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Holy Spider: Iranischer Prostituierten-Mörder wird zum Märtyrer verklärt

Holy Spider
Der Blick des Killers. Mehdi Bajestani spielt den Familienvater, Bauarbeiter und Fanatiker Saeed Azimi.Bild: xenixfilm
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Ein iranischer Prostituierten-Mörder wird zum Märtyrer verklärt

Der Spielfilm «Holy Spider» zeigt die Geschichte des prominentesten iranischen Serienmörders und seiner Opfer. Sie hat auch mit den Protesten der Frauen von heute zu tun.
12.01.2023, 08:5413.01.2023, 10:54
Simone Meier
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Er tötet 16 Frauen, dann wird er verhaftet. Weitere 80 hatte er im Visier. Seine Opfer sind Prostituierte, arm, die meisten von ihnen Junkies. Für ihn sind sie keine Menschen. In einem langen Interview, das er vor seiner Hinrichtung gibt, erzählt er, dass er mehr Mühe hätte, ein Huhn zu töten als eine Prostituierte. Sein Sohn – er ist noch ein Kind – sagt, dass die Strassen genauso von Prostituierten gereinigt werden müssen wie ein Haus von Kakerlaken.

Der Mann heisst Saeed Hanaei und ist der berühmteste Serienmörder des Irans. Zwischen Juli 2000 und Juli 2001 ist der Bauarbeiter und Kriegsveteran in der heiligen Stadt Maschad als Killer unterwegs, er gibt sich als Freier aus, lockt die Frauen in leere Gebäude oder seine eigene Wohnung und erwürgt sie. Dann legt er die Leichen irgendwo ab. Man nennt ihn «die Spinne», weil er seine Opfer so gezielt in eine Falle lockt wie ein Achtbeiner. Nach seinem zehnten Opfer geht zufälligerweise die Dürrezeit zu Ende. Hanaei versteht den einsetzenden Regen als Zuspruch von Gott.

Dokumentation des Schreckens

2004 erscheint der Dokumentarfilm «And Along Came a Spider» des persisch-kanadischen Filmemachers und «Newsweek»-Reporters Maziar Bahari. Er führte das Interview mit Hananei, bevor dieser erhängt wurde. Er spricht mit Eltern und Kindern der Opfer und mit Prostituierten selbst. Zeigt die fatalen Folgen von religiösem Fanatismus, Frauenhass und mangelnder Bildung.

Shrine of Imam Reza, Mashad, Iran, Middle East PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright: RobertxHardingxProductions 1-8431

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Der Imam-Reza-Schrein von Maschad ist die grösste touristische Sehenswürdigkeit in Iran.Bild: imago stock&people

Bahari redet mit einer 18-Jährigen, die von ihrem Vater brutal misshandelt wurde, der ihr Arme und Beine brach, und die als Teenager von ihrem drogensüchtigen Gatten auf die Strasse geschickt wurde. Von der Polizei wurde sie wiederholt verhaftet und einmal zu 180 und dann zu 300 Peitschenhieben verurteilt. Beim ersten Mal habe es weh getan, sagt sie, beim zweiten Mal nicht mehr, da sei ihre Haut vor lauter Narben schon ganz dick gewesen. Sie ist sich sicher, dass sie bei ihrer nächsten Verhaftung exekutiert wird. Es ist ihr egal. Ihr Leben ist schon lange vorbei.

5000 Prostituierte kamen damals in Maschad auf 3 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner, fünf Minuten dauerte die längste Wartezeit einer Frau auf einen Freier, so gross war die Nachfrage. Das Geschäft mit dem im Islam streng Verbotenen war lebensgefährlich, aber eine garantierte Einkommensquelle.

Trailer zu «Holy Spider»

Ein Vater gesteht Bahari, dass er seine Tochter mit zehn verheiratet und zugeschaut habe, wie sie mit zwanzig und als sechsfache Mutter auf die Strasse ging, weil ihr Mann sein Geld für eine neue Frau brauchte. Auf der Strasse wurde sie zum Opfer der Spinne.

Die Kinder einer anderen Ermordeten ernähren und erziehen sich gegenseitig, es ist herzzerreissend, ihnen zuzuhören. Für Tausende ist Hanaei ein Märtyrer, der das gesellschaftlich Richtige wollte und tat. Gegen seine Verurteilung erheben sich Volksproteste. «And Along Came a Spider» gibt es auf YouToube zu sehen. Danach möchte man nur noch weinen und erbrechen.

Eine moderne Frau in einer Welt von vorvorgestern

Als Hanaei 2000 mit Morden begann, war der Teheraner Ali Abbasi 19 Jahre alt und Hanaei grundierte den Anfang seiner Studentenzeit mit Schrecken. 2002 wanderte Abbasi nach Dänemark aus. Und deshalb gilt «Holy Spider», Abbasis Spielfilm über die Spinne, der jetzt auf der Oscar-Shortlist für den besten fremdsprachigen Film steht und in Cannes den Preis für die beste Schauspielerin gewonnen hat, als dänischer Film.

Holy Spider
Das französische Filmplakat von «Holy Spider»: Der Teppich spielt im Film eine schaurige Nebenrolle.Bild: xenixfilm

Erneut folgen wir dem «Dschihad gegen die Sittenlosigkeit», wie Saeed (er heisst jetzt nicht Hanaei, sondern Azimi) dies nennt. Jetzt ist die Geschichte fiktionalisiert und in einen Thriller verpackt, dessen Unheimlichkeit nicht nur in den Verbrechen selbst liegt. Abbasi hat als Filmemacher viel von Dänemark gelernt, vom gnadenlosen kriminalistischen Naturalismus dänischer Serien etwa, mit deren filmischen Mitteln er gekonnt spielt.

Maschad, dessen nächtliche Strassen selbst wie ein glitzerndes Spinnennetz die Landschaft überziehen, ist in düsteren, aber satten Farben des Nordic Noir gemalt. Man wartet nur darauf, dass da eine hartgesottene, eigensinnige Ermittlerin wie Saga Noren oder Sarah Lund auftaucht, und da ist sie auch schon in Gestalt der jungen, zähen Investigativ-Journalistin Rahimi (Zar Amir-Ebrahimi), für die keine Schlagzeile zu scharf sein kann.

epa09968443 (L-R) Mehdi Bajestani, Zar Amir Ebrahimi and director Ali Abbasi attend the photocall for 'Holy Spider' during the 75th annual Cannes Film Festival, in Cannes, France, 23 May 202 ...
Mehdi Bajestani (Saeed), Zar Amir Ebrahimi (Rahimi) und Regisseur Ali Abbasi (von links) im vergangenen Mai in Cannes.Bild: keystone

Rahimi ist die Figur, die uns an die Hand nimmt und hineinzieht in die schaurige Vergangenheit von Maschad. Sie ist eine moderne Frau in einer Welt von vorvorgestern. Dauernd verrutscht ihr das Kopftuch, das sie noch nie tragen wollte, aber muss. Einzig in der Sicherheit ihres Hotelzimmers darf sie sich verwandeln, darf ihr Haar befreien und Jeans und T-Shirt tragen, aber auch nur, wenn sie allein ist. In ihr künden sich die künftigen Proteste an, genau so, wie die Spinne ein Vorläufer der Sittenpolizei ist.

Drastisch dargestellte Morde

Die Spinne selbst hat ein inniges Verhältnis zu den Medien, nach jedem Mord meldet sie sich bei einer bestimmten Zeitung und verrät den Fundort der neusten Leiche, und nichts liebt sie mehr als die mediale Spiegelung ihrer Taten. Die Darstellung der Morde selbst ist drastisch. Die Differenz zwischen Familienalltag und blutigem Feldzug ist grauenvoll, und wo sich Überschneidungen ergeben, wird es unerträglich spannend. Ehesex in Gegenwart einer Leiche ist ebenso prekär wie pervers.

Holy Spider
Vater Saeed (in Gefängniskleidung) und Sohn Ali sind sich einig, dass ein Prostituierten-Mord eine gute Tat ist.Bild: xenixfilm

Am monströsesten ist jedoch das Aufbranden der Solidarität mit Saeed, die selbstgerechte Bigotterie, die Frauen, Männer, Kinder, aber auch weite Teile der Behörden angesichts der Toten ergreift. Und Saeeds unerschütterliche Überzeugung, dass er richtig gehandelt habe. Er versteht sich als Partner der Polizei, und so ganz vermag dieser Verdacht nie aus der Welt geschafft zu werden.

«Holy Spider» ist ein perfekter Thriller, True Crime noch dazu, aber vor allem ist es ein erschütternder Film, der uns in seinen feineren Details sehr viel über ein Land und seine Frauen lehrt. Über ihre Geschichte, ihr Elend, ihren Mut und über ihre tausend guten Gründe, heute im Andenken an Mahsa Amini und all die früheren und späteren Toten um ihr Recht und ihr Land zu kämpfen.

«Holy Spider» läuft ab dem 12. Januar im Kino.

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Die Gesichter des Protestes gegen das Regime in Iran
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Der Auslöser für die Proteste war der Tod der jungen Kurdin Mahsa Amini. Die 22-Jährige starb wohl, weil sie ihr Kopftuch nicht so getragen hatte, wie die iranischen Mullahs und das iranische Gesetz es für Frauen vorsehen. Die genauen Umstände ihres Todes sind noch unklar. Amini wurde zu einer Ikone im Kampf für Freiheit.
quelle: keystone / abedin taherkenareh
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Nie dagewesene Bilder aus dem Iran: Schulmädchen gehen auf die Strasse
Video: watson
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13 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Gandalf-der-Blaue
12.01.2023 10:56registriert Januar 2014
Dass der Film von Menschen produziert wurde, die diese Welt aus eigener Sicht kennen, verleiht der Botschaft über dieses überaus Frauenverachtende System enorme Glaubwürdigkeit. Und der Film macht deutlich unter welchen Umständen die Menschen im Iran derzeit für mehr Freiheit kämpfen - welch toxischen Rahmen dort die Vermischung von Religion, Fanatismus und totalitärem Regime bilden. Machen wir uns immer von neuem bewusst, welchen Wert die Meinungs-, Bewegungs- und Gestaltungsfreiheit in unserer Kultur hat und wie sehr wir dazu sorgen tragen müssen. All dies ist nicht selbstverständlich!
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NullAchtFünfzehn
12.01.2023 12:55registriert März 2020
Danke, haben Sie sich diesen wichtigen Film für uns angeschaut, Frau Meier. Ich könnte das nicht.
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