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Rolling Stones und Mick Jagger: So ist das neue Album Hackney Diamonds

Heiliger Bimbam! Ist Mick Jagger plötzlich religiös geworden?

Der Gospelsong «Sweet Sounds Of Heaven» ist das Glanzstück auf dem neuen Album «Hackney Diamonds» der Rolling Stones. Ein Musik gewordenes Gebet.
17.10.2023, 04:3517.10.2023, 04:35
Stefan Künzli / ch media
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Mick Jagger im Video für den Song «Saint of Me» (1998).
Mick Jagger im Video für den Song «Saint of Me» (1998).Bild: Virgin/EMI

Fans der Rolling Stones dürfen sich freuen. «Hackney Diamonds», das 24. Studioalbum (26. in den USA) der Ur-Rocker, das am Freitag erscheinen wird, erfüllt die hohen Erwartungen. Es ist ein vorzügliches Spätwerk, das zu den besten Werken der britischen Band (ausführliche Besprechung folgt zum Release) gezählt werden kann. Das Glanzstück des Albums, «Sweet Sounds Of Heaven», ist bereits veröffentlicht worden. Ein gut siebenminütiger Gospelsong mit einer herausragenden Gesangs-Performance von Lady Gaga sowie Soullegende Stevie Wonder an der Mundharmonika. Jagger und Gaga teilen sich den Gesangspart und singen eindringlich, emotional und voller Inbrunst.

«Sweet Sounds Of Heaven» ist eine Gospelhymne von relativ traditionellem Format, ein Musik gewordenes Gebet für die Welt. «Ich höre die süssen, süssen Klänge des Himmels. Ich rieche die süssen Düfte des Himmels», singt Jagger, «segnet den Vater, segnet den Sohn, hört den Klang der Trommeln. Wie sie durch das Tal widerhallen und sich brechen. Lasset keine Frau, kein Kind heute hungrig zu Bett gehen. Bitte schütze uns vor Pein und Schmerz.»

Die Antwort auf «Sympathy For The Devil»

Mick Jagger ist am 26. Juli dieses Jahres 80 alt geworden. Ist der alternde Mick Jagger, in der Spätphase seines Lebens, plötzlich gläubig geworden? Oder überhaupt: Wie hast du es mit der Religion, Mick? Ist «Sweet Sound Of Heaven» mit seinem Bekenntnis zu Gott und Jesus so etwas wie die Antwort, auf «Sympathy For The Devil»? Ein Korrektiv?

1968 auf dem epochalen Album «Beggars Banquet» schlüpfte Jagger in die Rolle des Teufels. «Ich freue mich, Sie kennen zu lernen. Ich hoffe, Sie haben meinen Namen erraten.» Jaggers Teufel des 20. Jahrhunderts war ein kultivierter, gut gekleideter, verführerischer Herr mit besten Manieren. Aber nicht weniger böse und niederträchtig als jener Teufel mit Hörnern, Ziegenbart, Schwanz und Dreizack.

Die Rolling Stones waren damals Rebellen und galten als die bösen, ungehobelten Buben. Sie eckten in konservativen Kreisen an und kultivierten selbst dieses Image. Insofern war «Sympathy For The Devils» auch eine Provokation. Aber für konservative Kreise war der Song ein gefundenes Fressen, um die verhasste Band mitsamt der sündigen Rockmusik in die diabolische Ecke zu stellen. Umgekehrt haben sich auch Satanisten direkt auf dieses Lied bezogen.

Aber «Sympathy For The Devil» ist ein grosses Missverständnis. Weder Jagger noch die Stones hatten je Sympathien für das Diabolische gehegt. Gemeint war die Gesellschaft als Ganzes, die gemäss Jagger anfällig für das Böse ist, Seele und Glauben verloren hat. «Wer hat die Kennedys ermordet?», fragt Jagger und liefert die Antwort gleich selbst: «Es waren du und ich.» Jagger beschreibt den klassischen christlichen Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen, das in jedem Menschen steckt: «So wie jeder Polizist ein Krimineller ist. Und alle Sünder auch Heilige.»

Eigentlich ist der Text unmissverständlich. Der Teufel wird als Urheber des Bösen dargestellt. Trotzdem wurde er von radikalen Kreisen instrumentalisiert, weshalb die Stones den Song auf Tour jahrelang nicht spielten.

Jagger liebt Gospelmusik und Aretha Franklin

Mick Jagger ist sehr religiös in einer äusserst konservativen anglikanischen Kirche erzogen worden. Eine Bindung zur Kirche hat er wohl deshalb nie gehabt und nie entwickelt. Aber er liebt Gospelmusik und Aretha Franklin. Im Film «Amazing Grace», der 1972 in einer Gospelkirche mit Aretha Franklin gedreht wurde, sehen wir Jagger im Publikum begeistert klatschen.

Und Jagger hat sich immer mit philosophischen, spirituellen und religiösen Fragen auseinander gesetzt, die auch zunehmend in Songs eingeflossen sind. Zum Beispiel in «Saint Of Me» aus dem Album «Bridges Of Babylon» von 1998. Im Song geht es um Menschen wie den Heiligen St. Augustinus und den Heiligen St. Paulus, die zum Christentum konvertierten und sich dazu berufen fühlten, das Evangelium in die Heidenwelt zu tragen. Dabei endet der Song mit dem Satz, dass man aus ihm nie einen Heiligen machen könne.

In seinem Soloalbum «Goddess in the Doorway» («Göttinnen im Türrahmen») von 2001 ist er intensiv «auf der Suche nach Wahrheit», ohne sie freilich zu finden. Auch «God Gave Me Everything» ist nicht so eindeutig, wie der Titel vermuten lässt. Die Text betont vielmehr die Idee, dass wir alle mit etwas verbunden sind, das grösser ist als wir selbst. Und dass die Anerkennung dieser Verbindung ein tiefes Gefühl von Sinn und Erfüllung hervorrufen kann.

Seinen eigenen Glauben geschaffen

Jagger ist weder Teufel noch Heiliger. Und sicher auch kein Missionar in Sachen Christentum. «Ich glaube nicht an das Heilige Buch. Wie die meisten Engländer bin ich kein grosser Gläubiger», sagte Jagger noch 2007 in einem Interview mit «The Independent». Er habe «mehr Ehrfurcht vor dem Universum.»

Jagger hat sich seinen eigenen Glauben, seinen eigenen Herrn und seinen eigenen Jesus geschaffen. Wie wohl heute die meisten Menschen im Westen. Wie im Song «Joy» ist sein Jesus, nicht so, wie in der Bibel und der Kirche beschrieben. Sein Jesus zündet zuerst mal eine Zigarette an. So ist wohl auch sein Bekenntnis in «Sweet Sounds Of Heaven» zu verstehen. Auch in Sachen Glauben ist der Stones-Boss im Mainstream der Gesellschaft angekommen. (aargauerzeitung.ch)

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Die Rolling Stones rocken den Letzigrund
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Die Rolling Stones rocken den Letzigrund
Mick Jagger begeisterte die 48'000 Zuschauer im Zürcher Letzigrund.
quelle: epa/keystone / walter bieri
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Für viele noch immer die beste Band der Welt
Video: srf
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