Vielleicht hatte «Fifty Shades of Grey» ja doch was Gutes. Also der erste der drei Filme zum Thema «Wie viele Gadgets muss ich kaufen, damit ich zum Orgasmus komme?». Denn möglicherweise hat die Bestseller-Verfilmung das Gespür der Regisseurin für Intimität geschärft. Die Regisseurin, um die es hier geht, heisst Sam Taylor-Johnson und hat jetzt einen Film über Amy Winehouse gedreht, der so schön ist, dass man als Fan aufseufzt und sagt: «Endlich!»
Endlich Liebe für Amy Winehouse. Endlich Gerechtigkeit. Endlich ein Film, der sich um ihre Perspektive bemüht und sich in sie hineinversetzt und keine erneute voyeuristische Leichenfledderei betreibt. Viele haben das schon getan. Haben die Skandale gefeiert und den Zerfall der Britin, die mit 27 an einer Alkoholvergiftung starb und deren Leben jahrelang eine dieser fatalen in aller Öffentlichkeit zelebrierten, drogenbedingten Abwärtsspiralen genommen hatte. 2016 gewann Asif Kapadia mit seinem Dokumentarfilm «Amy» einen Oscar, es war ein Elends-Thriller, der seine Heldin zunehmend in etwas Ekelhaftes verwandelte und dabei die einzige Beziehung in ihrem Leben ausblendete, die gross und gut war: die Musik.
Sam Taylor-Johnson war selbst Fotokünstlerin, bevor sie zur erfolgreichen Mainstream-Regisseurin wurde, sie weiss, was es heisst, der Kunst, den kreativen Prozessen bedingungslos zu verfallen und sein Leben in ihren Dienst zu stellen.
«Back to Black» (wie Amys beliebtester Song) heisst ihr Musikerinnen-Biopic mit Betonung auf Musik. Sie habe, sagt sie in unserer kurzen Zoom-Unterhaltung, alle Inspiration aus der Musik gezogen, dem Sound, den Texten, die bei Amy Winehouse so schamlos autobiografisch sind, dass sie damit nicht wenigen Menschen (absichtlich) weh getan hat.
«Wir alle haben ihr Leben ja bereits mit forensischer Akribie studiert», sagt Taylor-Johnson, «und ich spürte, dass es Zeit ist, mit ihr zusammen in einen anderen Raum zu gehen. In einen Raum, in dem sie selbst uns ihre Geschichte durch ihre Musik diktiert. Wir wollten sie davor retten, Opfer einer Tragödie zu sein, die alles andere überschattet. Wir wollten ihr durch ihre Musik so viel Selbstermächtigung wie möglich zurückgeben. Und wir wollten ihr und uns erlauben, ihre Musik endlich wieder zu geniessen. Neben meiner Kamerafrau Polly Morgan beschäftigte ich auch ausschliesslich weibliche Abteilungsleiterinnen, wir hatten das Gefühl, Amy Winehouse, aber auch ihre Darstellerin Marisa Abela mit aller Macht behüten und beschützen zu müssen. Gerade für Marisa war es oft sehr belastend. Amy zu spielen, hiess, sich äusserster Verletzlichkeit auszusetzen.»
Amy kann aber auch sehr komisch sein. Zu Lebzeiten hatte sie die grösste Klappe der britischen Musikindustrie, und die darf sie auch bei Taylor-Johnson immer wieder weit aufreissen. Sie ist das selbstbewusste jüdische Mädchen, das sich gegen alle von Männern gebackenen Frauenklischees der Branche stemmt und ein Loblied auf ihre Stimme mit «Ich weiss, ich höre sie jeden Tag» beantwortet, ist die Kifferin, die sagt: «Ein Joint ist wie eine Tasse Tee!» (umso lustiger, dass Taylor-Johnson im Zoom eine Tasse Tee auf ihren Knien balanciert), und die ihre Ausdünstungen als «Chanel No. Pub» bezeichnet.
«Da sind so viele Facetten von Liebe, Freude, Kraft, Mut, aber auch Verletzlichkeit, eine übergrosse Empfindsamkeit und Empfänglichkeit für Schmerz», sagt Marisa Abela, die rechts von Taylor-Johnson sitzt und sich ihre schwarzen Pulli-Ärmel über die Hände zieht. «Das Ding mit Amy ist, dass ihre Emotionen immer bodenlos waren: Wenn sie liebte, liebte sie ungeheuer fest, wenn sie verletzt war, war sie schwer verletzt. Ich habe versucht, in jeder Szene so viel wie möglich davon zu bergen. Aber in ihren ganz zerbrechlichen Momenten habe ich mich zurückgenommen. Denn wenn der Schmerz am grössten ist, fühlt man sich isoliert, dann legt sich eine Stille auf dich, Schmerz ist wie eine Insel.» Musik ist Glück für Amy. Und Stille ist das Gegenteil von Musik.
Abela, 27, eben noch als verwöhntes Rich Kid in der infernalischen Investmentbanker-Serie «Industry» zu sehen, vollbringt ein Wunder als Amy Winehouse. Zum ersten Mal ist da das Gefühl, Amy Winehouse zu verstehen. Die Künstlerin in ihrer schon fast wollüstigen Selbstverschwendung und in ihrer ganzheitlichen Wahrnehmung der Welt durch Musik zu begreifen. Und die Frau, die sich so fatal in den wortgewandten Junkie und Aufschneider Blake Fielder-Civil (Jack O'Connell) verliebt – weil er ihr so schöne Dinge über ihre eigene und ihr noch unbekannte Musik erzählen kann.
Alles ist Musik und alles ist Liebe und Musik ist Liebe, das prägt auch Amys Beziehungen zu ihrer Grossmutter (Leslie Manville) und ihrem Vater (Eddie Marsan), und in der Liebe wie in der Musik ist Amy diejenige, die weiss, was sie will und sich nimmt, was sie will – bis sie sich an den Drogen, die mit der Liebe zu Blake einhergehen, übernimmt.
Die Szenen einer Liebe – und kurz auch einer Ehe – mit Blake nehmen beide Seiten ernst, zeigen die toxische gegenseitige Abhängigkeit der beiden, die in allem ein Suchtverhalten auslebten, auch künstlerisch und zwischenmenschlich. Und der Zorn, den man bisher auf Blake hatte, auf das Arschloch, den Ermöglicher des Niedergangs, den Dealer, wird ein bisschen milder. Denn einen anderen, das wird klar, hätte Amy Winehouse nie so sehr lieben können. Ohne Blake gäbe es viele von Amys besten Songs nicht. Und es sind die Songs, sagt Taylor-Johnson, die für die Ewigkeit sind und schon etlichen jungen Musikerinnen ihren Weg gewiesen haben, so wie die klassischen Jazz-Sängerinnen Amy Winehouse den ihren gewiesen haben. Der Mensch ist endlich. Kunst kennt Ewigkeit.
Abelas Verwandlung in Amy ist feiner als jene von Rami Malek in «Bohemian Rhapsody», als er eine Kieferprothese tragen musste, um Freddie Mercury zu spielen. Bei Abela ist Amys Bienenkorb-Frisur Prothese genug, und wenn sie singt, ist klar, dass dies ihre Stimme ist, nicht die von Winehouse, das Timbre ist ein anderes. Zu Beginn der Dreharbeiten verlangte auch niemand, dass sie durchgehend singen solle, doch sie steigerte sich mit athletischem Eifer in die Stimmbildung und schliesslich sang sie alle Nummern bis auf eine selbst.
Und natürlich ist diese Musik noch immer ein riesengrosses Geschenk, eine dunkle Betörung, eine lautmalerische Verschwörung gegen alles, was schlecht ist in so einem Leben und vor allem einer Liebe. Doch der Film hält noch ein weiteres Geschenk bereit: Kein anderer als Nick Cave schrieb und interpretierte den Rest der Filmmusik, und das ist neben den Songs von Winehouse auch nochmals fast eine halbe Stunde.
Eddie Marsan spielt Amys Vater Mitch und man wird den Verdacht nicht los, dass Marsans Mitch VIEL netter gezeichnet ist, als der echte Mitch jemals gewesen sein wird, aber das ist nun mal das Grundproblem, wenn die Hinterbliebenen mit einem Filmteam kooperieren.
«Ich habe mich oft mit Mitch unterhalten», sagt er (und trägt im Zoom ein leicht prekär enges Sakko), «ich habe ihn regelrecht gestalkt, ich war ein echter ‹pain in the arse›, ich wollte alles wissen, wer seine Eltern gewesen waren, wo er zur Schule gegangen ist, wie er Amys Mutter getroffen hat. Er musste für mich eine Playlist zusammenstellen, ich verlangte, dass er für mich ‹Fly Me to the Moon› singt und aufnimmt. Er war sehr offenherzig und ehrlich, er wollte nicht, dass ich eine vorteilhafte Version von ihm spiele. Ich bin selbst Vater von vier Teenagern, und als ich das Drehbuch zum ersten Mal las, wusste ich, dass ich einen Vater spielen muss. Einen Mann, der sein Kind liebt und sich immerzu Sorgen machen muss. Denn das bedeutet Elternsein: sich Sorgen zu machen.»
Als wir Journalistinnen und Journalisten wieder aus dem Zoom entlassen werden, gratuliert Marsan Taylor-Johnson und Abela zu ihren Antworten: «Well done! All of you!» Und Taylor-Johnson sagt: «Ich finde, wir haben uns heute ganz schön aufwärmen können!» Dann haben wir ja unseren Zweck erfüllt. Und Sam Taylor-Johnson ruft jetzt vielleicht ihren Mann Aaron Taylor-Johnson an und fragt ihn, ob er endlich weiss, wer der neue Bond wird. Und ob er das etwa selbst ist.
«Back to Black» läuft ab dem 11. April im Kino.
Schade ist sie viel zu früh gegangen. Ihre Lieder bewegen mich immer wieder.