120 Millionen Franken der «Lex Netflix»: Diese Schweizer Filme und Serien haben profitiert
Die Rechnung war einfach: Mehr Gelder sollten mehr Filme generieren. Das jedenfalls versprachen sich die Promotoren des neuen Filmgesetzes, über das im Frühjahr 2022 abgestimmt wurde und das per Anfang 2024 in Kraft getreten ist. Seitdem müssen Fernseh- und Streamingdienste mindestens 4 Prozent ihrer Bruttoumsätze ins Schweizer Filmschaffen investieren.
Am Rande des Filmfestivals Locarno zieht das Bundesamt für Kultur (BAK) nun eine erste Bilanz zur sogenannten «Lex Netflix». Und die fällt aus dessen Optik durchaus positiv aus: «Es ist ein neue Finanzierungsquelle für Filme und andere audiovisuelle Formate», sagt der Dossierverantwortliche Erdem Karademir im Gespräch. «Und es kommen neue Akteure ins Spiel, die neue Schweizer Inhalte generieren für ihre hiesige Präsenz.»
Über 70 Unternehmen haben sich pflichtbewusst bis zum vorgegebenen Datum per Ende März 2024 registriert. Das Gros der Unternehmen konnte sich aber von der Investitionspflicht befreien lassen, weil sie etwa weniger als 2,5 Millionen Franken Umsatz mit Filmen generieren oder weil sie pro Jahr weniger als 12 Filme zeigen. Zu befreiten Firmen gehören etwa viele kleine Kabelnetzbetreiber.
Letztlich gibt es heute 21 investitionspflichtige Firmen, wie es beim BAK heisst. Darunter befinden sich natürlich die grossen, international ausgerichteten US-Streamingdienste wie Netflix, Sky oder Disney+, die dem Gesetz seinen Namen gegeben haben. Investitionspflichtig sind aber auch global tätige IT-Unternehmen mit Sitz in Europa und den USA, die als Nebentätigkeit Filme anbieten, wie Apple oder Google, sowie europäische Fernsehsender wie der französische Privatsender TF1. Aber auch Schweizer Firmen müssen neu in Filme und Serien investieren, darunter auch die Swisscom mit ihrer Blue-Gruppe sowie private Sender und Streamingdienste, wie jene des Medienunternehmens CH Media, das auch dieses Portal herausgibt.
Im 2024 wurde nur die Hälfte ausgegeben
Insgesamt haben diese Unternehmen 2024 gemäss BAK-Angaben einen für die Berechnung der Filmfördergelder «massgebenden Umsatz» von 752 Millionen Franken erwirtschaftet. Daraus ergibt sich laut dem BAK eine «Investitionspflicht» von 30,1 Millionen Franken für das vergangenen Jahr. Bleiben die Umsätze der besagten 21 Unternehmen mehr oder weniger konstant, resultiert für die Vier-Jahres-Periode ein Geldtopf von rund 120 Millionen Franken.
Von den 30,1 Millionen Franken wurden aber bis anhin nur 15,9 Millionen Franken ausgegeben, wie Karademir präzisiert. Davon flossen 9,3 Millionen Franken in die Filmproduktion, das heisst in die Erstellung von Filmprojekten, aber auch in Koproduktionen oder in den Kauf von Lizenzrechten. Weitere 4,9 Millionen Franken wurden von den Fernsehsendern als «Sachleistungen» bezahlt, namentlich mittels der Bewerbung von Filmen. 1,3 Millionen Franken gingen an Filmfestivals zur «Stärkung der Filmkultur», wie es heisst. Und schliesslich wurden 0,4 Millionen Franken für Urheberrechte an Verwertungsgesellschaften ausbezahlt.
Mit den Zusatzgeldern wurden mehrheitlich fiktionale Kinofilme wie etwa «Early Birds» des Schweizer Regisseurs Michael Steiner sowie Serien mitfinanziert, wie etwa mehrere Staffeln von «Tschugger». Hier engagierten sich die grossen US-Streamingdienste Netflix respektive Sky. Aktiv ist auch die Swisscom-Tochter Blue, die bei vier der neun Produktionen auf der vom BAK erstellten Liste beteiligt ist.
9 Produktionen profitierten von der Lex Netflix
- «Alpha», Spielfilm von Jan-Willem van Ewijk, mit Geldern von der Swisscom-Tochter Blue.
- «Early Birds», Spielfilm von Michael Steiner, mit Geldern von Netflix.
- «Landesverräter», Spielfilm von Michael Krummenacher, mit Geldern von der Swisscom-Tochter Blue.
- «Mutterglück», Spielfilm von Johanna Moder, mit Geldern von der Swisscom-Tochter Blue.
- «Log-out», Fiktionale Serie von Luc Walpoth und Louis Farge, mit Geldern von TF1.
- «Winter Palace», fiktionale Serie von Pierre Monnard, mit Geldern von Netflix.
- «Tschugger», Staffel 3 und 4 der fiktionalen Serie von David Constantin, mit Geldern von Sky.
- «Yopougon», Dokumentarfilm von Alexis Amitirigala, mit Geldern von der Swisscom-Tochter Blue.
- «Game Over – Der Fall Credit Suisse», Dokumentarfilm und Serie von Simon Helbling und Arthur Rutishauser, mit unbekanntem Geldgeber.
Bei der Kommunikation ist das BAK auf die investitionspflichtigen Unternehmen angewiesen. Wollen sie nicht genannt werden, dann darf das Bundesamt sie auch nicht nennen. So geschehen im Dokumentarfilm «Game Over» zum Ende der Credit Suisse aus dem Medienkonzern TX Group, der neu ins Filmbusiness eingestiegen ist. Das BAK kennt zwar den Namen, darf ihn aber nicht bekannt geben, wie Karademir auf Anfrage sagt. Wie Recherchen zeigen, ist es aber nicht Netflix, auch wenn das immer wieder behauptet wird.
Aus dem Jahr 2024 bleiben unter dem Strich noch 14,2 Millionen Franken übrig, welche die investitionspflichtigen Unternehmen nicht ausgegeben haben. Das sei kein Problem, sagt Karademir. Die betroffenen Unternehmen seien weitere Verpflichtungen für Filmprojekte eingegangen, die erst in den Folgejahren fällig würden. «Deshalb arbeiten wir mit Vier-Jahres-Perioden.» Doch: Bis spätestens Ende 2027 müssen die rund 120 Millionen Franken ausgegeben sein, sonst müssen die Unternehmen so genannte «Ersatzabgaben» entrichten.
Oder anders gesagt: Die Gelder, welche welche die Unternehmen eigentlich hätten ausgeben müssen, es aber nicht getan haben, fliessen ab 2028 in den Filmförderungstopf des BAK. Dann entscheidet der Staat, welche Filme mit den privaten Geldern gefördert werden. (aargauerzeitung.ch)