Ich weiss ja nicht, wie es bei euch aussieht. Aber mein Instagram-Feed ist voll von Selfies meiner Freundinnen und Freunde. Das ist erstmal nichts Neues. Dafür ist Instagram da. Doch es sind keine normalen Selfies. Marie sieht man als Superheldin, Dunya als Manga und Linus als Alien.
Auffallend dabei: Meine Freunde sehen auf den Schnappschüssen alle sehr, sehr gut aus. Auch wenn ich die Schönheit meiner Bekannten nicht anzweifeln möchte, muss ich sagen: Ich bin weder mit Models noch mit sehr begeisterten Cosplayern befreundet.
Natürlich sind die Bilder nicht echt (sonst hätte Alien-Linus bereits eine Nachricht von mir in seinen DM’s). Die Selfies wurden mit der Bildbearbeitungs-App «Lensa» erstellt. Diese arbeitet mit einem Deep-Learning-Generator, Stable Diffusion genannt. Die Software funktioniert, indem sie aus dem Internet Tausende von Bildern als Vorlage nimmt und diese als Filter über die Fotos legt.
Um Porträts von sich selbst zu generieren, muss der Benutzer oder die Benutzerin zehn bis zwanzig Selfies in die App hochladen, drei Franken zahlen und rund 20 Minuten Geduld haben. Daraufhin spuckt die KI Dutzende von Bildern in verschiedensten Kunststilen aus verschiedensten Epochen aus.
Die App appelliert also an den Drang der Selbstinszenierung und den Narzissmus, der in uns allen schlummert – und hat damit grossen Erfolg. Die App gibt es seit dem Jahr 2018, aber erst vor einigen Wochen wurde der Selfie-Generator integriert. Seither hat sich die App auf die Nummer eins der Download-Charts von Google und Apple katapultiert.
Bevor ihr euch jetzt beleidigt fühlt, weil ich euch als narzisstisch bezeichne: Ich habe die App auch ausprobiert – natürlich nur aus Recherchezwecken – und war vorerst ziemlich begeistert. Auch ich sehe auf den Bildern sehr hot aus. Anders kann man es nicht sagen. Abgesehen von dem einen Bild, auf dem mein Kopf irgendwie mit dem von Mr. Bean verwechselt wurde (damit will ich nicht sagen, dass Mr. Bean nicht hot ist, aber sein Kopf auf meinem Körper wirkt doch etwas kurios).
Irgendetwas störte mich jedoch an den Bildern. Ich fand es erst nach weiteren 20 Minuten heraus. Dazu muss man wissen: Ich mache selten Selfies, noch seltener aufreizende Selfies und keines von den zehn Selfies, die ich hochgeladen hatte, war eines davon. Trotzdem zeigten ausnahmslos alle Bilder sehr viel nackte Haut. Ich mit pinken Haaren und ohne Oberteil. Ich mit alienartigen Zügen und ohne Oberteil. Ich als Blumenmädchen mit Oberteil – das nur aus einzelnen Blüten bestand.
Hier ein paar Beispiele von den Selfies, die ich hochgeladen habe, und was dabei rausgekommen ist:
Daraufhin zwang ich einen Freund von mir, die App zu benutzen, und wer hätte es gedacht: keine Halbnacktselfies von ihm!
Nach kurzer Recherche im Internet wurde dann schnell klar, dass ich nicht die einzige Frau bin, die von «Lensa» so abgebildet wird. Zig anderen passierte das Gleiche. So etwa auch der Menschenrechtsaktivistin Brandee Barker, die von der App zu einem noch ausgeprägteren Objekt der Begierde gemacht wurde.
Is it just me or are these AI selfie generator apps perpetuating misogyny? Here’s a few I got just based on my photos of my face. pic.twitter.com/rUtRVRtRvG
— Brandee Barker (@brandee) December 3, 2022
Doch wieso werden Frauen von der KI so sexualisiert dargestellt? Das liegt daran, dass die Software ihre Informationen aus den grossen Weiten des Internets bezieht. Wer schon einmal ein Manga gelesen oder GTA gespielt hat, weiss, wie Frauen darin gezeigt werden. Auf diese und ähnliche Darstellungen greift auch die künstliche Intelligenz zurück und lernt so, dass Frauen oft wie Sexroboter aussehen.
Das bringt nicht nur die Gefahr mit sich, dass sich diese Vorurteile verstärken, sondern es zeigt zudem auf, wie die Gesellschaft eigentlich möchte, dass Frauen aussehen. Schmoll-Lippen, die zu einem verführerischen Lächeln verzogen sind, grosse Welpen-Augen, ein D-Körbchen, das nur von einem Hauch von Nichts bedeckt ist, und eine Taille, schmaler als meine Geduld am Montagmorgen.