Und wieder ist ein Gespräch vorbei. Ein paar Tage hin und her texten, Gedanken teilen und wieder zu Fremden werden. Ich frage mich jedes Mal aufs Neue, was ich auf Tinder verloren habe? Weshalb ich dieser App mit meinem Liebesleben traue?
Ich bin 22 Jahre alt, wohne im Aargau, arbeite als Journalistin und tanze in meiner Freizeit am liebsten - wie oft ich diese Fakten aneinandergereiht habe. Dabei habe ich Tinder erst seit drei Wochen. Und diese App verwirrt mich bereits jetzt. Jungs mit freiem Oberkörper, die auf keinen Fall was Ernstes wollen, neben denen, die schon in den ersten zehn Minuten erzählen, wer sie in ihrem Leben am meisten verletzt hat.
Wie finde ich unter all diesen Gesichtern eine Person, die mein Gegenstück sein könnte? Und vor allem: Wie mache ich das online, wo jedes zweite Gespräch darin endet, dass einer der Beteiligten nicht mehr antwortet?
Ich habe mir anfangs zur Regel gemacht, dass ich einen Mann oder eine Frau nur nach rechts swipe, wenn die Person:
A. Auf dem Profil mehr als nur ein Selfie von sich zeigt.
B. von Tinder fotoverifiziert ist (ich möchte schliesslich nicht mit Fake-Profilen chatten)
C. Eine Tinderbio hat, auf die ich im Gespräch eingehen kann.
Dass ein Profil diese drei Punkte erfüllt, ist selten. Während ich am Abend jeweils durch die Profile swipe, verschwimmen sie immer mehr zu einem Meer. Es sind Menschen, aber manchmal sehe ich nur noch Nummern, Farben, Fakten. Und plötzlich fühle ich mich komisch beim Gedanken daran, dass all diese Menschen möglicherweise mein Gesicht sahen, mein Leben in Fakten kannten. Ich fühle mich exponiert. Was sagten sie wohl ihren Freunden, als sie mein Profil sahen? Witzelten sie über meine ungebändigten Locken? Wahrscheinlich haben sie sich dabei gar nichts gedacht. Ich bin auch bloss ein weiteres Gesicht in diesem Meer von Menschen.
Manchmal führt ein Swiping-Abend auch wirklich zu Swipes nach rechts - und einem Match. Aber was schreibe ich bloss? Ein simples «hallo» - langweilig. Eine gute Frage - fällt mir nicht ein. Also lasse ich es lieber sein, es endet ja sowieso wieder in einem leeren Gespräch. Wie machen das bloss all die anderen? Es kann doch nicht sein, dass Tinder 2022 den 10. Geburtstag feierte und laut den Machern mehr als 530 Millionen Mal installiert wurde und ich als Einzige überfordert bin. Oder scheinen Menschen in ihren Profilen viel selbstbewusster, als sie es wirklich sind?
Schnell, einfach, schmerzlos. Emma* wollte auf Tinder vor allem eines: Spass. Sie war seit zwei Jahren single, als sie die App zum ersten Mal auf ihr Smartphone herunterlud - und bereit, die Datingwelt aufzumischen. Nur wusste sie anfangs noch nicht so recht, worauf sie bei den Männern achten sollte. Von ihr gab es ein Swipe nach rechts, in der Hoffnung, die Männer auf dem Bildschirm würden dasselbe tun. Das taten sie. Emma hatte viele Dates. Eine genaue Zahl kann sie nicht mehr nennen, aber Spass hatte sie allemal. Sie traf verschiedene junge Männer. Solche, mit denen sie einen lustigen Abend in einer Bar verbrachte, und solche, die sie auch nach dem ersten Date wieder sehen wollte.
Damals war sie 19 und eine der wenigen in ihrem Freundeskreis, die eine Dating-App benutzte. Das machte ihr aber nichts aus, im Gegenteil. «Ich hatte immer lustige Geschichten von Dates zu erzählen», sagt die heute 24-Jährige. «Ich mochte es, im Mittelpunkt zu stehen.» Und so erzählte sie ihren Freundinnen bis ins kleinste Detail, welche Abenteuer sie erlebt hatte.
Die lustigen Geschichten, die lockeren Nächte - dahinter steckte mehr. Emma wollte Anerkennung. Nicht von ihren Freundinnen, sondern von den Männern. «Ich wusste, solange ich noch Dates habe, ist alles in Ordnung. Bin ich in Ordnung», sagt sie heute. In Ordnung bedeutet für Emma, sie sieht gut aus. Sie habe Tinder gebraucht, um sich bestätigt zu fühlen. Und was, wenn die Anerkennung mal fehlte? «Tinder ist wie ein Supermarkt. Es sind so viele Männer auf der Plattform, als Frau bekommt man immer Likes.» Sie hatte immer mindestens einen Plan B. Lief ein Date schief, stand das nächste bereits an.
Emma erzählt überwiegend von positiven Erfahrungen. Sie sei als Jugendliche sehr schüchtern gewesen. «Tinder hat mir dabei geholfen, selbstbewusster zu werden.»
Doch eine Erfahrung erschütterte in ihr das Gefühl, dass sie «in Ordnung» sei. Emma ging gerne ins Fitnessstudio und schrieb das in ihrer Bio. Als sie nach einem ihrer Meinung nach «ziemlich durchschnittlichen» ersten Date auf dem Nachhauseweg auf ihr Handy blickte, stutzte sie. Der Mann schrieb, dass sie Fitness lieber aus ihrer Tinderbio entfernen sollte. Man sehe ihr nicht an, dass sie Sport mache.
Emma war schlank. Trotzdem nahm sie Fitness aus ihrer Bio heraus. Ab diesem Moment warnte sie jedes Date vor, dass sie etwas kurvig sei. «So sollten sie nicht enttäuscht werden, wenn sie mich in echt sahen.» Emma machte sich zwei Jahre lang klein, bloss um die Erwartungen der Männer zu übertreffen. Sie fragte sich immer wieder: «Muss ich Männer wegen meines Aussehens vorwarnen?»
Das muss sie auf keinen Fall, der Mann hatte klar Grenzen überschritten, sagt Soziologin Gina Potarca. Sie ist eine Tinder-Expertin und hat sich in den vergangenen Jahren in ihren Studien der Welt des Online-Datings gewidmet. Sie spricht über die Erfahrung, die Emma mit ihrem Date hatte - verärgert darüber, dass ihr Date ihr einen grossen Teil ihres Selbstwertgefühls nahm. Doch Emma ist mit ihrer Erfahrung nicht allein. Nicht selten liest man ähnliche Geschichten oder hört sie im Freundeskreis.
Hat Tinder einen negativen Einfluss auf unser Selbstbild? Nein, weiss Gina Potarca. In ihrer Studie «The Mental Health Cost of Swiping» konnte sie aufzeigen, dass keine direkte Verbindung zwischen der Partnersuche auf Dating-Apps und der Selbstachtung besteht. «Tinder ist nicht das grosse Monster», sagt Potarca. Wer dann? «Menschen. Fehlende Kommunikationsfähigkeiten.» Das sei vor allem ein Problem der Masse. Man gebe sich anfangs oft weniger Mühe, weil man angesichts der Möglichkeiten seine Zeit nicht verschwenden möchte.
Stand 2022 hat Tinder laut der Website Datingzest 75 Millionen Nutzerinnen und Nutzer weltweit. Über 50 Prozent davon sind zwischen 18 und 25 Jahre alt. Das Wissen, dass die perfekte Person vielleicht noch unter den restlichen Nutzerinnen und Nutzern ist, könne in Menschen eine Art Angst davor auslösen, etwas zu verpassen.
Ein Match ist nicht mehr genug - das sagt auch Emma aus eigener Erfahrung: «Ich hatte immer jemanden auf Halde.» Für Frauen ist das einfacher als für Männer. Gina Potarca sagt: «Viel mehr Männer als Frauen benutzen Tinder.» Eine Studie von Statista aus dem Jahr 2019 geht davon aus, dass acht von zehn Tinder-Nutzern Männer sind. «Traditionellerweise sind Männer die Jäger und Frauen die Gejagten», sagt sie. Das sei auch auf Tinder nicht anders. Männer würden oft den ersten Schritt machen. Diese Ungleichheit führt dazu, dass Männer sich doppelt Mühe geben müssten - und Frauen eine grosse Auswahl hätten.
Yannick liess sich davon nicht abschrecken. Der 33-Jährige war in den vergangenen fünf Jahren ein aktiver Tinder-Nutzer. Er hatte die App damals heruntergeladen, weil er neugierig war, wie es so ist, wenn man die ganze Welt unter seinem Daumen hat. Das redete er sich zumindest ein.
Heute, nach unzähligen Dates, Sex mit verschiedenen Frauen und Abenden, nach denen er sich eingestehen musste, dass dieser Mensch, den er präsentiert hatte, nur wenig mit ihm zu tun hat, hat er verstanden: «Ich war geil und verzweifelt und suchte nach einer einfachen Lösung für meine Einsamkeit.» Die Einsamkeit, die er verspürte, als er mit 27 eine siebenjährige Beziehung verliess. Er wollte zu diesem Zeitpunkt keine neue Beziehung. Er wollte Spass, Sex, jemanden an seiner Seite - aber bloss keine Gefühle.
Und so datete er mehrere Frauen gleichzeitig. Zu einem Zeitpunkt waren es vier. Eine war lustig, eine hatte einen «heissen Körper», eine gab ihm Halt und noch eine war «sexuell kompetent». «Für einen Abend reichte es, wenn die Frauen und ich in einem Aspekt auf einer Wellenlänge waren», sagt er. Kam ihm eine der Frauen emotional zu nahe, beendete er das Ganze. Weshalb? «Sie passten nicht in mein Modell», sagt Yannick. Mit seinem Modell meint er, dass er jeden Abend entweder mit seinem Hobby Basketball oder einer Frau füllte. «Ich wollte nie allein sein. Bereits der Gedanke, mit mir allein Zeit zu verbringen, machte mir Angst.»
Eine der Frauen blieb besonders lange an seiner Seite. Die beiden hätten während zweier Jahre eine lockere sexuelle Beziehung geführt. Tiefe Gespräche, bloss keine Bindung. Auch sie sei frisch aus einer langjährigen Beziehung gekommen und suchte Spass. «Wir gaben einander Halt, während wir beide nicht wussten, was wir wollten», sagt Yannick heute. Er habe Teile von sich selbst auf Tinder und in den Frauen gejagt - aber nicht gefunden. «In den fünf Jahren auf Tinder habe ich nur gesucht. Aber nie kam mir die Idee, auch an mir selbst zu arbeiten.»
Yannick, der gerade im Restaurant sitzt und an einer Cola nippt, wird ruhig. Er sucht etwas in seiner Jackentasche. Sein Handy. Wo er vor Sekunden noch in ein Gespräch vertieft war, stiehlt jetzt etwas auf seinem Handy seine ganze Aufmerksamkeit - Tinder. Aber Yannick wischt nicht durch die Profile. Er zögert einen Moment, dann drückt er lange auf das rote Icon und löscht schliesslich die App. «Was zum Teufel mache ich noch auf Tinder?» Das Kapitel Tinder ist für ihn endgültig beendet. «Ich will mich nicht mehr hinter einem Bildschirm verkriechen, sondern in dieser Welt stattfinden», sagt er und legt das Handy wieder zur Seite. Und was ist mit all den Frauen? «Jeden Tag eine andere Frau zu haben, ist vielleicht ein Bubentraum, aber ein Männertraum ist es nicht.»
Ob Alkohol, Drogen oder Menschen, Soziologin Gina Potarca sagt: «Alles kann als eine Art Mittel verwendet werden, um die emotionale Leere zu füllen.» Bei Yannick war es eben Tinder. Das heisst für Potarca aber nicht, dass die Dating-App ein solches Verhalten fördert. Wir hätten manchmal alle Angst davor, herauszufinden, wer wir sind. «Nur gehen wir alle anders damit um.»
Wie sollte man denn am besten damit umgehen? «Fühlt die Angst, die Trauer, die Leere. Es ist wichtig, herauszufinden, was in einem vor sich geht, und nicht davor wegzurennen», sagt die Soziologin. Sie spricht vom Eskapismus oder der Wirklichkeitsflucht, also dem Meiden der realen Welt zugunsten einer Scheinwirklichkeit. So wie es Yannick in den vergangenen fünf Jahren getan hat. «Dabei werden andere Menschen zu einer Art Schutzdecke», sagt Potarca. Das macht sie zu Objekten. Sie sind nicht länger jemand, den man erforschen möchte, sondern letztlich ein Konsumgut. Indem man sein Gegenüber zu einem Objekt mache, könne keine emotionale Bindung auf Augenhöhe entstehen. «Das schützt uns davor, verletzt zu werden», sagt Potarca.
Ich habe es getan. Ich habe tatsächlich ein Date vereinbart. Wir schreiben nun seit drei Tagen. Er ist 25, Fotograf, wohnt ganz in der Nähe und verbringt seine Freizeit gerne mit Sport. Wir wollen uns morgen treffen, Pizza essen, vielleicht ein Glas Wein, ganz gemütlich. Die Uhrzeit und den Treffpunkt müssten wir noch abmachen. Ein Date, wie es wegen Tinder wöchentlich 1.5 Millionen davon gibt.
Ich muss aber etwas beichten: Ich werde nicht hingehen. Wenn ich ehrlich bin, wusste ich das bereits, als ich zugesagt habe. Ich sollte mich so richtig mies fühlen - das tue ich auch! Nein sagen konnte ich dennoch nicht. Er ist lustig, stellt viele Fragen, war bisher immer anständig (und gut aussehen tut er auch). Ich möchte ihn eigentlich treffen und doch wird es mir unangenehm, sobald sich die Unterhaltung aus der virtuellen Welt in die echte verschiebt.
Und ich weiss auch wieso: All diese Erwartungen! Was, wenn ich nicht die bin, die er sich erhofft hat? Was, wenn ich ihn nicht küssen möchte, obwohl das einfach dazu gehört? Und was, wenn er mich nicht küssen will? Aber vielleicht sind es meine Erwartungen, die mich nervös machen. Ich wünsche mir echte Verbindungen. Ich will jeden Punkt auf irgendeiner imaginären Liste abhaken. Jedes Mal frage ich mich, ob es die Person wert sein wird, meinen Samstagabend für sie zu opfern. Dabei ist jede Person so viel mehr wert! Manchmal scheint es bloss einfacher, es gar nicht erst zu versuchen. So auch am Abend vor dem Date. Ich habe mich nicht mehr nach dem Plan erkundigt - er sich auch nicht. Ich habe getan, was ich bei allen andern immer für unverständlich hielt, und habe ihn geghostet. Und er mich. Schräg.
Seit gut einem halben Jahr ist der 28-jährige Nate* aktiver Tinder-Nutzer. Neuland ist das Online-Dating für ihn aber nicht. Bereits als 19-Jähriger suchte er seine Dates online. Er weiss noch genau, was er dachte, als er zum ersten Mal eine Dating-App benutzte: «Wow, das ist wie an der Börse!» All die attraktiven Frauen hätten ihn beeindruckt - und gleichzeitig überfordert. Er sortierte all die Frauen aufgrund ihres ersten Bildes aus. «Die Auswahl war riesig, ich kam gar nicht dazu, die restlichen Bilder anzuschauen oder die Bio zu lesen», sagt er heute.
Der Assistent zieht erneut den Vergleich zur Börse. Schmeichelhafte Bilder, Stärken, die Grösse - Nutzerinnen und Nutzer würden sich selbst auf der App vermarkten. Auch er. «Die Reaktionen, also die Likes und Matches, gaben mir meinen Marktwert», sagt er. Und davon hatte er viele. Er habe es damals cool gefunden, mit möglichst vielen Frauen zu schreiben. «Manchmal benutzte ich vorgefertigte Texte, die ich mehreren Frauen sendete.» Heute schämt er sich dafür und nennt seine Serialität respektlos. «Ich war jung und ganz ehrlich überfordert», sagt Nate.
«Es wird viel zu wenig über Online-Dating gesprochen, ich hätte mir eine Anleitung gewünscht.» Eine Art Dos and Don'ts auf Tinder fände er noch heute eine gute Idee.
Nate hat einen für sich passenden Weg gefunden: Er datet heute noch mehrere Frauen zur selben Zeit. Nicht, weil er, wie damals mit 19, das Gefühl hat, er sei an der Börse und müsse unbedingt so viele Frauen wie möglich anhamstern, sondern weil er für sich herausgefunden hat, dass es für ihn im Moment stimmt, nicht monogam zu leben. Jetzt sei es ihm von Anfang an wichtig gewesen, die einzelnen Frauen gut kennenzulernen und sich Zeit für sie zu nehmen. Er wollte sich nicht erneut in der Masse verlieren. «Zurzeit date ich drei Frauen. Das passt prima.»
Die Freiheit, die Tinder mit sich bringt, sei einer der grössten Vorteile sagt Gina Potarca. Studien zeigen, dass Menschen online verschiedene Arten von Beziehungen finden und pflegen. Ein Beispiel dafür sind auch nicht monogame Beziehungen. Tinder erlaube die Freiheit, verschiedene Formen von Verbindungen auszuprobieren, bis man die passende findet. Denn durch die gewisse Anonymität, die das Verlagern des Dating-Pools von der realen in die virtuelle Welt mit sich bringt, ist die Hürde tiefer. «Traditionelle und progressive Beziehungsbilder können auf Tinder koexistieren», sagt Potarca. Das ist ein grosser Vorteil - wenn man weiss, wie man damit umgehen soll.
Auch die Soziologin findet, dass ein Tinder-Leitfaden die Überforderung, die viele verspüren, verkleinern könnte. Vielen fehle das Wissen, wie sie mit dem von ihnen bevorzugten Geschlecht auf eine respektvolle Art kommunizieren sollen: «Dating ist nicht einfach.» Der Bildschirm in der Hand ist keine Ausrede, um Menschen mit weniger Respekt zu begegnen. Potarca findet, dass über Dating-Apps auch in Schulen aufgeklärt werden sollte: «Sie sind Teil unserer Realität und können zu schönen Begegnungen führen, wenn wir sie mit Bedacht verwenden.»
Tinder war für Emily* ein sicherer Hafen. Auch sie machte ihre ersten Erfahrungen mit 19. Sie hatte damals mit ihrer Sexualität zu kämpfen. «Ich wusste noch nicht, ob ich wirklich auf Frauen stehe. Ich habe gehofft, es auf Tinder herauszufinden», sagt sie. Ein Profil zu erstellen, war für sie ein grosser Schritt. Nicht, weil es ihr peinlich war, dass Personen aus ihrem Umfeld sehen könnten, dass sie Tinder braucht, sondern weil sie Angst davor hatte, dass sie sehen könnten, dass sie Frauen sucht. Sie kannte bis dahin keine Frauen, die lesbisch oder bisexuell waren.
Auf Tinder hingegen traf sie Frauen, mit denen sie ihre Erfahrungen teilen konnte. «Für mich war Tinder kein Versteck, sondern ein Ort, an dem ich mich finden konnte.» Die Überwindung lohnte sich. Ihr erstes Date führte zu einer dreijährigen Beziehung. Dafür ist sie noch heute dankbar.
Doch die Beziehung ist nicht der einzige Grund, weshalb für sie der Sprung ins kalte Wasser ein Erfolg war. Die heute 24-Jährige ist seither bei Freunden und Familie geoutet - und stolz. «Tinder hat mir einen Ort gegeben, an dem ich einen Teil von mir zeigen konnte, den ich im realen Leben mit 19 noch versteckt hielt», sagt sie. Die App war für sie der erste Schritt in eine Welt, in der sie sich selbst sein konnte.
Emily ist mit ihrer Erfahrung nicht allein, weiss Gina Potarca. «Dating-Apps können einen sicheren Hafen schaffen», sagt sie. Auf jemanden zuzugehen, sei ohnehin schon ein grosser Schritt, aber für Personen, die zur LGBT-Community gehören, könne dieser Schritt anfangs noch beängstigender sein. Die Soziologin sagt: «Dieser sichere Hafen schafft Platz, die eigene Identität zu erforschen und zu festigen.»
Ich war auf einem DATE!! Und es war gut. So richtig, richtig gut. Wir sind schwimmen gegangen, haben nicht mehr aufgehört zu plaudern. Über Lieblingsbücher, schlechte Filme, peinliche Momente und verkorkste Familien. Es war verrückt, ich hatte bereits nach zwei Stunden das Gefühl, ich würde sie seit Jahren kennen. Sie ist toll. Nicht ich-werde-mich-in-dich-verlieben-toll, sondern einfach nur toll. Und das ist okay. Es liegt nicht an ihr, sondern an mir. Oder besser an einem Menschen in meinem Leben, den ich nicht über Tinder kennengelernt habe. Einen Menschen, den ich auf der Plattform gesucht, aber in keinem Match wiedergefunden habe. Die Auswahl auf Tinder ist unendlich, aber das nützt nichts, wenn das Herz nicht dabei ist. Manchmal kommen Menschen im echten Leben dazwischen. Dennoch werde ich das Date wieder sehen - als Freundin.
Vielleicht verstehe ich erst jetzt nach ein paar Monaten, was diese App ausmacht. Die Menschen, die man kennenlernt, die Verbindungen, die bleiben. Das Wissen, dass alles entstehen kann, aber nichts in ein Raster gedrängt werden muss. Wenn ich auf die Menschen zugehe und über meinen Schatten springe. Sonst wird Tinder nie mehr sein als eine App, von der gemunkelt wird, dass sie für die eine oder andere Seelenverwandtschaft verantwortlich ist. Swipes können zu Freundschaften, der grossen Liebe oder einfach nur zu einem lustigen Abend führen. Wer sind wir zu urteilen, was mehr Wert hat?
Die Namen der meisten Interviewpartnerinnen und -partner wurden auf deren Wunsch geändert. Dieser Artikel wurde als Diplomarbeit am Medienausbildungszentrum MAZ geschrieben.
Nun, genau das fördert Tinder aber. Man muss sich keine Mühe geben, da die Auswahl gross ist. Wie die Expertin ja so treffend formuliert.
Aber das heutige Tinder und jetzt auch noch diese ganzen Filter die nicht einmal mehr erkennt werden. Holy fuck das muss brutal sein. Und wenn man dann noch so mitte 30ig ist, die Zeit am laufen ist und alle immer ein Laster mit sich herum tragen. Nenene, ich bin froh das alles nicht erlebt haben zu müssen.