Eigentlich ist Kate Winslet eine der lustigsten Personen der Welt. Gesegnet mit einem äusserst dreckigen britischen Humor, der immer wieder überraschend anale Ausreisser macht. Laut. Selbstironisch. Und sie kann lachen, bis ihr die Tränen kommen. Nur nicht an diesem Montagnachmittag in Zürich im Kino Arena. Eine Stunde lang macht sie ein moderates, moderiertes Publikumsgespräch. Ein Wort, das sich aus Gespräch, aber auch aus Publikum zusammensetzt. Das Publikum hat 45 Franken bezahlt. Man sollte an das Publikum denken.
Kate Winslet redet über ihren neuen Film. Das tun alle Stars bei diesen ZFF-Gesprächen 10 bis 15 Minuten lang, das sollen und dürfen sie, selbst, wenn wie bei Kate Winslet noch niemand im Saal eine Chance hatte, ihren neuen Film zu sehen, weil er nämlich erst sechs Stunden nach ihrem Talk überhaupt am ZFF Premiere feiert und weil im Saal auch kein Ausschnitt oder Trailer eingespielt wird.
Kate Winslet attends the Zurich Film Festival, where she will be honored with the festival's Golden Icon Award. pic.twitter.com/U8nlNaJ9pH
— Kate Winslet Updates (@UpdatesWinslet) October 7, 2024
Danach reden Stars für gewöhnlich über anderes. Über ihr Leben und am besten über Filme, die schon alle gesehen haben und lieben. Kate Winslet hätte es diesbezüglich enorm einfach. Wie wärs mit schöner Morden in «Heavenly Creatures», schöner Sterben in «Titanic» oder schöner Rumsitzen in «Sense and Sensibility»? Oder mit «The Holiday», einem dieser Filme, in denen ein höchstens teddybärig attraktiver Mann eine schöne Frau abkriegt und das ist dann total jöööhh? Oder mit unschön Sterben in «Contagion»? Es gäbe noch viele andere Möglichkeiten, denn das Oeuvre von Kate Winslet ist gross, vielfältig und oft sehr gut und spricht von einem riesigen Unabhängigkeitsdrang.
Auch ihre neue Heldin, die amerikanische Mode- und Kriegsfotografin Lee Miller (1907–1977) war von einem ungeheuren Unabhängigkeitsdrang besessen, ein Stierengrind wie Kate Winslet, eine interessante Figur, historisch und jetzt im Film mit dem Titel «Lee». Kate Winslet spielt Lee und hat auch zum ersten Mal als Produzentin gearbeitet und irgendeine Laune (oder ist es die Moderatorin?) hat sie jetzt dazu bewogen, eine ganze Stunde lang nur über «Lee» zu reden. Beziehungsweise über Lee Miller zu predigen, in einem selbstergriffenen Tonfall, der am Sonntag in der Kirche die Reihen zügig leeren würde.
«Ich bin stolz», ist ihr Mantra, wenn es um diesen Film geht, sie gibt uns exakte Timelines ihrer Arbeit, alles sehr ernst, sehr ehrfürchtig, sehr «wunderbar, wunderbar», immer wieder «überwältigend». Es ist so fad! Das Publikum sagt am Ende resigniert: «Na ja, wahrscheinlich will sie gerade über nichts Anderes reden», und spendet dann trotzdem anständig eine kleine Standing Ovation, man weiss ja nie, wann man wieder einem Star dieser Grösse begegnet, man will ihn ja nicht beleidigt haben.
Aber gut, respektieren wir, dass Kate Winslets Herz momentan für «Lee» und leider nichts Anderes schlägt. Wenden wir uns also der interessanten Frau Miller zu. Bevor die Amerikanerin 1942 in den Krieg zog, war sie in der Bohème zuhause, war zuerst ein begehrtes Model, zog nach Europa, wurde selbst zu einer versierten Modefotografin für die britische «Vogue», verkehrte mit den Surrealisten und verliebte sich in einen von ihnen, den britischen Maler Roland Penrose, der im Zweiten Weltkrieg Camouflage-Malerei für Panzer machte und sie beispielsweise als Glacé-Wagen tarnte.
Sie war eine resolute, energische und komplett angstfreie Person, 1942 liess sie sich als Kriegsreporterin an die Front schicken. Sie erlebte die Zerstörung von Saint-Malo, sie war dabei, als die Amerikaner KZ-Häftlinge befreiten und Tausende Tote bargen, und sie badete in München am Prinzregentenplatz am Tag von Hitlers Tod in dessen Badewanne. Logisch, musste sich Kate Winslet diese Rolle sichern.
Begonnen hat allerdings alles mit einem Esstisch, der an einer Auktion angeboten wurde, und den sich Kate Winslet, die gerne kocht und Gäste bewirtet, unter den Nagel riss. Er hatte einst im Sommerhaus von Lee und Roland gestanden, und Kate Winslet fragte sich: «Hm, wieso gibt es über diese Frau eigentlich keinen Film?»
Jetzt gibt es ihn. Er ist ein einigermassen konventionelles, aber sehr süffiges Biopic, obwohl Winslet gerade dies nicht wollte, aber irgendwie ist er trotzdem genau das geworden, was sie sich erträumt hat, denn: «Ich bin stolz.» Er besitzt eine minimal bescheuerte Rahmenhandlung, denn Antony Penrose, Lees Sohn und Nachlassverwalter, der inzwischen ein «bester» Freund von Winslet ist, wollte sich wohl auch noch gebührend in die Geschichte einbringen. Antony spricht nun mit seiner toten Mutter über ihre alten Bilder und muss dabei immer übermässig interessiert schauen. Immerhin wird er von einem der angesagten «hot rodent men» gespielt, nämlich von Josh O'Connor, der in «Challengers» wirklich sehr heiss war.
Aber egal, man soll ein Bild nicht nach seinem Rahmen richten, und die Geschichte von Lee Miller ist einfach eine gute Geschichte und Kate Winslet eine der besten Schauspielerinnen, die es gibt. Es sei ihr um «eine absolut authentische Neuerzählung der Fakten» gegangen, sagt sie, was im Falle von Lee Miller gelegentlich sehr leicht war, da diese das Kriegsgeschehen nicht nur in Bildern, sondern auch in Reportagen dokumentierte.
Winslet und ihr Team wählten einige der ikonischsten Bilder von Miller aus und rekonstruierten beziehungsweise erfanden in Teilen die Geschichte von deren Entstehung. Der Film tastet sich deshalb in Episoden durch ihr Werk, eine gute Entscheidung, denn Miller selbst erfasste den Krieg episodisch, fotografierte nur einmal (in Saint-Malo) richtig an der Front das Kampfgeschehen und versuchte sonst, dessen Rückseite zu zeigen, die Zurückgebliebenen, die Frauen und Kinder, die Versehrten im Lazarett. Als Frau wurden ihr Türen geöffnet, die sich vor den Männern verschlossen.
Die Bilder, die sie schoss, halfen der britischen Öffentlichkeit, die Verbrechen der Nazis aus einer persönlicheren Perspektive zu begreifen. Das Auge der Kamera war dabei Millers einzige Distanzierungsmöglichkeit zum Grauen, dem sie begegnete. Es hat ihr während ihres Einsatzes geholfen, danach begannen für sie Jahrzehnte voller Traumata, Depressionen und Alkohol.
Kate Winslet erledigt ihren Job natürlich makellos, zeigt den Wandel einer Frau, die ihre Arbeit während des Kriegs zuerst eher einer frivolen, immer optimistischen Durchhalte-Mentalität unterordnet und während des Blitz in London lustig maskierte Models in Ruinen fotografiert. Auch danach stapft sie lange patent und aufrecht durch das zunehmende Elend – bis es sie bricht. Es ist ganz klar, dass dieser Film ihr eine neue Oscar-Nomination einbringen wird und vielleicht noch mehr.
Es sei schwer gewesen, für den Film Geld zu finden, sagt sie, sie habe es mit einigen Männern zu tun gehabt, die sich nicht vorstellen konnten, einen Film zu finanzieren, dessen Heldin nie richtig schön ist, sondern immer dreckig und in Uniform. Einer habe zu ihr gesagt: «Arbeite für mich, dann geb ich dir Geld für deinen kleinen Lee-Miller-Film.»
Den Zirkus, den sie gerade in Zürich absolviert, hat sie schon einmal scharf verurteilt. Es sei ein «waste of money», sagte sie mal in der «Vanity Fair». Winslet mag heute zwar reich sein, aber ihre Kindheit war es nicht, der Vater war ein meist arbeitsloser Schauspieler, die Mutter Kellnerin, die Familie schnitt Gutscheine aus der Zeitung und war auf Wohltätigkeits-Organisationen angewiesen, um die vier Kinder aufzuziehen.
«Es hat mich schon immer geärgert, wie viel Geld für Promotions-Veranstaltungen verschwendet wird: Man fliegt dafür Journalisten, Schauspieler, Stylisten um die ganze Welt. Warum zum Teufel ist das alles wichtig? Man sollte von all dem Geld besser Independent-Filme fördern oder verdammte Schulen bauen!» Auf so ein Statement hoffte man in Zürich vergeblich.
«Lee – Die Fotografin» läuft noch an diesen Terminen am ZFF und ab dem 17. Oktober im regulären Kino.
Die Produzentin Winslet übernimmt die Perspektive von Lee Miller, die als Frau extrem darunter gelitten hat, als Fotografin nicht ernst genommen zu werden. Dabei hat sie einen neuen Blick 'entwickelt'! Beispiel: Als sie in Auschwitz bei der Befreiung dabei war, hat sie die verstörten, schockierten Gesichter derjenigen fotografiert, die überlebt haben, sei es als Opfer oder sei es als Befreier. Diese Bilder hat sonst niemand gemacht, und sie sind selten zu sehen.
Die Bilder mit den gestapelten Leichen haben Männer gemacht.
Aber irgendwie kapiere ich die Bewertungs-Prioritäten in diesem Artikel überhaupt nicht.
Eine Schauspielerin hatte einen offenbar guten Auftritt in einem interessanten Film. Nun redet sie vor allem über die dargestellte Person (gähn, wie langweilig ...) statt irgendeine offenbar erwartete spektakuläre Show zu machen.