Die Tage werden kürzer und die Temperaturen sinken. Die kältere Jahreshälfte schlägt vielen aufs Gemüt. Man liest Begriffe, wie End-of-Summer-Depression oder Winterblues oder Herbst-Blues. Doch was bedeutet das eigentlich?
Wir haben den Experten Prof. Dr. med. Gregor Hasler gefragt, was es mit dem Phänomen auf sich hat und wie es sich von einer saisonalen Depression unterscheidet.
Stimmt es, dass wir im Herbst und Winter schlechter gelaunt sind?
Gregor Hasler: Es ist allgemein bekannt, dass Depressionen und depressive Verstimmungen auf den Herbst und Winter hin zunehmen. Dies kann man überall auf der Welt beobachten, wo es Jahreszeiten gibt.
Woran liegt das?
Das weiss man nicht genau. Es hat sicher etwas mit dem Licht zu tun – im Herbst und Winter ist der Mensch normalerweise weniger Tageslicht ausgesetzt, das eine belebende Wirkung hat und unsere innere Uhr stellt. Studien zeigen, dass nicht die absolute Menge des Lichts ausschlaggebend ist, sondern auch der Fakt, dass die Tage wieder kürzer werden. Und auch das Sozialleben hat einen Einfluss – dies nimmt für gewöhnlich eher ab, wenn es wieder kälter wird.
Abschliessend geklärt ist das jedoch nicht. Und es gibt grosse Unterschiede – die einen spüren die Jahreszeiten stark und andere gar nicht.
Wie unterscheidet sich eine saisonale Depression vom August-Blues?
Bei einer saisonalen Depression müssen während einer bestimmten Jahreszeit starke, sehr deutliche Symptome vorliegen für eine Diagnose. Typische Symptome sind hierbei ein gesteigertes Bedürfnis nach Schlaf und eine Zunahme des Appetits – das erinnert an einen Winterschlaf, der vermutlich der evolutionäre Vorgänger der Herbst-/Winter-Depression ist. Beim August-Blues wären die Symptome weniger schlimm und würden den oder die Betroffene nicht in seinem oder ihrem Alltag einschränken.
Was wäre beispielsweise ein Symptom einer richtigen, klinischen Depression?
Wenn man zum Beispiel während mindestens zwei Wochen keine Freude mehr hat an Dingen und Aktivitäten, die einen sonst erfüllen. Wenn man also während über zwei Wochen merkt, dass man seinen Hobbys nicht mehr nachgehen mag, seine Freunde nicht mehr treffen möchte und morgens Mühe hat aus dem Bett zu kommen, könnte eine Depression vorliegen.
Wie gelingt es, zwischen den beiden Krankheitsbildern zu unterscheiden?
Wichtig zu wissen ist, dass Depressionen auf einem Spektrum verlaufen – für eine Diagnose relevant ist deshalb vor allem das Ausmass des Unwohlseins. Wenn jemand sagt, er habe einfach vermindert Lust auf Dinge, die ihm sonst Freude bereiten, ist das noch kein depressives Symptom. Das Ausmass der Symptome entscheidet letztendlich darüber, ob es sich beim Patienten um eine Depression oder bloss eine depressive Verstimmung handelt.
Also verstehe ich richtig: August-Anxiety, End-of-Summer-Depression und Herbstblues sind keine klinischen Begriffe und fallen damit unter eine depressive Verstimmung?
Na ja, das Problem hier ist, dass diese Begriffe relativ weit gefasst sind. Es gibt Patienten, die benutzten einen der genannten Begriffe, um ihre Depression zu beschreiben. Die Begriffe kommen aber nicht aus der Psychiatrie, sondern beschreiben viel eher eine Gefühlslage, von welcher viele Menschen betroffen sind und die meistens keine Therapie erfordert. Somit könnte man sie also zu einer depressiven Verstimmung hinzuzählen.
Welche Fragen stellen Sie einer Patientin, um herauszufinden, unter welcher Form von Depressionen sie leidet?
Folgende Fragen sind zentral:
Worauf kommt es sonst noch an?
Ebenfalls wichtig ist, welche Auswirkungen die Symptome auf den Alltag des Patienten hat: Wenn dieser nicht mehr richtig arbeiten kann oder seinen Aufgaben nachgehen, ist dies natürlich drastischer, als wenn sich der Patient trotz Verstimmung noch zusammenreissen kann.
Wie stellt man die Diagnose «Depression» fest?
Damit jemand mit einer Depression diagnostiziert werden kann, muss er fünf von neun Symptomen erfüllen. Diese Symptome sind DSM-5, dem Klassifikationssystem für psychiatrische Diagnosen, festgelegt. Für den Schweregrad der Depression, also ob leicht, mittel oder schwer, ist die Auswirkung auf den Alltag ausschlaggebend.
Was ist mit jenen, die durch den Raster der Depression durchfallen?
Es gibt natürlich viele Menschen, die nicht direkt mit einer Depression diagnostiziert werden und trotzdem leiden. Solche Patienten sind dann subsyndromal depressiv – ihre Symptome reichen nicht aus für eine Diagnose. Doch auch hier ist Vorsicht geboten, weil Menschen mit depressiven Symptomen ein grösseres Risiko haben, in eine wirkliche Depression zu rutschen. Deshalb geben Therapeuten dann Ratschläge, wie man seine Stimmung verbessern kann, und macht je nach Risiko gleich eine weitere Sprechstunde in einigen Wochen ab.
Wie sehr hängt eine Diagnose vom Arzt davon ab, was der Patient sagt?
Die Wahrnehmung der eigenen Stimmung ist immer unterschiedlich. Es gibt eher empfindliche Menschen, die bereits ein kleines Stimmungstief bemerken und sich deswegen Sorgen machen und zum Therapeuten kommen. In der Psychiatrie fühlt man sich auch für Patienten verantwortlich, die nicht in den Raster gehören – man will schliesslich allen helfen. Dass man jedoch nicht jeden Tag die beste Laune hat und Lust auf alles, was man erledigen muss, ist normal und gehört zum Leben dazu.
Wer leidet unter Depressionen?
Etwa vier bis fünf Prozent der Bevölkerung leidet unter Depressionen, davon leidet nur etwa ein Prozent unter einer saisonalen affektiven Störung, also einer Depression, die ausschliesslich zu bestimmten Jahreszeiten – meistens Herbst oder Winter – auftritt. Von einer gedrückter Stimmung um die kalte Jahreszeit herum sind schätzungsweise etwa 50 Prozent der Menschen betroffen. Hierzu gibt es jedoch keine konkreten Zahlen.
Wie kann man einer depressiven Verstimmung vorbeugen?
Man sollte nicht mit der gedrückten Stimmung mitziehen, sondern versuchen, dagegen zu wirken. Wenn es wieder kälter wird, geht man weniger nach draussen und trifft vielleicht auch weniger oft seine Freunde. Da gerade das Tageslicht einen grossen Einfluss auf die Symptome hat, sollte man genug nach draussen gehen, beispielsweise für einen halbstündigen Spaziergang.
Auch wenn man nicht wirklich Lust hat auf sein wöchentliches Tennistraining oder den Kaffee mit Freunden, sollte man sich überwinden, trotzdem hinzugehen, um seine Stimmung etwas anzuheben. Ebenfalls wichtig ist ausreichender, erholsamer Schlaf – dafür sollte man abends Alkohol, Kaffee und üppige Mahlzeiten vermeiden.
Wann sollten Betroffene des August-Blues sich professionelle Hilfe suchen?
Wenn das Leben eingeschränkt wird und man in seiner Freizeit oder beim Job nicht mehr seinen Aufgaben nachgehen kann, sollte man sich professionelle Hilfe suchen. Wenn die schlechte Stimmung eine Person jedoch beschäftigt und stört, kann man sich natürlich auch zu jedem früheren Zeitpunkt an einen Therapeuten wenden – diese Entscheidung liegt im Ermessen der Betroffenen.
An alle denen es vielleicht genau so geht: Ihr seid nicht allein und unser Licht durchbricht jede Stille💜