Ich verliess das Kino und Menschen fragten mich: «Ist ‹Cats› jetzt wirklich so bitter?» Ich sagte: «Ich weiss es nicht. Ich sass da, starrte während des Abspanns auf die Leinwand und war sprachlos. In mir waren keine Worte mehr. Nichts machte Sinn. Meine Hirntätigkeit war tot. Ausgelöscht von dem, was ich gesehen habe. Nämlich die reine Leere. Die jetzt auch von meinem Kopf Besitz ergriffen hat.»
Ich würde nicht sagen, dass ein Musical an sich sinnlos ist. Ausser «Cats». Wo als Katzen verkleidete Leute in einer düsteren Kulisse zwischen Komposthaufen und Industrieruine ihr Katzensein besingen. Und «Starlight Express». Wo als Eisenbahnen verkleidete Menschen im Discosetting ihr Eisenbahnsein besingen und dazu Rollschuh laufen, wie Eisenbahnen das eben so tun. Erfunden hat beide Andrew Lloyd Webber.
Und jetzt gibts also «Cats» als Film. Nun, ich habe eine Nacht lang darüber geschlafen und weiss wenigstens wieder dies: Da waren Katzen mit Menschengesichtern, Menschenproportionen, Menschenfingern und Menschenzehen. Oft waren die Füsse riesig.
Zwei trugen Mäntel aus Katzenfell. Eine davon (Judi Dench) war 99 Jahre alt und die Chefin aller Katzen. Die andere (Jennifer Hudson) konnte super «Memory» singen, also das einzig richtig berühmte Lied aus ganz «Cats», und gewann damit logischerweise den «Cat's Got Talent oder so»-Wettbewerb. Aber woher hatten die beiden Katzenfellmantelbüsis bloss ihre Mäntel? Oder mal umgekehrt gefragt: Menschen in Mänteln aus Menschenhaut – wären die der Chef von allen? Und Siegerin einer Mainstream-Castingshow?
Apropos Castingshow! Die «Cats»-Büsis bewarben sich alle um einen Abtransport ins Jenseits und zwar in einem Kronleuchter, der an einem Ballon befestigt war. Dort sollten sie von ihrem diesseitigen Dasein als singende Menschenzeh-Katzen erlöst und als irgendwas Tolleres reinkarniert werden. Wahrscheinlich als Rollschuh laufende Eisenbahn.
Zwei Katzen konnten zaubern. Eine liebe und eine böse. Im Pelz der bösen Katze steckte Idris Elba. Viele Weibchenkatzen hatten Brüste unter ihrem Fell. Supermännchen Idris Elba hatte keinerlei Geschlechtsteile unter seinem. War er ein kastrierter Kater? War er deshalb so böse? Wollte er deshalb ums Verrecken auch ins Jenseits? Die Sache mit den Brüsten war irgendwie unangenehm. Wie nackt.
Zwei Katzen waren dick. Eine davon (James Corden), trug einen Frack und wälzte sich gern im Abfall. Eine andere (Rebel Wilson) trug einen Fat-Cat-Suit und dressierte Mäuse und Kakerlaken. Die Kakerlaken hatten Menschengesichter ... Oh Alptraum, oh Flucht vor dir.
Taylor Swift war auch noch da. Die war lustig. Und kam so spät ins Bild, dass auch die Brüste nicht mehr störten. Man hatte zu diesem Zeitpunkt jede Hoffnung aufgegeben, dass die besoffenen Aliens jemals wieder nüchtern werden könnten. Auch der Kameramann dürfte einer von ihnen gewesen sein. Und der Choreograph. Und die Tricktechniker.
Soeben sind nämlich weltweit neue Kopien an mehrere tausend Kinos geliefert worden, weil von zurechnungsfähigeren Zuschauern als von mir bemerkt wurde, dass bei der Behaarungs-Animations-Technik nebensächliche Dinge wie Judi Denchs Hand vergessen gegangen waren.
Bei einem Budget von knappen 95 Millionen Dollar kann sowas schon mal passieren. Tja, gut hat man das noch geflickt, es macht den Film gewiss viel, viel, viel besser! Aber wenigstens weiss die Welt jetzt, wie Judi Denchs Ehering aussieht (Spoiler: normal!).
«Cats» unter der Regie von Tom Hooper («The King's Speech», «Les Misérables», «The Danish Girl») ist ab dem 25. Dezember im Kino zu sehen.
Ich möchte mich gegen Ende dieses Jahres herzlich bei Ihnen bedanken. Einerseits für Ihren unermüdlichen und selbstlosen Einsatz beim aufwirbeln und analysieren vom Bodensatz der Unterhaltungsindustrie, aber andererseits auch für die sehr unterhaltsamen Verrisse der eher an geistige Nötigung als Kunst angrenzenden Darbietungen.
Ihre Beiträge sind haben einen wesentlich höheren künstlerischen Wert als das von Ihnen tapfer Ertragene, machen Sie weiter so!
Was ich mich jedoch noch vielmehr frage:
Wie kann ein Regisseur wie Tom Hooper – welcher so grossartige Filme wie «The King's Speech», «Les Misérables» und «The Danish Girl» gedreht hat – so etwas fertig bringen und warum überhaupt?
Cats der Film ein weiterer Beweis, dass der Mensch keine Grenzen kennt.
Hoffentlich erleidet dieser Film Schiffbruch aber sowas von.
Danke Frau Meier für Ihre kritische Betrachtung. Auf Sie ist Verlass.👍🏻