Vor knapp drei Jahren nahm eine kaltblütige Jugendliche die Popkultur in eisernen Würgegriff. Damals, im November 2022, veröffentlichte Netflix die erste Staffel der Serie «Wednesday». Deren titelgebende Hauptfigur: Wednesday Addams, die Tochter der makabren Addams-Familie, bekannt aus Cartoons, Filmen und Serien.
Nur war die Wednesday der Netflix-Serie kein Zöpfchen tragendes Mädchen, sondern eine Zöpfe tragende 16-Jährige mit unheimlichem Selbstbewusstsein und fiesen Martial Arts-Kicks. Rein optisch eine Black-Metal-Version von Greta Thunberg, die aber statt zu schwänzen ein paar Zauberflüche brach und so eine magische Schule voll Werwolf- und Sirenen-Teenagern rettete.
Die Serie schlug so überraschend ein, wie ihre Hauptfigur Gegner plattmacht. Keine Netflix-Serie wurde in der ersten Woche mehr gesehen als «Wednesday», keine englischsprachige Netflix-Serie je mehr gestreamt. Die Figur Wednesday, gespielt von der jungen Jenna Ortega, ging viral, wurde zur Ikone. Ortega selbst wurde zum Star.
Wenige Monate nach Erscheinen von «Wednesday» kündigte Netflix eine zweite Staffel an. Die erste Hälfte davon ist heute Mittwoch (an einem Wednesday, wann sonst) erschienen. Was kann sie?
In einem Interview mit dem Magazin «Harper’s Bazaar» hatte die Hauptdarstellerin Jenna Ortega gesagt: «Die zweite Staffel ist grösser, gewagter, blutiger und auch ein bisschen düsterer. Sie ist alberner in der bestmöglichen Weise.» Nach den ersten vier Folgen ist klar, dass Ortega Recht hat – aber auch, dass das nicht unbedingt eine gute Sache ist.
Die erste Staffel hatte sich noch fast ausschliesslich auf die Hauptfigur Wednesday konzentriert. Darauf, wie ihre Eltern sie auf die Hogwarts-ähnliche Schule Nevermore Academy schicken; wie Wednesday dort erst leidet, dann aber Abenteuer und Coming-of-Age erlebt. Die übrigen Mitglieder der Addams-Familie spielten dabei zwar nur Nebenrollen. Dafür konnte man mit Zug erzählen.
Nun will die zweite Staffel offenbar beides: den «Harry Potter»-Vibe und die Addams-Familiendynamiken. Auch die neuen Folgen spielen in der Nevermore Academy, ein neues Schuljahr hat begonnen. Wednesdays jüngerer Bruder Pugsley ist neu auch Nevermore-Schüler, die Eltern Morticia und Gomez werden mit losen Erzählsträngen (der neue Rektor will sie für Fundraising einspannen) ebenfalls an den Schauplatz Schule gebunden.
Das führt dazu, dass die knapp 60 Minuten pro Folge schlicht zu wenig sind, um allen Figuren und neu ausgelegten Handlungssträngen gerecht werden zu können. Da sind schwierige Eltern-Kind-Beziehungen, Eifersüchteleien zwischen den pubertierenden Schülerinnen und Schülern, da ist Wednesday, die nach ihrer Identität sucht, und da sind mehrere mysteriöse Morde, die aufgeklärt werden wollen.
So scheint diese zweite Staffel in ihren ersten Folgen nicht wirklich zu wissen, wohin mit sich. An charmanten, grusligen und schrulligen Ideen mangelt es nicht (wie schon bei der ersten Staffel ist Tim Burton Produzent und Regisseur einzelner Folgen), aber an der Auswahl derselben.
Damit droht «Wednesday» ein ähnliches Schicksal, wie es viele Serien in ihren zweiten und dritten Staffeln erleiden müssen: Eine eigentlich schon auserzählte Geschichte (die erste Staffel) wird dem Form-Diktat der Gegenwart (der Serie) unterworfen. Behängt mit neuen Figuren und Intrigen, die nur halb interessieren, aber insgesamt eine neue Staffel ergeben. Doch vielleicht sortiert sich bei «Wednesday» auch noch alles – in der zweiten Hälfte dieser zweiten Staffel.
Wednesday: Die ersten vier Folgen der zweiten Staffel und die ganze erste Staffel sind verfügbar auf Netflix. Die übrigen vier Folgen der zweiten Staffel erscheinen am 3. September. (aargauerzeitung.ch)