Mit der Musik verhält es sich ganz ähnlich wie beim Rad: Man kann sie nicht neu erfinden. Gewisse Tonfolgen und Harmonien kommen, besonders innerhalb eines bestimmten Genres, immer wieder vor. Es ist deshalb auch nicht einfach, ein Plagiat als solches zu bestimmen. Wo hört Inspiration auf und wo beginnt das Kopieren?
Der Duden definiert das Wort Plagiat wie folgt: «unrechtmässige Aneignung von Gedanken, Ideen o. Ä. eines anderen auf künstlerischem oder wissenschaftlichem Gebiet und ihre Veröffentlichung; Diebstahl geistigen Eigentums.»
In der amerikanischen Rechtspraxis stehen oftmals zwei Kriterien im Vordergrund: Ein Laie sowie ein Experte müssen die Ähnlichkeit der beiden Werke erkennen können und der des Plagiates Angeklagte muss den Song nachweislich gekannt haben, bevor er seinen schrieb.
In der Schweiz gilt eine ähnliche Gesetzeslage, wie der Experte Emanuel Meyer vom Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum auf Anfrage erklärt: «Gemäss einem Bundesgerichtsentscheid von 1999 liegt eine urheberrechtlich erlaubte, freie Benutzung vor, wenn die übernommenen Teile eines vorbestehenden Werks so bescheiden sind, dass sie im Vergleich zur Individualität des neuen Werks in den Hintergrund treten. Das Bundesgericht verlangte aber keinen Nachweis, dass der Schöpfer des zweiten Werks das erste gekannt hat.»
Kompliziert, oder? Diese Beispiele stehen sinnbildlich für das Plagiats-Chaos, welches in der Musikbranche gang und gäbe ist:
Zum Einstieg gleich ein besonders dreistes Beispiel von Musikklau: Der doch nicht so gute Junge Bushido wurde 2010 vom Hamburger Landesgericht zu 63'000 Euro Schadensersatzzahlungen verurteilt. Kläger war die französische Gothic-Band Dark Sanctuary, die gleich in 16 Tracks des deutschen Skandalrappers ihre eigenen Stücke erkannt hat. Das Landesgericht entschied, dass Bushido bei 13 Titeln von der französischen Band kopiert hat – und zwar ohne deren Einwilligung.
Der Richter beschloss, dass alle elf CDs, auf welchen die Songs zu finden sind, nicht mehr verkauft werden dürfen und bereits verkaufte Platten zurückgerufen und vernichtet werden müssen. Dazu gehörten unter anderem die Songs «Sex in the City», «Bloodsport», «Goldrapper» und «Janine».
Als die Gallagher-Brüder 1994 ihren Song «Shakermaker» veröffentlichten, dauerte es nicht lange, bis die ersten Hörerinnen dachten: «Das kenne ich doch von irgendwo.» Und sie hatten recht – Oasis hatten ihren Refrain vom Hit «I'd Like To Teach The World To Sing» der Band The New Seekers abgeschaut. Ursprünglich hätten sie sogar den ersten Satz des Liedes eins zu eins übernommen – aufgrund des Urheberrechts auf die Lyrics des Liedes liessen sie es dann aber doch sein und sangen stattdessen: «I’d like to be somebody else, and not know where I’ve been.»
Bekannt wurde der Song 1971 – ursprünglich in Form eines Jingles für eine Coca-Cola-Radiowerbung. Weil die Radiostationen dann so viele Anfragen bekamen, doch den ganzen Jingle zu spielen, wurden The New Seekers angeheuert, um einen Song zu produzieren, mit ebendieser Melodie und leicht abgeändertem Text.
Knapp zwei Jahrzehnte später hörte der Coca-Cola-Konzern den Oasis-Song und forderte vor Gericht deshalb 500'000 australische Dollar – umgerechnet über 323'000 Schweizer Franken – Schadensersatz und bekam damit recht.
Der ehemalige Oasis-Gitarrist Paul Arthurs sagte zu einem späteren Zeitpunkt: «Wir haben es abgekupfert, sie hatten also das Recht, uns zu verklagen. Meinetwegen. Leute stehlen von anderen Band und ändern die Lyrics. Wir haben das Gleiche gemacht, aber einen Teil des Textes drin behalten. Wir trinken jetzt Pepsi.»
Led Zeppelin sind notorische Plagiatoren. Die britische Rockband wurde in mindestens fünf Fällen des Liederklaus beschuldigt – zweimal ging die Klage bis vor Gericht. Das «Rolling Stone»-Magazin listet sogar zehn Lieder auf, von denen Led Zeppelin abgekupfert haben soll. Der bekannteste (und absurdeste) Fall ist jedoch folgender:
Im Jahr 2014 erhob die Band Spirit Anklage gegen Led Zeppelin. Der Vorwurf: Ausgerechnet das weltberühmte Intro zu «Stairway to Heaven» soll von «Taurus» kopiert sein, einem Lied von 1970. Spirit behauptete, dass Robert Plant, Leadsänger von Led Zeppelin, das Lied im selben Jahr an einem Konzert in Birmingham gehört hätte. Plant verneinte und verwies darauf, dass er auf dem Nachhauseweg einen Autounfall gehabt habe – und sich deshalb an viele Dinge nicht mehr erinnern könne. Die Jury glaubte ihm nicht, sie kam jedoch zum Schluss, dass sich die beiden Werke nicht ausreichend ähneln.
2018 wurde der Fall durch ein Geschworenengericht neu aufgerollt, weil dem Richter damals ein Fehler unterlaufen war: Er behauptete fälschlicherweise, Tonfolgen von drei Tönen seien nicht urheberrechtlich geschützt. Was besonders überrascht: Der Jury wurde das Original von Spirit gar nie vorgespielt.
Zwei Jahre später wiesen Richter in San Francisco dies jedoch zurück. Es sei richtig gewesen, dass keine Tonaufnahmen gezeigt worden seien, da vor dem Jahr 1976 nur Noten, aber keine Originalaufnahmen urheberrechtlich geschützt gewesen seien – ein verzwickter Fall.
Am besten vergleicht ihr die zwei Stücke aber gleich selbst. (Und schüttelt danach verwundert den Kopf in Anbetracht der amerikanischen Rechtsauslegung.)
John Fogerty war das Songwriting-Genie hinter der Erfolgsband Creedence Clearwater Revival, die im Jahr von Woodstock einen Hit nach dem anderen produzierte. Die Band war beim Musiklabel Fantasy Records gezeichnet – dessen Inhaber war kein Geringerer als der mit drei Oscars ausgezeichnete Saul Zaentz. Mit einem Knebelvertrag sicherte er sich die Rechte an allen Songs der Band. Die Millionen, die sie einspielte, sackte er von da an selbst ein.
Irgendwann löste sich die Band auf und John Fogerty machte sich einen Namen als Solokünstler. Fogertys Kreativität hatte eine neue Muse bekommen: In Liedern wie «Mr. Greed» rechnete er mit seinem alten Boss ab. Darin singt er:
Der beleidigte Manager beschuldigte Fogerty der Verleumdung – die Sache konnte jedoch aussergerichtlich geklärt werden. Damit war aber noch nicht genug: Zaentz sah in einem neuen Lied von Fogerty ein Plagiat und klagte ihn deshalb an. Der Song «The Old Man Down the Road» sollte demnach eine Kopie des Liedes «Run Through the Jungle» sein. Zaentz behauptete also, Fogerty hätte sich selbst plagiiert.
Eine Szene des Prozesses bleibt vielen Rockfans vermutlich für immer in Erinnerung: John Fogerty sitzt mit seiner Gitarre im Schoss da und versucht zu erklären, was eigentlich bereits klar ist: Natürlich hören sich die zwei Stücke ähnlich an, wenn sie von ein und derselben Person geschrieben und performt wurden. Trotzdem handle es sich dabei um zwei eigenständige Werke, meint der Songwriter – und die Jury gab ihm recht.
Im Jahr 2004 übernahm das Label Concord Fantasy Records – Fogerty erhielt die Rechte an seiner Musik jedoch noch nicht zurück. Erst vor Kurzem ist er mit einem Angebot in unbekannter Höhe auf das Label zugegangen und hatte Erfolg. John Fogerty besitzt ein halbes Jahrhundert später endlich die Mehrheit der Rechte an seinen Songs. Auf Twitter teilte er seine Freunde mit den Fans.
I have been waiting my entire career for this moment, and I am honored to share it with my family and with you! It’s finally done! pic.twitter.com/5K1Np7GIdi
— John Fogerty (@John_Fogerty) January 13, 2023
Das Beispiel Kraftwerk gegen Pelham ist gleich aus zwei Gründen speziell: Erstens, weil er seit 1999 andauert und niemals zu enden scheint und zweitens, weil es dabei um Sampling geht – beim strittigen Plagiat handelt es sich nämlich um eine bloss zweisekündige Sequenz des Songs «Metall auf Metall». Sampling ist eine vor allem im Hip-Hop gängige Methode, kurze Sequenzen eines Liedes für ein neues Werk zu benutzen. Man nimmt den Beat, den Rhythmus, die Melodie oder auch die Lyrics eines Songs und manipuliert diese dann, um sie auf kreative Art und Weise in die eigene Musik einzubauen, beispielsweise als Loop (Endlosschleife).
Doch von vorne: Kraftwerk war eine deutsche Musikgruppe, die es als erste Band mit elektronischer Musik in die Charts schaffte. 1977 veröffentlichte die Düsseldorfer Band einen Song namens «Metall auf Metall». 1997 – also zwanzig Jahre später – hat der Musikproduzent Moses Pelham daraus ein Sample genommen und für den Track «Nur mir» mit der Rapperin Sabrina Setlur wiederverwendet.
Dass Pelham dafür nicht um Erlaubnis gebeten hat, soll sich als fataler Fehler herausstellen – es folgt nämlich ein über zwei Jahrzehnte andauernder Rechtsstreit, um die Frage zu klären, ob das Sampling der zweisekündigen Sequenz rechtmässig war. Die Schwierigkeit dabei ist, dass sich die entsprechende Rechtslage inzwischen bereits mehrmals geändert hat. Seit 1999 wurden zehn Urteile gefällt, trotzdem ist der Entscheid noch nicht endgültig. Sogar der Gerichtshof der Europäischen Union und das Bundesverfassungsgericht haben sich mit dem Fall befasst – das deutsche Urheberrecht wurde infolgedessen mehrfach überarbeitet. Im April 2022 hat das Oberlandesgericht Hamburg zugunsten Pelhams entschieden – hat das Urteil jedoch für Revisionen durch den Bundesgerichtshof offen gelassen. Es ist theoretisch also trotzdem möglich, dass der Fall nochmals aufgerollt wird.
Pelham behauptete während der Prozesse, er habe das Sample einem Tonarchiv entnommen, ohne zu wissen, von wo es stamme. Er betont die Wichtigkeit von Sampling: «Hip-Hop ist ohne Sampling nicht möglich. Es gibt keine Kunst im luftleeren Raum, es geht immer um die Auseinandersetzung mit anderer Kunst.»
Warner Music hat daraufhin die Herausgabe der Einnahmen für dieses Video gefordert. Begründung: Das Video beinhalte die Melodie von Dark Horse.
Warner hat also versucht:
a) mit einem Palgiatsvorwurf Geld zu machen
b) für ein Lied, für das sie (zu dem Zeitpunkt) gar kein Urheberrecht hatten
c) gegenüber jemanden, der sich für sie eingesetzt hat
Plagiat ist Plagiat.
Egal ob Samling (sic) oder nicht! 😄