Nach dem allzu klassischen, aber eleganten «Mord im Orient-Express» im Jahr 2017 und einem schrecklichen «Tod auf dem Nil», kehrt Hercule Poirot für eine neue Adaption von der Königin der Krimis zurück.
Kenneth Branagh ist sichtlich in das Werk von Agatha Christie verliebt und hat sich entschieden, sowohl vor als auch hinter der Kamera zu stehen, um die Ermittlungen des berühmten belgischen Detektivs Hercule Poirot, dem besten Detektiv seiner Zeit, zu modernisieren. Dies macht er, indem er die passive Seite seiner Figur ausbaut und gleichzeitig Filme dreht, die an Wandgemälde erinnern. Trotzdem setzt diese Detektiv-Trilogie vorwiegend auf das Staraufgebot, das sich in jedem Teil gegenseitig umbringt.
Der Film basiert auf Agatha Christies Roman «Die Schneewittchen-Party» und versetzt uns in das Jahr 1947, in dem wir uns in einem verfallenen venezianischen Palast befinden. Hercule Poirot versucht, trotz der vielen Auftragsanfragen, die er erhält, einen friedlichen Ruhestand im Venedig der Nachkriegszeit zu leben. In der Halloweennacht wird er zu einer Séance in den Palazzo eingeladen. Eine Sängerin möchte mit ihrer kürzlich verstorbenen Tochter in Kontakt treten und dazu ihren Geist heraufbeschwören.
Eigentlich sollte er bei diesem paranormalen Experiment dabei sein, um die Täuschung zu durchschauen, doch es stellt sich heraus, dass ein Mord begangen wird. Wie üblich sperrt unser schnurrbärtige Detektiv das Gebäude ab, um den Mörder oder die Mörderin zu entlarven. Doch dieses Mal muss er seinen scharfsinnigen Verstand mit dem Übernatürlichen konfrontieren, denn in dem Haus scheint es zu spuken.
Während der vorherige Teil «Tod auf dem Nil», einen sehr farbenfrohen Film, einen digitalen Einheitsbrei bot, um das Ägypten der 1930er-Jahre nachzubilden, bietet «A Haunting in Venice» eine echte und ästhetische barocke Kulisse. Diesmal gibt es kein künstlich wirkendes Panorama wie in seinen beiden vorherigen Adaptionen, sondern das echte Venedig, mit einem wunderschönen Sinn für das Makabre.
Die Handlung spielt an einem düsteren Halloween-Abend und lässt Venedig in einem ganz besonderen Gewand erscheinen, das dem Ganzen den Flair eines Horrorfilms verleiht. Die Dogenstadt wird mit ihren nebelverhangenen Lagunen und ihrer gotischen Architektur inszeniert. Der verfallende Palazzo, in dem der Film spielt, ist ein ehemaliges Waisenhaus mit einer dunklen Vergangenheit. Seine Fliesenböden und hohen Decken werden in der Nacht der Ermittlungen von einem Sturm weggefegt. Alles in dem Film atmet den Geist des fantastischen Kinos, dessen Inszenierung manchmal Anleihen bei den Grossen des Genres nimmt.
Der Regisseur zögert nicht, mit auffälligen Effekten zu experimentieren, indem er seine Perspektiven übertreibt – er hält die Kamera schräg und spielt mit spektakulären Nahaufnahmen und Gegenansichten. Diese Inszenierungen mögen manchmal grotesk erscheinen, sind aber durch das Genre gerechtfertigt: eine Geistergeschichte, unabhängig davon, ob der Spuk eingebildet ist oder nicht.
Dass alle Figuren in einem geschlossenen Raum sind, nutzt der Regisseur, um die Charaktere in die Enge zu treiben. Die Zuschauenden werden mit dem Knallen von Türen, Kinderstimmen und anderen Überraschungseffekten erschreckt. Der Film erfüllt somit alles, was man von einem Haus, in dem es spukt, erwartet.
Branagh ist ein Meister des Kabaretts und neigt dazu, es zu übertreiben. Dennoch hat der Shakespeare-Darsteller wohl aus seinen Fehlern gelernt, denn im Gegensatz zu den vorherigen Teilen bietet er eine etwas nuanciertere, weniger cartoonhafte und damit eine weniger nervige Darstellung.
Unter den zahlreichen Protagonisten befinden sich dieses Mal etwas weniger Stars als sonst. Die kürzlich mit dem Oscar ausgezeichnete Michelle Yeoh ist die Hauptdarstellerin, die als ebenso elegantes wie exzentrisches Medium im Zentrum der Ermittlungen steht. Ausserdem ist Camille Cottin als mysteriöse Haushälterin zu sehen. Sie erweist sich als interessanteste Figur, die einen willkommenen französischen Touch in die Reihe der britisch-amerikanischen Schauspieler einbringt.
Während «Mord im Orient-Express» und «Tod auf dem Nil» nicht besonders überzeugend waren, erwies sich «A Haunting in Venice» als der am wenigsten schlechte der drei Filme – oder der beste, je nachdem, wie man es betrachtet.
Die gruselige Atmosphäre ist eine hervorragende Tarnung für ein Drehbuch, das manchmal nicht ganz so gut funktioniert. Wie jede investigative Geschichte ist der Film nur so gut wie sein Höhepunkt. Dieser besteht darin, den Mörder und seine Motive in einem Monolog zu enthüllen, in dem die Puzzleteile vor den Verdächtigen zusammengesetzt werden. Nur sind die Verdächtigen hier extrem überzeichnet, sodass die Auflösung relativ klar ist, wenn man gerne Krimis liest.
Das Ergebnis ist ein vergesslicher Film aus einer vergesslichen Trilogie, dessen Reiz vor allem in seiner Horroratmosphäre liegt. «A Haunting in Venice» bleibt eine nette Samstagabendunterhaltung, die man wie ein verfilmtes Cluedo erleben kann, bei dem man entdeckt, dass der Täter Colonel Mustard in der Bibliothek mit dem Kronleuchter war.
«A Haunting in Venice» läuft seit dem 14. September in den Deutschschweizer Kinos.