Liebe Menschheit, es ist so weit. Nach einer gefühlten Milliarde von Beiträgen über die Ausstattung, die Absichten, die Menschen hinter «Barbie», nach «Barbiecore»-Modestrecken und «Barbenheimer»-Memes steigt «Barbie» endlich vom Regenbogen des Hypes in unsere Kinosäle herab. Und siehe da: Es ist super. Es ist die Geburt eines Kult-Films.
Regisseurin und Drehbuchautorin Greta Gerwig hat zwei Welten kreiert. Beziehungsweise zwei Amerikas. Barbieland und die realen USA. In Barbieland leben Barbies. Und Kens. Und ein paar minder wichtige Mattel-Puppen. Statt des Weissen Hauses gibt es dort das Pinke Haus, es ist der Regierungssitz der schwarzen Barbie-Präsidentin (Issa Rae), sämtliche Nobelpreise werden an Barbies verliehen, Häuser von und für Barbies gebaut. Überhaupt alle Berufe werden von Barbies ausgeübt, während die Kens sowas wie hyperaktive Dekorartikel ohne Berufe und Behausungen sind.
Der Klischee-Ken (Ryan Gosling) schlechthin etwa, ein Mann wie ein goldener Pudel, hat genau zwei Lebensinhalte: den Strand beziehungsweise nur «Strand» – «my job – it's just beach» – und das Ziel, von Barbie gesehen zu werden. Ihr Blick macht ihn zu einem Ding von Wert. Ohne sie ist er nichts. Mit ihr aber auch nur ein hirnloses Anhängsel.
Ryan Gosling nimmt als Ken seine ganze bisherige Karriere aufs Korn – vom Disney-Club-Star für kleine Mädchen über den plakativ romantischen Helden bis hin zum singenden, tanzenden Beau aus «La La Land». Ach ja, dass die Kens heterosexuell sein sollen, ist möglicherweise die grösste Lüge der Puppengeschichte.
Wer in Barbieland lebt, ist ganz plastic fantastic, ein bedürfnisloses Wesen ohne Geschlechtsteile, Innereien oder Ähnliches, der Alltag ist nur ein Vorspielen von Alltag, der perfekt gefüllte Kühlschrank ist wie der Himmel oder die perfekte Welle nur gemalt. Es ist ein Paradies liebevoller, pastellfarbiger Künstlichkeit, so hübsch, dass man den Film allein deswegen ein zweites Mal sehen könnte.
Die Bewohnerinnen von Barbieland glauben, dass die reale Welt der ihrigen nachempfunden ist, weil ihre schliesslich eine Vorbildwelt ist. Wenn Barbies alles sein können zwischen Miss Universe und Astronautin im Universum, dann kann das doch jede Frau, denken sich die Barbies.
Spoiler: Das sieht die reale Welt aber ganz anders. Und Ken wird dort ein Phänomen entdecken, von dem er aus nur für ihn nachvollziehbaren Gründen lange denkt, dass es von «Pferd» kommt: Es nennt sich «Patriarchat». Ken wird davon derart begeistert sein, dass er sich sogar Bücher zum Thema ausleiht.
Doch bis es so weit kommt, muss erst einmal die perfekteste aller Barbies kaputtgehen: Die zur Barbie geborene Margot Robbie wird plötzlich von Todesahnungen und Plattfüssen geplagt. Ihr drohen jetzt Birkenstocks statt High Heels, sie hat einen «Riss» in der «Membran» zwischen Barbieland und der Welt hergestellt, und um ihn zu kitten, wird sie von der hexenhaften «Weird Barbie» (SNL-Ikone Kate McKinnon) auf eine Odyssee durch das reale Kalifornien geschickt. Wo sie ganz schnell auf die Welt kommt.
Mädchen beschimpfen sie dort als Ausgeburt des «sexualisierten Kapitalismus» und als «Faschistin», auf einer Baustelle arbeiten statt adretter Barbies nur tumbe Macker, und die rein männliche Führungsriege von Mattel will sie in ihre Originalverpackung sperren.
Es geschieht, was geschehen muss, das Spielzeug, das wie jede gute filmische KI zunehmend menschlich wird, feiert seinen Aufstand und geht in den Angriffsmodus über, doch weil Barbie Barbie ist, packt sie den Gegner nicht bei seinen Eiern, sondern weit manipulativer bei seiner Eitelkeit.
«Barbie» ist eine Liebeserklärung an ein Produkt und alle Fantasien, die sich damit ausleben lassen. Aber auch eine vehemente Solidaritätserklärung mit der Kritik, die es entfesselt hat. Für alle Seiten gibt es viel, viel Spass. Mal ist er simpel, mal ist er intellektuell, Megakitsch trifft auf Metatext, auch das Wort «proustianisch» fällt einmal. Die guten Sprüche sind so schnell getaktet, dass man kaum einen davon behalten kann, und die Pulli-Aufschrift «I Am Kenough» des zu neuem Selbstbewusstsein gelangten Ken wird wohl bald auf vielen T-Shirts zu lesen sein.
Greta Gerwig nimmt fortwährend jedem Einwand gegen ihren Film den Wind aus den Segeln, und auf jeden sentimentalen Sermon über die Identitätssuche von Puppen folgt eine derart grandiose Pointe, dass man völlig entwaffnet vor Lachen im Kino sitzt. Einer der besten zirka 350 Sätze fällt ganz am Schluss, für jede reale Frau kommt er einer Höchststrafe gleich, doch für Barbie bedeutet er das Paradies. Alles ist hier ganz anders.
Und alles ist hier ganz Film: Die Zitate und Anspielungen quer durch die Hollywood-Geschichte, die immer schon eine Geschichte der Illusionen und künstlichen Welten war, sind mal ganz direkt, mal ganz zart und bewegen sich von Musicalfilmen aus allen Jahrzehnten bis hin zu «2001: A Space Odyssee», «The Godfather» oder «Zack Snyder's Justice League». Und statt der «yellow brick road», auf der im «Wizard of Oz» Dorothy mit ihrem Hündchen dahertanzt, gibt es hier natürlich eine «pink brick road».
Barbieland, sagt uns Greta Gerwig auf ungemein unterhaltsame Art, ist im Grunde nichts als ein übersteigertes Hollywood. Eines, in dem keine einzige Kulisse oder Requisite «echt» ist und Special Effects nicht special sind, sondern ganz selbstverständlich zum Alltag seiner Stars gehören. Ein Ort auch, an dem Träume stehen bleiben. Bis die Blase Risse bekommt.
«Barbie» läuft ab dem 20. Juli im Kino.