. Geht man abends auswärts essen, sind kaum Kleinkinder in den Restaurants anzutreffen.

Ich will den hiesigen Gastronomen hiermit keine Vorwürfe machen. Vielleicht rechnet es sich einfach nicht, auf Familien zu setzen. Ich stelle aber fest, dass man sich als Familie in vielen Lokalen nicht wirklich willkommen fühlt.

Viele Trams sind alt

Wenn ich mich gerade schon über Zürich beschwere: Was läuft hier eigentlich mit dem ÖV falsch? Kürzlich wollte ich in ein Tram einsteigen, das schien direkt aus dem Museum zu kommen. Der Einstieg steil wie die Eigernordwand. Es ist unglaublich, wie viele Trams keinen Niederflureinstieg haben.

Mit dem Kinderwagen kann ich wenigstens jemanden um Hilfe bitten, um ins Tram zu kommen. Das ist im schlimmsten Fall etwas unangenehm. Aber was bitte sehr machen Leute, welche sonst eine Gehbehinderung haben und vielleicht auf einen Rollstuhl angewiesen sind?

Für eine Stadt wie Zürich ist es eine Schande, dass im Jahr 2020 noch so viele Trams unterwegs sind, die zahlreiche Menschen aktiv ausgrenzen.

Steig ein: Ja wenn es denn so einfach wäre ...

Ich hasse laute Motoren

Seit ich Vater bin, achte ich viel mehr auf Lärm, denn jedes Geräusch könnte mein Kind im Kinderwagen aufwecken. Ein Ärgernis sondergleichen sind all die Männer und Frauen, welche mit ihren viel zu lauten Autos und Töffs die Stadt mit Lärm verschmutzen und nicht zuletzt Kinder erschrecken. Ähnlich nervig sind nur noch Kirchenglocken.

Leute sind nicht unfreundlich

Mir wurde oft gesagt, dass man man blöde angeschaut werde, wenn man mit einem Kinderwagen in den Bus einsteigt. Diese Erfahrung habe nicht gemacht. Die Leute waren mir gegenüber nicht unfreundlich, wenn ich mit dem Kind unterwegs war. Die allermeisten Leute sind einfach desinteressiert und starren weiter in ihr Handy, wenn man aufkreuzt. So war ich vorher vermutlich auch.

Tatsächlich haben sich im vergangenen Jahr sogar immer wieder kurze, angenehme Begegnungen mit unbekannten Personen ergeben. Vor allem ältere Frauen freuen sich immer wieder über Babys und suchen das Gespräch mit dem Vater.

Vielleicht habe ich aber auch den Papi-Bonus. Kann sein, dass Müttern nicht so wohlwollend begegnet wird wie mir.

Der «Papitag» nervt

Ja, ich gehöre zu den 18 Prozent der Männer, die Teilzeit arbeiten. Trotzdem nervt es mich, wenn mich jemand fragt, ob ich meinen «Papi-Tag» habe. Das ist nichts, worauf ich stolz bin. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass auch Väter ihren Teil zur Kinderbetreuung beitragen. Das ist es offenbar immer noch nicht. Oder habt ihr schon mal eine Mutter gefragt, ob sie ihren «Mami-Tag» hat?

Und versteht mich nicht falsch: Es kann durchaus Gründe geben, warum der Vater oder die Mutter 100 Prozent arbeitet. Das will ich nicht verurteilen. Aber hört auf, Väter dafür zu loben, dass sie sich einen Tag frei nehmen.

Pärke und Spielplätze sind verdammt sauber

Zu guter Letzt muss ich der Stadt Zürich dann doch noch ein Kränzchen winden. Die Pärke und Spielplätze sind in einem absolut tadellosen Zustand. Die Wiesen und Sandkästen sind derart sauber, da kann unser Küchenboden meistens nicht mithalten. Den muss ich sowieso wieder mal staubsaugen, das letzte Mal ist bestimmt schon zwei Tage her.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Wie Elternsein wirklich ist – in 11 lustigen Cartoons
1 / 13
Wie Elternsein wirklich ist – in 11 lustigen Cartoons
bild: theoatmeal

Auf Facebook teilenAuf X teilen
Das Vaterschaftsurlaub-Referendum in 100 Sekunden erklärt
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
220 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Toerpe Zwerg
20.09.2020 07:51registriert Februar 2014
"Die ersten Tage nach der Geburt als «Urlaub» zu bezeichnen. Mit Liegestuhl, Sonnencrème und stundenlangem Krimi-Lesen hat diese Zeit rein gar nichts zu tun."

Das bleibt für 6 Jahre so.
117633
Melden
Zum Kommentar
avatar
öpfeli
20.09.2020 08:19registriert April 2014
treffende Erkenntnisse :)

Nach diesem Artikel stelle ich mir einmal mehr die Frage, ob Väter von der Gesellschaft sanfter behandelt werden als Mütter. Warum? Mein Mann und ich arbeiten beide 80%. Bei ihm ist "mega cool", bei mir ists "aso scho sehr viel". Mein Mann und z.b auch du &ein Kollege wurden in den öV noch nie unfreundliche behandelt, meine Freundinnen und ich schon. Klar, zu wenige Erkenntnisse für eine Studie 😂 aber deshalb ist die Frage ja auch noch unbeantwortet. Vielleicht hat jemand ebenfalls solche Erfanrungen gemacht? oder eben das Gegenteil.
67771
Melden
Zum Kommentar
avatar
Stromer5
20.09.2020 07:59registriert Juli 2015
Danke für dieses treffende Statement.
Zum Thema Zürich kann ich nicht viel sagen, da ich im St. Galler-Rheintal wohne.
Hier noch DER Spruch schlechthin, welcher bei uns im Treppenhaus hängt und soviel Wahres hat:
Familie ist da wo die Wäscheberge niemals kleiner werden...wo Krümel den Boden und Handabdrücke die Fenster dekorieren...wo der Fanclub Dir bis auf die Toilette folgt...und du lernst, auf kleinstem Raum in den unmöglichsten Positionen zu schlafen (man kann ihn noch endlos erweitern)

Lg, ein seit 3.5 Jahren zweifacher Familienvater
51636
Melden
Zum Kommentar
220
«Unser Sterbehilfe-Gesetzesartikel müsste dringend ergänzt werden»
Das Bundesgericht hat am Mittwoch den Arzt Pierre Beck freigesprochen. Er hatte einer gesunden 89-Jährigen ein Medikament verschrieben, das ihr zum Suizid verhalf. Bioethiker Christoph Rehmann-Sutter sagt, warum dieses Urteil sinnbildlich für eine unzureichende Rechtslage in der Schweiz punkto Sterbehilfe steht.

Der Arzt Pierre Beck verhalf 2017 einer 89-jährigen zum Suizid, indem er ihr das Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital verschrieb. Die Frau war gesund und zurechnungsfähig. Nach langem Hin und Her hat das Bundesgericht Beck nun vom Vorwurf, gegen das Betäubungsmittelgesetz verstossen zu haben, freigesprochen. Was bedeutet dieses Urteil aus Ihrer Sicht?
Christoph Rehmann-Sutter
: Der Fall zeigt, dass in der Schweiz viele Fragen in Bezug auf die Beihilfe zu Suizid noch immer nicht geklärt sind. Zum Beispiel, wie in gewissen Fällen strafrechtlich damit umgegangen werden soll. Es ist bezeichnend, dass es bei diesem Prozess nur darum ging, ob Beck gegen das Betäubungsmittelgesetz verstossen hat, und nicht darum, ob er sich der Tötung schuldig gemacht hat.

Zur Story